Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Die Situation ist brutal“

Peter Maffay hat seinen Vater verloren und ist Vater geworden. Darüber singt er nun auf seinem persönlich­sten Album – das es ohne Corona so nicht gäbe. Er spricht aber auch über bittere Folgen der Pandemie. Und über die K-Frage

- Interview: Steffen Rüth

Herr Maffay, wird Angela Merkel Ihnen fehlen?

Peter Maffay: Ja, das wird sie definitiv. Eine Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird nicht ohne Weiteres ersetzbar sein. Sehr vieles, was sie gemacht und entschiede­n hat, war richtig und gut. Immer die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen, ist in der Politik genauso unmöglich wie im Leben. Es gibt auch etliches, was man kritisch betrachten muss. Aber grundsätzl­ich war Angela Merkel über viele Jahre eine ausgleiche­nde Persönlich­keit und eine gute Bundeskanz­lerin.

Und? Wer soll Merkel nachfolgen?

Maffay: Ich wünsche mir als Bundeskanz­lerin oder als Bundeskanz­ler jemanden, der oder die so viel Autorität, so viel Gewicht mitbringt in dieses Amt, wie wir brauchen, um unsere Gesellscha­ft auf Kurs zu halten. Im Augenblick habe ich Schwierigk­eiten, mir von den drei zur Auswahl stehenden Personen jemanden vorzustell­en, der oder die das kann. Wir bräuchten eine Persönlich­keit, die auch diejenigen Menschen bindet, die ein anderes Parteibuch haben. Jemanden, der in der Lage ist, die Nation zu einen und zu führen. Ich wünsche mir eine Person an der Spitze, die sagt: „Ich vertrete alle Deutschen.“Von so einem Kaliber gibt es in Deutschlan­d nicht sehr viele.

Da Sie Armin Laschet freundscha­ftlich verbunden sind, sind Sie in der Frage, wer es denn werden soll, wahrschein­lich etwas befangen, oder?

Maffay: Armin ist jemand, der es versteht, verschiede­nste Positionen an einem Tisch zu vereinen und die Lösung im Kompromiss zu suchen. Ich halte ihn für einen sehr bodenständ­igen, verantwort­ungsvollen Menschen. Ich glaube aber, dass man ziemlich viel Kraft mitbringen muss, um die Erosionen in unserer Gesellscha­ft zu stoppen. Wenn er Bundeskanz­ler würde, wäre es wichtig, dass man die Eigenschaf­t des Kämpfers verstärkt an ihm erkennt.

Im Moment ist Olaf Scholz der Favorit. Ihrer auch?

Maffay: Olaf Scholz ist nach meiner Wahrnehmun­g ein überlegter und erfahrener Mensch. Ich schätze ihn als Person sehr. Er hat nur das Manko, das Armin übrigens auch hat, dass seine Partei enorm an Substanz verloren hat. Weder die SPD noch die CDU sind heute die Volksparte­i, die sie einmal waren. Deshalb bin ich skeptisch.

Bleiben die Grünen, bleibt Annalena Baerbock.

Maffay: Die Grünen sind für mich eine denkbare Alternativ­e, wenn sie bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen und wenn in der Partei Einigkeit herrscht. Im Moment sieht es ja so aus, als wären diese Bedingunge­n erfüllt. Und bevor Sie fragen: Markus Söder sehe ich überhaupt nicht als Alternativ­e.

Ihr neues Lied „Odyssee“haben Sie dem ertrunkene­n Flüchtling­sjungen Aylan Kurdi gewidmet, dessen Foto 2015 um die Welt ging. Gerade geht Afghanista­n unter. Was empfinden Sie, wenn Sie die Nachrichte­n sehen?

Maffay: Ich bin ein paar Mal in Afghanista­n gewesen, Ende der Siebziger schon war ich etwa in Peschawar, später haben wir in Kabul ein humanitäre­s Projekt ins Leben gerufen. Ich bin schockiert über das Ausmaß des Rückfalls. Ich dachte, dass das Land nach den Auseinande­rsetzungen mit Russland und den USA zu einem gewissen inneren Frieden finden würde und dass der Einfluss von außen die Gesellscha­ft stärkt. Was wir jetzt erleben, ist das Gegenteil. Man könnte die Situation auch umschreibe­n mit „Alles für die Katz“. Das ist ungeheuer frustriere­nd.

Was kann man tun?

Maffay: Ich habe auch keine Antwort. Außer vielleicht, dass man einsehen muss, dass alle Absichten, dieses Land in eine bestimmte Richtung zu begleiten oder auch zu drängen, zu nichts führen. Man kann die eigenen Systeme nicht einfach jemand anderem überstülpe­n und denken, das wird schon passen. Wir wissen zu wenig über Tradition und Kultur in diesem Land. Im Augenblick sieht es so aus, als würde Afghanista­n versinken. Fragt sich nur, wie tief. Dass der Westen das Land praktisch aufgibt, mag folgericht­ig sein, und ist dennoch ein trauriges Kapitel. Ich habe relativ viele afghanisch­e Freunde, oft mit Familienan­gehörigen im Land. Denen blutet das Herz angesichts dieser Katastroph­e.

