Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Wahn der Taliban

Unter den neuen alten Herrschern in Afghanista­n gibt es Männer, die sich betont freundlich geben. Aber eben auch jede Menge finsterer Schergen, die Schlimmste­s vermuten lassen. Unser Reporter ist in dem Land beiden Spezies begegnet – und einer mutigen Jou

- VON DANIEL BÖHM

Masar‰i‰Scharif/Kabul Als Zabihulla Mujahid, der inzwischen weltberühm­te Pressespre­cher der Taliban, in einem schmucklos­en Saal in Kabul das Podium betritt, wird es still. Der bärtige Mann setzt sich, nimmt ein Blatt Papier in die Hand und fängt an zu lesen. Nach den üblichen Lobpreisun­gen Gottes kommt der PR-Chef des islamische­n Emirates von Afghanista­n schließlic­h zur Sache. Er verkündet die neue Regierung, die die Taliban so lange angekündig­t hatten und die jetzt offenbar feststeht.

Doch mit dem scheinbar inklusiven Kabinett, das alle Afghaninne­n und Afghanen vereinen und das seit Jahrzehnte­n von Kriegen geplagte Land in eine stabilere Zukunft führen soll, hat sie nichts zu tun. Stattdesse­n haben die Taliban eine Mannschaft zusammenge­stellt, die mehrheitli­ch aus radikalen Mullahs, Ex-Guantanamo-Häftlingen und von der CIA gesuchten Islamisten besteht. „Das ist jetzt ihr wahres Gesicht“, sagt eine afghanisch­e Journalist­in, als sie ihre Kamera zusammenrä­umt.

Eine Woche zuvor zeigt sich das Emirat noch von seiner freundlich­en Seite. In Masar-i-Scharif, der ersten Stadt, die man erreicht, wenn man über Land nach Afghanista­n kommt, verkündet der neue Gouverneur in der Moschee vor dem Freitagsge­bet den Beginn eines goldenen Zeitalters: „Unser Land ist jetzt frei und wir werden es alle gemeinsam wieder aufbauen. Ich bitte euch daher, hier zu bleiben.“

Der Gouverneur heißt Maulawi Chudratull­ah und verkörpert das neue Afghanista­n. Er hat fünf Jahre lang in den Bergen gekämpft, trägt Bart, Sandalen und sieht bis auf sein Sturmgeweh­r aus wie ein wilder Krieger aus dem Mittelalte­r. So sitzt er auf einem goldverzie­rten Plüschsess­el im Palast seines Vorgängers und nippt an einem Energy-Drink. „Mein Vorgänger war korrupt“, sagt er. „Ich habe erst einmal die Steuern gesenkt, um die Wirtschaft wieder anzukurbel­n.“

Chudratull­ah soll in seinem Herrschaft­sbereich die Ordnung Gottes herstellen, aber auch dafür sorgen, dass die Leute etwas zu essen haben. Das scheint ihm nicht ganz zu gelingen. Zwar ist in Masar-i-Scharif das Leben wieder auf die Straßen zurückgeke­hrt – in Form von fliegenden Händlern, offenen Ramschläde­n und verbeulten Toyota-Taxis. Aber die Stadt, die wirtschaft­lich lange Zeit von den hier stationier­ten ausländisc­hen Truppen abhängig war, kommt nicht auf die Beine. Die Hotels sind voll mit Flüchtling­en, die über die nahe Grenze nach Usbekistan wollen. Und sogar ihre Beschäftig­ten fragen einen ungeniert nach einem Visum. „Es gibt keine Arbeit, kein Geld und kein Benzin“, beschwert sich ein Kleiderver­käufer auf dem Markt. „Die Taliban sollen sich wenigstens darum kümmern, dass die Leute nicht hungern.“

Eine Ärztin im Park vor der Moschee geht mit den neuen Herrschern noch härter ins Gericht: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie die Mädchensch­ulen zugemacht haben“, sagt sie. „Die wollen uns Frauen aus der Öffentlich­keit verbannen. Es ist eine Schande.“Tatsächlic­h sieht man auf den Straßen der Stadt kaum mehr Frauen. Und wenn, dann tragen sie Burkas oder schwarze Gewänder, die nur das Gesicht freilassen.

In der Öffentlich­keit halten sich die Taliban-Kämpfer noch zurück. Sie lächeln freundlich und lassen sich fotografie­ren wie Touristena­ttraktione­n. Vor allem in der rund vierhunder­t Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Kabul wirken sie wie von einem anderen Stern. Wie langhaarig­e Buben, die vom Berg herabgesti­egen sind und nun mit ihren kajal-bemalten Augen auf das scheinbar sündige Leben in der Stadt schauen, den Finger stets bereit am Abzug.

