Augsburger Allgemeine (Land Nord)
So will Bayern zur Weltraummacht werden
Im Rahmen der Hightech-Agenda soll Europas größte Luft- und Raumfahrt-Fakultät in Ottobrunn südlich von München entstehen. Wie weit das Projekt gediehen ist – und was die Wirtschaft davon hat
Taufkirchen/Ottobrunn Das Spacigste in der Gegend, so scheint es, sind die Haltestellen. Die hat Airbus mit Aufnahmen aus dem All bekleben lassen. Wer hier auf den Bus wartet, kann sich davon inspiriert gedanklich in unendliche Weiten beamen. Dass hier in Ottobrunn, südöstlich von München, auf dem Ludwig Bölkow Campus, Europas größte Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie (LRG) entsteht, erschließt sich zumindest nicht auf den ersten Blick. Muss es aber auch nicht, denn bis 2030 ist es noch ein bisschen. Dann erst sollen hier insgesamt 55 Professorinnen und Professoren in einem eigenen großen Fakultätsgebäude forschen, experimentieren, lehren und mit ihren Mitarbeitenden und Studierenden dazu beitragen, dass die bayerische „Mission Space Valley“zum Erfolg wird. Zu diesem gehört nicht nur die seit 2018 im Werden begriffene 15. Fakultät der Technischen Universität München (TUM), aber sie soll dem Ganzen den richtigen Schub geben.
Wer fragt, was mit dem Ganzen gemeint ist und wo im Freistaat Innovation und Zukunft ist, kann sich erinnern, dass im Arbeitszimmer von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in der Staatskanzlei mindestens so viele Astronauten und Star-Wars-Figuren zu sehen sind wie Franz-Josef-Strauß-Büsten. Söders großes industriepolitisches Vorbild war der technologischen Zukunft zugewandt und sein fünfter Nachfolger beeilte sich, eine milliardenschwere Technologieoffensive zu starten, die manchem etwas jenseitig anmutete, aber das klare Ziel verfolgt, die „Spitzenstellung
der Forschung“im Freistaat auszubauen. Zur bayerischen Hightech-Agenda gehören sehr viele Projekte, die den Luft- und Raumfahrtstandort Bayern fördern und – zunächst auf diesem Planeten – bekannter machen sollen.
Wie und ob das gelingt, wird man auch daran überprüfen können, wie sich die neue Luft- und RaumfahrtFakultät entwickelt. Klaus Drechsler sagt es so: „Was hier gerade pasist einmalig.“Der Professor ist seit 2009 Leiter des Lehrstuhls für Carbon Composites an der TU München, Leiter des in Augsburg ansässigen Fraunhofer-Instituts für Gießerei, Composite- und Verarbeitungstechnik und einer der Gründungsprofessoren der neuen Fakultät. Er beschreibt, wie diese seit nun drei Jahren aufgebaut, wie die traditionsreiche Luft- und Raumfahrtforschung der TU mit der Satelliin tennavigation, Erdbeobachtung und den geodätischen Basisdisziplinen (der Vermessung des Planeten) zusammengeführt wird und wohin die Bemühungen der derzeit noch 22 Professoren-Kollegen perspektivisch führen. Vorläufiger Höhepunkt war im Juli die Eröffnung des offiziellen Sitzes. Auch wenn der nur vorübergehender Art ist, das Gebäude noch mit Professoren zu befüllen ist und der große eigentliche Fakultätsneubau erst geplant wird, war Bavaria-One-Commander Söder trotzdem vor Ort.
Bekannt sei die Fakultät bereits. Und zwar weltweit, sagt Professor Drechsler. In den vergangenen Tagen habe er Bewerbungsgespräche für die nächsten Erstsemester geführt. Zwei Tage lang schalteten er und das LRG-Kollegium sich von Asien über Arabien in die USA. 700 Kandidatinnen und Kandidaten für rund 250 Studienplätze. Drechsler ist überzeugt: „Das Konzept geht auf, die Fakultät wird ein globaler Magnet für junge Leute.“
Neben den Studenten müssen natürlich auch Forscher angeworben werden. Die TU hat ohnehin einen exzellenten Ruf, die Fakultät hat bekannte Namen wie den Astronauten Ulrich Walter, aber eben auch den Standort in Ottobrunn/Taufkirchen, der zwar sehr gewerbegebietsmäßig anmutet, aber in dem sehr viel steckt. Nicht nur Airbus als Europas größter Flugzeughersteller ist vor Ort. Im und um den Campus ist schon längst eine Menge Innovation versammelt. Nur ein Beispiel von vielen: Nicht weit von hier hat Isar Aerospace, ein Start-up von ehemaligen TU-Studenten, seinen Sitz, das mit seinen Trägerraketen für kleinere und mittlere Satelliten insiert, ternational Schlagzeilen macht. Die Fakultät hat ferner Dependancen auf dem Forschungscampus in Garching und in Oberpfaffenhofen, wo das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt samt Forschungsflughafen ist.
Richtig Schlagzeilen hat die neue Fakultät bisher ausgerechnet mit einem irdischen Projekt gemacht. Dem Hyperloop, einem Hochgeschwindigkeitstransportsystem, in dem Kapseln in einer nahezu luftleeren Röhre fast mit Schallgeschwindigkeit unterwegs sein sollen. Und das, wenn es nicht nur in Schanghai, sondern tatsächlich in Deutschland gebaut würde, Inlandsflüge überflüssig machen könnte. Bei so einem Projekt kann einem natürlich der von einem anderen Strauß-Nachfolger für alle Ewigkeit vermarktete Transrapid einfallen.
Man kann aber auch wie Professor Drechsler an die großen Chancen denken, die die Idee mit sich bringt, und betonen, dass es der neuen Fakultät ganz explizit nicht nur um andere, sondern vor allem auch um den Heimatplaneten geht. Einer der Slogans lautet nicht umsonst „Mission Erde“. Und interdisziplinär profitierten von so einem Projekt auch Luft- und Raumfahrt sehr. Eine erste kleine Teststrecke wird bald auf dem Ludwig Bölkow Campus entstehen. Seinen Ursprung hatte das Projekt übrigens in einem von Elon Musk 2015 ausgerufenen Studentenwettbewerb. Die Nachwuchsforscher der TU hatten dort Erfolg. Es soll hier bald sehr viel mehr davon geben. Auf dem Bauzaun am neuen Fakultätsgebäude steht: „Blick in die Zukunft – Eröffnung einer neuen Welt.“