Sie selbst haben ab Ende August nach langer Durststrec­ke endlich mal wieder einige Konzerte in Deutschlan­d und der Schweiz gespielt. Wie war es?

Maffay: Wunderschö­n. Doch jetzt müssen wir uns endlich auf verbindlic­he und längerfris­tige Konzepte einigen.

Also auf Konzerte nur für Geimpfte und Genesene?

Maffay: Anders wird es nicht gehen. Das muss das Modell sein für die nahe Zukunft. Im Sport funktionie­rt das ja auch. Der sechstgröß­te Wirtschaft­szweig in Deutschlan­d leidet immens. Viele von uns stehen längst mit dem Rücken zur Wand, einige sind bereits durchs Raster gefallen. Die Situation ist brutal. Es wäre fantastisc­h und extrem wichtig, wenn wir wieder in eine gewisse Normalität zurückfind­en könnten.

Ihnen selbst ist das bereits mit Ihrem neuen Album gelungen. Ohne Corona gäbe es jetzt kein „So weit“.

Maffay: Das ist richtig. Wir konnten nicht live spielen, und ich hatte die Wahl, entweder weiterzuma­chen oder alles runterzufa­hren. Ich habe die Verantwort­ung für viele Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, also entschied ich mich, den Laden quasi offenzulas­sen. Und machte aus einer schwierige­n Situation etwas, wie ich finde, Besonderes. Ohne die Pandemie wäre ein solches, harmonisch­ausgeglich­enes statt kantiges Album nie entstanden.

Es ist ein sehr ruhiges, persönlich­es und total intimes Album. Wie ist es entstanden?

Maffay: Ich hatte noch viele, teilweise fünf, sechs Jahre alte Demo-Skizzen von Songs, die ich noch nicht aufgenomme­n hatte. Ich entschied mich, möglichst eng an den reduzierte­n Ursprungsv­ersionen zu bleiben. Das Album sollte mein Fingerabdr­uck eines ganz bestimmten Zeitabschn­itts sein. Der einzige Musiker, der neben mir dabei ist, ist mein Kumpel und Multiinstr­umentalist JB Meijers. Wir haben alles zu zweit in meinem Studio in Tutzing eingespiel­t. Das war für mich eine enorm schöne, kreative und befriedige­nde Arbeit. Wir hatten einen tollen Flow und einen sehr entspannte­n Rhythmus zusammen. Die Songtexte habe ich dann parallel zu den Musikaufna­hmen mit Johannes Oerding und seinem Kreativpar­tner Benni Dernhoff geschriebe­n. Wir können einfach sehr gut miteinande­r arbeiten, die beiden schreiben wunderbar feinfühlig.

Die Lieder drehen sich zum Großteil um den Kreislauf des Lebens. Denkt man mit 72 mehr über seine bisherige Zeit auf Erden nach als etwa mit 32?

Maffay: Ja, natürlich. Der Radius hat sich durch Corona stark verkleiner­t, ich bin sehr viel mit meiner Familie zusammen gewesen und das hat dazu geführt, dass ich dieses Leben auch in meinen Texten wiederfind­en wollte. Ich hatte Zeit, über ein paar Dinge nachzudenk­en und die philosophi­schen Quintessen­zen meiner Überlegung­en in die Lieder einfließen zu lassen.

„Wann immer“ist eine schöne Liebeserkl­ärung an Ihre Tochter Anouk, die im November drei Jahre alt wird. Maffay: Genau. Zur Taufe von Anouk jetzt Anfang August in einer kleinen Kirche in Dietlhofen hat meine Partnerin Hendrikje mich gebeten, „Wann immer“zu spielen. Also habe ich mich gequetscht und dieses Lied so eindringli­ch wie möglich für unsere Kleine gesungen. Das war ein sehr intensiver, sehr schöner Moment.

Vom anderen Ende des Lebenskrei­slaufs erzählen Sie in „Wenn wir uns wiedersehe­n“, dem berührende­n Lied für Ihren Vater Wilhelm, der im Mai mit fast 95 Jahren gestorben ist. Maffay: „Wenn wir uns wiedersehe­n“ist für mich vor allem ein tröstliche­s Lied voller Dankbarkei­t und Liebe. Wir wussten, was auf uns zukommt, sein Tod zeichnete sich lange ab, und ich hatte Zeit, über die Worte nachzudenk­en, die ich ihm sagen wollte.

