Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Wahn der Taliban
Unter den neuen alten Herrschern in Afghanistan gibt es Männer, die sich betont freundlich geben. Aber eben auch jede Menge finsterer Schergen, die Schlimmstes vermuten lassen. Unser Reporter ist in dem Land beiden Spezies begegnet – und einer mutigen Jou
MasariScharif/Kabul Als Zabihulla Mujahid, der inzwischen weltberühmte Pressesprecher der Taliban, in einem schmucklosen Saal in Kabul das Podium betritt, wird es still. Der bärtige Mann setzt sich, nimmt ein Blatt Papier in die Hand und fängt an zu lesen. Nach den üblichen Lobpreisungen Gottes kommt der PR-Chef des islamischen Emirates von Afghanistan schließlich zur Sache. Er verkündet die neue Regierung, die die Taliban so lange angekündigt hatten und die jetzt offenbar feststeht.
Doch mit dem scheinbar inklusiven Kabinett, das alle Afghaninnen und Afghanen vereinen und das seit Jahrzehnten von Kriegen geplagte Land in eine stabilere Zukunft führen soll, hat sie nichts zu tun. Stattdessen haben die Taliban eine Mannschaft zusammengestellt, die mehrheitlich aus radikalen Mullahs, Ex-Guantanamo-Häftlingen und von der CIA gesuchten Islamisten besteht. „Das ist jetzt ihr wahres Gesicht“, sagt eine afghanische Journalistin, als sie ihre Kamera zusammenräumt.
Eine Woche zuvor zeigt sich das Emirat noch von seiner freundlichen Seite. In Masar-i-Scharif, der ersten Stadt, die man erreicht, wenn man über Land nach Afghanistan kommt, verkündet der neue Gouverneur in der Moschee vor dem Freitagsgebet den Beginn eines goldenen Zeitalters: „Unser Land ist jetzt frei und wir werden es alle gemeinsam wieder aufbauen. Ich bitte euch daher, hier zu bleiben.“
Der Gouverneur heißt Maulawi Chudratullah und verkörpert das neue Afghanistan. Er hat fünf Jahre lang in den Bergen gekämpft, trägt Bart, Sandalen und sieht bis auf sein Sturmgewehr aus wie ein wilder Krieger aus dem Mittelalter. So sitzt er auf einem goldverzierten Plüschsessel im Palast seines Vorgängers und nippt an einem Energy-Drink. „Mein Vorgänger war korrupt“, sagt er. „Ich habe erst einmal die Steuern gesenkt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.“
Chudratullah soll in seinem Herrschaftsbereich die Ordnung Gottes herstellen, aber auch dafür sorgen, dass die Leute etwas zu essen haben. Das scheint ihm nicht ganz zu gelingen. Zwar ist in Masar-i-Scharif das Leben wieder auf die Straßen zurückgekehrt – in Form von fliegenden Händlern, offenen Ramschläden und verbeulten Toyota-Taxis. Aber die Stadt, die wirtschaftlich lange Zeit von den hier stationierten ausländischen Truppen abhängig war, kommt nicht auf die Beine. Die Hotels sind voll mit Flüchtlingen, die über die nahe Grenze nach Usbekistan wollen. Und sogar ihre Beschäftigten fragen einen ungeniert nach einem Visum. „Es gibt keine Arbeit, kein Geld und kein Benzin“, beschwert sich ein Kleiderverkäufer auf dem Markt. „Die Taliban sollen sich wenigstens darum kümmern, dass die Leute nicht hungern.“
Eine Ärztin im Park vor der Moschee geht mit den neuen Herrschern noch härter ins Gericht: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie die Mädchenschulen zugemacht haben“, sagt sie. „Die wollen uns Frauen aus der Öffentlichkeit verbannen. Es ist eine Schande.“Tatsächlich sieht man auf den Straßen der Stadt kaum mehr Frauen. Und wenn, dann tragen sie Burkas oder schwarze Gewänder, die nur das Gesicht freilassen.
