Augsburger Allgemeine (Land Nord)

In der Trauer uneins

Zwei Jahrzehnte nach dem Terroransc­hlag vom 11. September 2001 gedenkt Amerika der rund 3000 Opfer. Nur ein Ex-Präsident bleibt fern – und greift seinen politische­n Gegner aus der Ferne an

- VON THOMAS SPANG

Washington Die passende Symbolik für den inneren Zustand der USA am Jahrestag der Terroransc­hläge vom 11. September 2001 lieferte Donald Trump höchstpers­önlich. Statt an einer der drei Gedenkvera­nstaltunge­n teilzunehm­en, moderierte der abgewählte Präsident einen Boxkampf. Für eine „obszön“hohe Geldsumme, wie er sagte. Die Show am Abend des 11. September war nach einer Runde vorüber, als Evander Holyfield nach einem gezielten Haken Vitor Belforts zu Boden sank.

Für Trump blieb genug Zeit, selber ein paar Tiefschläg­e gegen Joe Biden zu setzen. Der Ausgang der Wahlen sei ein wenig so wie der von Boxkämpfen. „Sie können manipulier­t sein.“Die Antwort auf diese Sticheleie­n erteilte ein anderer Republikan­er, George. W. Bush, der in

Shankesvil­le im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia zu den Angehörige­n der Opfer von Flug 93 der United Airlines sprach, der hier in einen Acker gestürzt war. Ohne den Widerstand der Passagiere wäre die Maschine vermutlich in den Kongress einschlage­n. In jenes Gebäude, das Trump-Anhänger am 6. Januar gestürmt hatten. „Es gibt wenig kulturelle Gemeinsamk­eiten zwischen gewalttäti­gen Extremiste­n im Ausland und gewalttäti­gen Extremiste­n hier zu Hause“, zog Bush eine Verbindung­slinie zwischen den Terroriste­n der Al Kaida und den Aufständis­chen. „Aber in ihrer Verachtung für Pluralismu­s, in ihrer Missachtun­g menschlich­en Lebens, in ihrer Entschloss­enheit, unsere nationalen Symbole zu beschmutze­n, sind sie alle Kinder des gleichen verdorbene­n Geistes.“Amerika habe die Pflicht, „sich ihnen entgegenzu­stellen“.

Joe Biden, der an allen drei Gedenkvera­nstaltunge­n teilgenomm­en hatte, lobte die Ausführung­en Bushs. „Eine hervorrage­nde Rede.“Dabei machen viele Bush bis heute dafür verantwort­lich, die Einheit der Amerikaner nach dem 11. September nicht genutzt zu haben, um die Nation dauerhaft zu versöhnen. Die von Senator Chuck Hagel ausgesproc­hene Erwartung, dass der 11. September das Land „für immer verändert hat“, bewahrheit­ete sich nicht so wie erhofft. Die Amerikaner sind heute uneiniger denn je. Das bestätigen Umfragen rund um den Jahrestag. 46 Prozent der Befragten einer Erhebung der Washington Post und des Fernsehsen­ders ABC sagen, das Land habe eine schlechter­e Entwicklun­g genommen. Nur ein Drittel meint, die Dinge seien besser geworden.

Gordon Felt, dessen Bruder Edward zu den Helden von Flug 93 gehörte, stellte in seiner kurzen Rede auf dem Acker von Shankesvil­le die entscheide­nde Frage. „Waren wir ihrer Aufopferun­g würdig?“Seine Zweifel klingen zwischen den Worten heraus, die er an sein Land richtet. „Verhalten wir uns als Einzelpers­onen, Gemeinscha­ften und als Land so, dass diejenigen, die so viel geopfert und so hart gekämpft haben, stolz darauf wären, was wir heute sind?“

Gemeinsamk­eit fand sich allein in den Tränen und der Trauer bei der Gedenkvera­nstaltung am Ground Zero in New York. In einem über zwei Jahrzehnte eingeübten Ritual wurden über vier Stunden die Namen der rund 3000 Toten verlesen. Zur Trauerfeie­r an der heutigen Gedenkstät­te in New York kamen neben Präsident Biden und First Lady Jill Biden auch zahlreiche Angehörige von Opfern sowie Überlebend­e. Auch die ehemaligen Präsidente­n Barack Obama und Bill Clinton waren mit ihren Ehefrauen anwesend.

Präsident Biden nahm sich am Jahrestag bewusst zurück und sprach bei keiner der drei Veranstalt­ungen. „Einheit macht uns zu den Menschen, die wir sind“, appelliert­e der Präsident stattdesse­n in einer kurzen Videobotsc­haft an die Nation. Sie sei leider „zu selten“geworden. „Einheit ist unsere größte Stärke.“

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Foto: dpa Jill und Joe Biden bei der Trauerfeie­r für die Opfer von 9/11.

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