Ihre Tochter ist knapp drei, Ihr Vater war 94, Sie selbst sind mit Ihren 72 Jahren irgendwo dazwischen… Maffay: Vor kurzem erst war ich auf der Beerdigung eines Freundes, Balou Temme. Er war jünger als ich. Sein plötzliche­r Tod machte mir einmal mehr klar, wie wenig wir diese Dinge bestimmen können. Wenn ich mir vor Augen führe, was einem im Alter von 72 alles widerfahre­n kann, dann ist es evident, dass ich mich wohl im letzten Fünftel meines Lebens befinde. Es macht Sinn, mich mit diesen Fragen rund um den „Circle of Life“zu beschäftig­en. Ich habe auch keine Berührungs­ängste mit dem Thema Vergänglic­hkeit. Man muss vorbereite­t sein. Und mit diesem Album mache ich genau das – ich bereite mich vor.

Was soll von Ihnen überdauern? Was sollen die Menschen in 50 Jahren mit Ihnen verbinden?

Maffay (lacht): Mir ist nicht wichtig, ob die Leute in 50 Jahren überhaupt irgendetwa­s mit mir verbinden. Wenn sie es tun, würde es mich aber auch nicht stören. Wichtig ist mir, Rückschau zu halten auf die abgelaufen­e Zeit. Ich kann sagen: Ich bin reich beschenkt worden. Ich hatte das große Glück, ein weitestgeh­end selbstbest­immtes Leben zu führen, in dem vieles funktionie­rt hat.

Im Titelsong geht es allerdings auch um die Täler auf Ihrem Lebensweg.

Maffay: Das ist richtig, ich habe Brüche erlebt. Ich bin ein paar Mal ordentlich gegen die Wand gebrettert, doch das habe ich überstande­n und konnte mir meine positive Lebenshalt­ung bewahren. Der liebe Gott hat mir eine ziemlich stabile gesundheit­liche Verfassung geschenkt. Ich erlebe gerade einen kleinen Menschen, so wie ich es noch nie erlebt habe. Ich habe einen Sohn, Yaris, der jetzt 18 ist, überwiegen­d bei uns lebt, auch Musiker werden möchte, und den ich über alles liebe. Ich bin zusammen mit einer schönen, jungen, intelligen­ten Frau. Also, was soll ich sagen, das Leben hat es gut mit mir gemeint (lacht).

„ Ich bereite mich auf die Vergänglic­hkeit vor

„Wir zwei“ist das Liebeslied für Sie und Ihre Partnerin. Sie sagen, Sie stehen auf ihre „gnadenlose Ehrlichkei­t“. Maffay: Ja, so ist es. Hendrikje ist viel jünger als ich, und sie hat sich eingelasse­n mit so einem komplizier­ten Menschen. Das ist schon eine Entscheidu­ng – und umgekehrt natürlich auch. Wir sind uns ja einfach über den Weg gelaufen – und dann hat es gleich richtig geknallt. Daraus haben wir dann ziemlich umgehend weitere Entscheidu­ngen folgen lassen. Ich kann mich noch gut erinnern, welchen Aufschrei unsere Beziehung bei irgendwelc­hen Kleingeist­ern verursacht hat. Uns war klar, dass wir mit unserer Liebe ein gewisses Echo erzeugen, und das war okay für uns. Und jetzt bereite ich mich auf den Abiturball meiner Tochter vor (lacht).

Sie haben auch gemeinsam ein Buch geschriebe­n: „Anouk, die nachts auf Reisen geht“. Weiß Anouk Bescheid?

Maffay: Natürlich. Wir haben ihr das Buch gezeigt. Mit ihren fast drei Jahren reflektier­t sie die Dinge auf eine Art und Weise, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Wir unterhalte­n uns mit ihr inzwischen fast wie mit einer Erwachsene­n. Anouk weiß natürlich, dass die Illustrati­onen autobiogra­fisch sind.

Wird die Familie wohl noch wachsen?

Maffay (lacht): Das glaube ich weniger. Wir haben Yaris, wir haben Anouk, wir haben uns. Wir sind eine kleine Familie. Wir fühlen uns komplett.

Peter Maffay, 72, ist einer der er‰ folgreichs­ten deutschen Musiker, auch mit seiner Märchenfig­ur Tabalu‰ ga. Der gebürtige Rumäne lebt mit Familie in Tutzing und hat seit lan‰ gem eine eigene Stiftung für Kin‰ der in Not. Seine bereits mehrfach verschoben­e Tour zum 50. Jubilä‰ um soll nun im Februar 2022 starten.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? „Das Leben hat es gut mit mir gemeint“– 72 ist Peter Maffay inzwischen und sagt: „Ich bin reich beschenkt worden. Ich hatte großes Glück…“
Foto: Peter Kneffel, dpa „Das Leben hat es gut mit mir gemeint“– 72 ist Peter Maffay inzwischen und sagt: „Ich bin reich beschenkt worden. Ich hatte großes Glück…“
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany