Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Im Schatten keiner Türme
Wie die USA nach dem Schock von 9/11 falsch abgebogen und gescheitert sind. 20 Jahre später kann nur noch eines helfen
Als Amerika am Boden lag, in diesen sonnig-hellen und doch so dunklen Tagen nach dem 11. September 2001, fielen viele Sätze, die formuliert waren, als seien sie direkt den Geschichtsschreibern diktiert worden. Bis zum „Eingang der Hölle“werde man die Terroristen jagen, donnerte US-Präsident George W. Bush. „Wir sind alle Amerikaner“, riefen ausgerechnet die Franzosen, „uneingeschränkte Solidarität“versicherte der deutsche Bundeskanzler.
Aber jene Sätze, die im Rückblick auf den furchterregenden Angriff, die erste Attacke auf das amerikanische Herzland seit dem Krieg mit den Briten 1812 – damals brannten diese das Weiße Haus nieder, ein Symbol, nun zerlegten die Terroristen mit dem World Trade Center ein zweites – das Dilemma der zwei Jahrzehnte seither am besten erfassen, gingen fast unbemerkt unter, ihre ganze Gefährlichkeit erschloss sich damals noch nicht. Es war eine Botschaft von George W. Bush an die Amerikanerinnen und Amerikaner. Er wollte kein Opfer von ihnen, kein „Blut, Schweiß und Tränen“. Sie sollten mit ihrem Leben weitermachen, sie sollten einkaufen gehen für ihre Familien, sagte Bush, vielleicht sogar nach Florida ins Disneyland fahren, sie sollten das Leben genießen – um den Rest kümmern wir uns, so die subtile Botschaft.
Dass der Staat sich um die Sicherheit seiner Bürger kümmern muss, gehört zu den wesentlichen Staatsaufgaben, wir erleben das gerade in der Corona-Pandemie ganz neu wieder (und wie ein Staat scheitern kann, wenn der Mann an der Staatsspitze sich um diese Aufgabe wenig schert, hat Donald Trump bewiesen). Und doch erstickte Bushs lapidare Bemerkung, die Amerikaner sollten so weitermachen wie bisher, die erste, die viel konstruktivere Reaktion der Amerikaner – nämlich das Gefühl einer ganz neuen Solidarität, eines kollektiven Unterhakens.
Sie standen damals stundenlang an, um einander Blut zu spenden, sie suchten zusammen Vermisste, oft jahrelang – vergessen waren die Streitigkeiten, die noch zuvor das Land geprägt hatten, in einer gerade absonderlichen Wahl, dem Nachzähl-Drama zwischen Bush und Al Gore. Aber abgerufen wurde diese Bereitschaft zur Bürger-Solidarität nicht, es wurde nichts verlangt vom amerikanischen Bürger. Keine Steuererhöhung, im Gegenteil, die Bush-Regierung fand Zeit, massive Steuersenkungen für die Superreichen durchzupeitschen. Keine Wehrpflicht, wie es noch in Vietnam galt. Amerikaner danken Soldaten zwar pflichtschuldig immer, wenn sie in der Öffentlichkeit zu sehen sind („Thank you for your service“), aber dass das Sterben an die Berufssoldaten aus den Unterschichten weitgehend ausgelagert ist, darüber sind sie doch ganz froh.
Was aber verlangt wurde: den Regierungskurs mitzutragen – und der verfing sich bald in einem Wahn, der stärker wird, weil keiner genau weiß, was Ziel und Ende von so etwas wie einem „Krieg gegen den Terror“sind. Ihre eigene Realität schaffen wollten die Neokonservativen um Vize Dick Cheney (Darth Vader?), bis zur Mission Weltbeglückung, zu der tragischerweise auch der Flirt mit der Folter gehörte. Diese Mission verrückte die Risikoabschätzung dramatisch: die Frage, wie wahrscheinlich es denn genau ist, Opfer einer Terrorattacke zu werden (ein Lottogewinn wirkt dagegen fast unvermeidlich), durfte jahrelang einfach nicht mehr gestellt werden.
Klar, diese Wahrscheinlichkeit ist durch die Antwort der vergangenen Jahre größer geworden, den ganz großen Terroranschlag gab es nicht noch einmal. Aber was war noch einmal das Kriegsziel vor 20 Jahren beim Einmarsch in Afghanistan? Richtig, Osama bin Laden zu fangen. Den hätte man schon früher erledigen können, es hatte viele glaubhafte Warnungen gegeben, die aber leider meist nicht weitergeleitet oder ignoriert worden waren. Also brach Amerika auf nach Afghanistan, nicht mit einer gezielten Aktion, sondern einfach weil man es konnte, gleich das ganze Land erobernd. Leider vergaß man, die Bergfestung Tora Bora zu erobern, sodass bin Laden über Jahre entwischen konnte – auch weil die USMächtigen schon damit abgelenkt waren, einen „war of choice“, einen gewollten Krieg, anzuzetteln, den im Irak, über dessen Gründe kräftig gelogen worden ist und der zu ähnlich desaströsem Ergebnis geführt hat wie der am Hindukusch. Dabei ist das ja schon so unfassbar ernüchternd: Fast 3000 getötete Amerikaner, schätzungsweise 250000 getötete Afghanen, rund zwei Billionen Dollar Kriegskosten. Am Ende dachten rund zwei Drittel der Amerikaner, dass sich der Einsatz nicht gelohnt habe.
Man muss das jetzt gar nicht alles rekapitulieren, das ist Aufgabe der Geschichtsschreiber (dass sie allerdings zu positiveren Einschätzungen kommen werden, steht in diesem Fall nicht zu erwarten). Es ist aber wichtig daran zu erinnern, wie falsch das Land abgebogen ist – denn sonst lässt sich nicht verstehen, warum selbst die Erinnerung an den Terror neue Spaltungen hervorruft, statt die Nation zusammenzuführen. Oder kann sich ernsthaft jemand vorstellen, dass Donald Trump und