Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In der Trauer uneins
Zwei Jahrzehnte nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 gedenkt Amerika der rund 3000 Opfer. Nur ein Ex-Präsident bleibt fern – und greift seinen politischen Gegner aus der Ferne an
Washington Die passende Symbolik für den inneren Zustand der USA am Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 lieferte Donald Trump höchstpersönlich. Statt an einer der drei Gedenkveranstaltungen teilzunehmen, moderierte der abgewählte Präsident einen Boxkampf. Für eine „obszön“hohe Geldsumme, wie er sagte. Die Show am Abend des 11. September war nach einer Runde vorüber, als Evander Holyfield nach einem gezielten Haken Vitor Belforts zu Boden sank.
Für Trump blieb genug Zeit, selber ein paar Tiefschläge gegen Joe Biden zu setzen. Der Ausgang der Wahlen sei ein wenig so wie der von Boxkämpfen. „Sie können manipuliert sein.“Die Antwort auf diese Sticheleien erteilte ein anderer Republikaner, George. W. Bush, der in
Shankesville im US-Bundesstaat Pennsylvania zu den Angehörigen der Opfer von Flug 93 der United Airlines sprach, der hier in einen Acker gestürzt war. Ohne den Widerstand der Passagiere wäre die Maschine vermutlich in den Kongress einschlagen. In jenes Gebäude, das Trump-Anhänger am 6. Januar gestürmt hatten. „Es gibt wenig kulturelle Gemeinsamkeiten zwischen gewalttätigen Extremisten im Ausland und gewalttätigen Extremisten hier zu Hause“, zog Bush eine Verbindungslinie zwischen den Terroristen der Al Kaida und den Aufständischen. „Aber in ihrer Verachtung für Pluralismus, in ihrer Missachtung menschlichen Lebens, in ihrer Entschlossenheit, unsere nationalen Symbole zu beschmutzen, sind sie alle Kinder des gleichen verdorbenen Geistes.“Amerika habe die Pflicht, „sich ihnen entgegenzustellen“.
Joe Biden, der an allen drei Gedenkveranstaltungen teilgenommen hatte, lobte die Ausführungen Bushs. „Eine hervorragende Rede.“Dabei machen viele Bush bis heute dafür verantwortlich, die Einheit der Amerikaner nach dem 11. September nicht genutzt zu haben, um die Nation dauerhaft zu versöhnen. Die von Senator Chuck Hagel ausgesprochene Erwartung, dass der 11. September das Land „für immer verändert hat“, bewahrheitete sich nicht so wie erhofft. Die Amerikaner sind heute uneiniger denn je. Das bestätigen Umfragen rund um den Jahrestag. 46 Prozent der Befragten einer Erhebung der Washington Post und des Fernsehsenders ABC sagen, das Land habe eine schlechtere Entwicklung genommen. Nur ein Drittel meint, die Dinge seien besser geworden.
Gordon Felt, dessen Bruder Edward zu den Helden von Flug 93 gehörte, stellte in seiner kurzen Rede auf dem Acker von Shankesville die entscheidende Frage. „Waren wir ihrer Aufopferung würdig?“Seine Zweifel klingen zwischen den Worten heraus, die er an sein Land richtet. „Verhalten wir uns als Einzelpersonen, Gemeinschaften und als Land so, dass diejenigen, die so viel geopfert und so hart gekämpft haben, stolz darauf wären, was wir heute sind?“
Gemeinsamkeit fand sich allein in den Tränen und der Trauer bei der Gedenkveranstaltung am Ground Zero in New York. In einem über zwei Jahrzehnte eingeübten Ritual wurden über vier Stunden die Namen der rund 3000 Toten verlesen. Zur Trauerfeier an der heutigen Gedenkstätte in New York kamen neben Präsident Biden und First Lady Jill Biden auch zahlreiche Angehörige von Opfern sowie Überlebende. Auch die ehemaligen Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton waren mit ihren Ehefrauen anwesend.
Präsident Biden nahm sich am Jahrestag bewusst zurück und sprach bei keiner der drei Veranstaltungen. „Einheit macht uns zu den Menschen, die wir sind“, appellierte der Präsident stattdessen in einer kurzen Videobotschaft an die Nation. Sie sei leider „zu selten“geworden. „Einheit ist unsere größte Stärke.“