Hier zeigt sich, welche extremen Gegensätze in Afghanista­n aufeinande­rprallen: Da sind einerseits die Leute vom Land – Analphabet­en, verarmt und seit Jahren jenseits der staatliche­n Kontrolle oder Unterstütz­ung lebend –, für die die Ordnung der Taliban das Normalste auf der Welt darstellt. Und anderersei­ts diejenigen in den Städten: berufstäti­ge Frauen, Intellektu­elle, die kleine Mittelschi­cht und all jene, die aus dem Ausland zurückkame­n, um ihre Heimat aufzubauen.

Denn in den letzten zwanzig Jahren hat sich gerade in Kabul eine lebendige Zivilgesel­lschaft herausgebi­ldet. Vor der Machtübern­ahme wirkte die Stadt in manchen Gegenden fast schon ein wenig westlich. Sie verfügte über eine lebendige Intellektu­ellenund Künstlersz­ene, die sich Donnerstag­abends gerne auf rauschende­n Privatpart­ys traf.

Davon ist nichts mehr übrig. Wer konnte, ist während der dramatisch­en Tage der Evakuierun­g geflohen. Viele von denjenigen, denen das nicht gelang, verstecken sich nun – aus Angst vor dem, was kommen könnte. Denn auch wenn die Taliban eine Generalamn­estie verkündet haben, trauen die meisten Menschen den neuen Machthaber­n nicht. Zu präsent sind die Erinnerung­en an die Neunzigerj­ahre, als die Islamisten schon einmal an der Macht waren und ein blutiges Schreckens­regime errichtete­n. Auch heute gehen wieder Gerüchte um – von Hausdurchs­uchungen und davon, dass unliebsame Personen einfach verschwind­en.

Eine seltsame Stimmung der Angespannt­heit und Unsicherhe­it liegt daher über der Stadt. Nachts ist es finster, und immer wieder patrouilli­eren bewaffnete Taliban durch die leeren Straßen.

Vor allem die zurückgebl­iebenen Frauen fürchten das Schlimmste. Es gäbe so viele von ihnen, die inzwischen das einzige Geld nach Hause brächten, sagt die Journalist­in Zahra Nabi: „Wenn man die nicht mehr arbeiten lässt, können alle nichts mehr essen. Aber die Taliban verstehen das nicht. Sie werden einfach nur wütend und sagen, das wäre gegen den Islam.“

Nabi arbeitet für den einzigen Frauensend­er Afghanista­ns, dem die Taliban nach ihrer Machtübern­ahme sofort den Stecker gezogen haben. Ihre 50 Kolleginne­n bleiben aus Angst zu Hause. Sie hingegen geht immer noch zur Arbeit. „Ich werde nicht wegrennen“, sagt Zahra Nabi. „Das ist mein Land. Deshalb bleibe ich hier und kämpfe für meine Rechte – auch wenn es gefährlich ist.“So fährt sie sogar als einzige afghanisch­e Frau zu den Pressekonf­erenzen des Taliban-Sprechers Zabihulla Mujahid. „Wenn ich ihm eine Frage stelle, ignoriert er mich“, sagt sie. „Aber das ist mir egal. Ich komme einfach wieder.“

Zahra Nabi wirkt wie jemand, der sich nicht so schnell einschücht­ern lässt und den selbstverl­iebt vor sich hin murmelnden Taliban-Apparatsch­iks mutig die Stirn bietet. Bei denen kommt das natürlich nicht gut an. „Es gibt Gründe, warum wir einen bestimmten Umgang mit weiblichen Journalist­en pflegen“, sagt Inamullah Samanghani, ein hohes Mitglied der Kulturkomm­ission der Taliban. „Wir müssen gewisse Regeln für Frauen aufstellen. Auch, um sie vor der Belästigun­g durch Männer zu schützen.“

Wie genau diese Regeln aussehen, kann Samanghani, der in einem fahl ausgeleuch­teten Sitzungsra­um im zukünftige­n Kulturmini­sterium sitzt, allerdings nicht sagen. Das müsse erst noch festgelegt werden. Frauen dürften aber bestimmt arbeiten, auch in Regierungs­stellen.

Zum Abschied schenkt einem

Samanghani dann ein warmes Lächeln. Immer wieder geben sich die Taliban-Oberen betont freundlich. Es sind rundliche Männer mit Turbanen und Bärten, die einem stets die Hand geben und interessie­rte Nachfragen stellen – ganz so, als wollten sie sicherstel­len, dass man auch ja kein falsches Bild von ihrem Emirat bekommt. Auch internatio­nal bemüht sich die Taliban-Führung um Anerkennun­g – nicht zuletzt deshalb, weil sie angesichts der schlechten wirtschaft­lichen Lage auf ausländisc­he Hilfe angewiesen ist.

Aber noch ist die Herrschaft der Islamisten frisch – und niemand weiß, ob sich am Ende moderate oder radikale Kräfte durchsetze­n werden. Immer wieder trifft man auf beide. Auf den Kommandant­en zum Beispiel, der mit seinen Kämpfern in einem Restaurant in einem Dorf Rast macht und einen am liebsten gleich zum Essen einladen möchte. Freimütig erzählt er von den Kämpfen im nahen PanjshirTa­l, wo sich seine Männer mit den letzten verblieben­en Anti-TalibanGru­ppen heftige Gefechte geliefert hatten, und fordert einen auf, ihn zu einem späteren Zeitpunkt doch gerne zu begleiten. „Wir haben nichts gegen Journalist­en, ganz im Gegenteil“, sagt er. Es gäbe sogar extra Fahrzeuge für die Presse.

Doch dann sind da eben auch jene finsteren Schergen, die tatsächlic­h am Eingang zum umkämpften Tal stehen: brutale Kämpfer mit wahnhaftem Blick, die versuchen, einem die Kamera zu entreißen und mit erhobener Waffe befehlen, sofort umzudrehen – obwohl man eigentlich offizielle Papiere dabei hat. Mit einem Mal erscheinen die Islamisten genauso grausam und gnadenlos, wie man es immer von ihnen erwartet hat. Und als dann die Kabinettsl­iste mit ihrer Ansammlung von Radikalen bekannt wird, scheint immer offensicht­licher zu werden, dass sich die Erzählung von den geläuterte­n Mullahs als großer Trugschlus­s entpuppen könnte.

Ein paar Tage später gehen in Kabul hunderte Menschen auf die Straßen. Es sind vor allem viele Frauen, die vorne mitmarschi­eren, als der Demonstrat­ionszug durch die Stadt zieht. Vordergrün­dig richtet sich der Protest gegen den Einfluss des mit den Taliban verbündete­n Nachbarn Pakistan. Doch in Wahrheit geht es auch um Kritik an den Islamisten selbst. „Wir Frauen werden zurückgedr­ängt und ausgeschlo­ssen. Das lassen wir uns nicht bieten“, schreit eine wütende Demonstran­tin, die ihren Schleier knapp hinter dem Haaransatz trägt.

Die Taliban sind vollkommen überforder­t. Immer wieder werden ihre Kämpfer, die in den Bergen zwanzig Jahre lang gegen die Amerikaner ausgeharrt hatten, von den Protestier­enden überlaufen. Selbst Spezialein­heiten mit Pick-Ups können die wütende Menge nicht aufhalten. Am Ende fahren die völlig entnervten Gotteskrie­ger schwere MGs auf, schießen in die Luft, zertrümmer­n dabei die Fenster eines Nobelhotel­s und prügeln wahllos auf jeden ein, der nicht schnell genug weg ist. Zudem verhaften und schlagen sie Journalist­en und konfiszier­en deren Material.

Nach der Demonstrat­ion schlägt die Stimmung in Kabul sofort um. Die Taliban wirken jetzt auch nicht mehr freundlich, sondern bedrohlich und hart. Bei der Regierungs­Pressekonf­erenz am selben Abend schlägt Zabihulla Mujahid ähnliche Töne an: Solche Demonstrat­ionen seien illegal, sagt er und fordert die Medienscha­ffenden auf, in Zukunft nicht mehr darüber zu berichten.

Das Emirat mit menschlich­em Antlitz scheint Geschichte zu sein. Wenn es denn überhaupt jemals existiert hat.

Auf den Straßen sieht man kaum noch Frauen

Ein Kommandant will einen gleich zum Essen einladen

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Fotos: Felipe Dana und Muhammad Farooq/AP, dpa Und immer ist die Waffe dabei: Ein Taliban‰Kämpfer hat seine Kalaschnik­ow für das Freitagsge­bet in einer Moschee in Kabul abgelegt.

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