In der Öffentlichkeit halten sich die Taliban-Kämpfer noch zurück. Sie lächeln freundlich und lassen sich fotografieren wie Touristenattraktionen. Vor allem in der rund vierhundert Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Kabul wirken sie wie von einem anderen Stern. Wie langhaarige Buben, die vom Berg herabgestiegen sind und nun mit ihren kajal-bemalten Augen auf das scheinbar sündige Leben in der Stadt schauen, den Finger stets bereit am Abzug.
Hier zeigt sich, welche extremen Gegensätze in Afghanistan aufeinanderprallen: Da sind einerseits die Leute vom Land – Analphabeten, verarmt und seit Jahren jenseits der staatlichen Kontrolle oder Unterstützung lebend –, für die die Ordnung der Taliban das Normalste auf der Welt darstellt. Und andererseits diejenigen in den Städten: berufstätige Frauen, Intellektuelle, die kleine Mittelschicht und all jene, die aus dem Ausland zurückkamen, um ihre Heimat aufzubauen.
Denn in den letzten zwanzig Jahren hat sich gerade in Kabul eine lebendige Zivilgesellschaft herausgebildet. Vor der Machtübernahme wirkte die Stadt in manchen Gegenden fast schon ein wenig westlich. Sie verfügte über eine lebendige Intellektuellenund Künstlerszene, die sich Donnerstagabends gerne auf rauschenden Privatpartys traf.
Davon ist nichts mehr übrig. Wer konnte, ist während der dramatischen Tage der Evakuierung geflohen. Viele von denjenigen, denen das nicht gelang, verstecken sich nun – aus Angst vor dem, was kommen könnte. Denn auch wenn die Taliban eine Generalamnestie verkündet haben, trauen die meisten Menschen den neuen Machthabern nicht. Zu präsent sind die Erinnerungen an die Neunzigerjahre, als die Islamisten schon einmal an der Macht waren und ein blutiges Schreckensregime errichteten. Auch heute gehen wieder Gerüchte um – von Hausdurchsuchungen und davon, dass unliebsame Personen einfach verschwinden.
Eine seltsame Stimmung der Angespanntheit und Unsicherheit liegt daher über der Stadt. Nachts ist es finster, und immer wieder patrouillieren bewaffnete Taliban durch die leeren Straßen.
Vor allem die zurückgebliebenen Frauen fürchten das Schlimmste. Es gäbe so viele von ihnen, die inzwischen das einzige Geld nach Hause brächten, sagt die Journalistin Zahra Nabi: „Wenn man die nicht mehr arbeiten lässt, können alle nichts mehr essen. Aber die Taliban verstehen das nicht. Sie werden einfach nur wütend und sagen, das wäre gegen den Islam.“
Nabi arbeitet für den einzigen Frauensender Afghanistans, dem die Taliban nach ihrer Machtübernahme sofort den Stecker gezogen haben. Ihre 50 Kolleginnen bleiben aus Angst zu Hause. Sie hingegen geht immer noch zur Arbeit. „Ich werde nicht wegrennen“, sagt Zahra Nabi. „Das ist mein Land. Deshalb bleibe ich hier und kämpfe für meine Rechte – auch wenn es gefährlich ist.“So fährt sie sogar als einzige afghanische Frau zu den Pressekonferenzen des Taliban-Sprechers Zabihulla Mujahid. „Wenn ich ihm eine Frage stelle, ignoriert er mich“, sagt sie. „Aber das ist mir egal. Ich komme einfach wieder.“
Zahra Nabi wirkt wie jemand, der sich nicht so schnell einschüchtern lässt und den selbstverliebt vor sich hin murmelnden Taliban-Apparatschiks mutig die Stirn bietet. Bei denen kommt das natürlich nicht gut an. „Es gibt Gründe, warum wir einen bestimmten Umgang mit weiblichen Journalisten pflegen“, sagt Inamullah Samanghani, ein hohes Mitglied der Kulturkommission der Taliban. „Wir müssen gewisse Regeln für Frauen aufstellen. Auch, um sie vor der Belästigung durch Männer zu schützen.“
Wie genau diese Regeln aussehen, kann Samanghani, der in einem fahl ausgeleuchteten Sitzungsraum im zukünftigen Kulturministerium sitzt, allerdings nicht sagen. Das müsse erst noch festgelegt werden. Frauen dürften aber bestimmt arbeiten, auch in Regierungsstellen.
Zum Abschied schenkt einem
Samanghani dann ein warmes Lächeln. Immer wieder geben sich die Taliban-Oberen betont freundlich. Es sind rundliche Männer mit Turbanen und Bärten, die einem stets die Hand geben und interessierte Nachfragen stellen – ganz so, als wollten sie sicherstellen, dass man auch ja kein falsches Bild von ihrem Emirat bekommt. Auch international bemüht sich die Taliban-Führung um Anerkennung – nicht zuletzt deshalb, weil sie angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage auf ausländische Hilfe angewiesen ist.
Aber noch ist die Herrschaft der Islamisten frisch – und niemand weiß, ob sich am Ende moderate oder radikale Kräfte durchsetzen werden. Immer wieder trifft man auf beide. Auf den Kommandanten zum Beispiel, der mit seinen Kämpfern in einem Restaurant in einem Dorf Rast macht und einen am liebsten gleich zum Essen einladen möchte. Freimütig erzählt er von den Kämpfen im nahen PanjshirTal, wo sich seine Männer mit den letzten verbliebenen Anti-TalibanGruppen heftige Gefechte geliefert hatten, und fordert einen auf, ihn zu einem späteren Zeitpunkt doch gerne zu begleiten. „Wir haben nichts gegen Journalisten, ganz im Gegenteil“, sagt er. Es gäbe sogar extra Fahrzeuge für die Presse.
Doch dann sind da eben auch jene finsteren Schergen, die tatsächlich am Eingang zum umkämpften Tal stehen: brutale Kämpfer mit wahnhaftem Blick, die versuchen, einem die Kamera zu entreißen und mit erhobener Waffe befehlen, sofort umzudrehen – obwohl man eigentlich offizielle Papiere dabei hat. Mit einem Mal erscheinen die Islamisten genauso grausam und gnadenlos, wie man es immer von ihnen erwartet hat. Und als dann die Kabinettsliste mit ihrer Ansammlung von Radikalen bekannt wird, scheint immer offensichtlicher zu werden, dass sich die Erzählung von den geläuterten Mullahs als großer Trugschluss entpuppen könnte.
Ein paar Tage später gehen in Kabul hunderte Menschen auf die Straßen. Es sind vor allem viele Frauen, die vorne mitmarschieren, als der Demonstrationszug durch die Stadt zieht. Vordergründig richtet sich der Protest gegen den Einfluss des mit den Taliban verbündeten Nachbarn Pakistan. Doch in Wahrheit geht es auch um Kritik an den Islamisten selbst. „Wir Frauen werden zurückgedrängt und ausgeschlossen. Das lassen wir uns nicht bieten“, schreit eine wütende Demonstrantin, die ihren Schleier knapp hinter dem Haaransatz trägt.
Die Taliban sind vollkommen überfordert. Immer wieder werden ihre Kämpfer, die in den Bergen zwanzig Jahre lang gegen die Amerikaner ausgeharrt hatten, von den Protestierenden überlaufen. Selbst Spezialeinheiten mit Pick-Ups können die wütende Menge nicht aufhalten. Am Ende fahren die völlig entnervten Gotteskrieger schwere MGs auf, schießen in die Luft, zertrümmern dabei die Fenster eines Nobelhotels und prügeln wahllos auf jeden ein, der nicht schnell genug weg ist. Zudem verhaften und schlagen sie Journalisten und konfiszieren deren Material.
Nach der Demonstration schlägt die Stimmung in Kabul sofort um. Die Taliban wirken jetzt auch nicht mehr freundlich, sondern bedrohlich und hart. Bei der RegierungsPressekonferenz am selben Abend schlägt Zabihulla Mujahid ähnliche Töne an: Solche Demonstrationen seien illegal, sagt er und fordert die Medienschaffenden auf, in Zukunft nicht mehr darüber zu berichten.
Das Emirat mit menschlichem Antlitz scheint Geschichte zu sein. Wenn es denn überhaupt jemals existiert hat.
Auf den Straßen sieht man kaum noch Frauen
Ein Kommandant will einen gleich zum Essen einladen