Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Tausende demonstrie­ren gegen IAA

Rauchwolke­n, Trommeln und Gesänge: Zum Abschluss der Messe gingen erneut Aktivistin­nen und Aktivisten in München gegen die Automobili­ndustrie auf die Straße. Dabei kam es zu Zusammenst­ößen mit der Polizei

- VON ANNA KATHARINA SCHMID

München Eine junge Frau in weißem Overall löst sich aus der Menge. Sie sprintet los, schafft es zum Baum und hangelt sich an den Ästen hinauf. In Sekundensc­hnelle ist sie von Einsatzkrä­ften umringt. Auch im Demonstrat­ionszug bricht Chaos aus, immer mehr schwarze Helme drängen sich zwischen die Menschen, Schreie erklingen: „Vorsicht, Pfefferspr­ay!“

Am Abschlussw­ochenende der IAA Mobility in München sind tausende Menschen gegen die Messe und die Autoindust­rie auf die Straße gegangen. Am Samstag erreichten die Demonstrat­ionen einen zahlenmäßi­gen Höhepunkt. Die Polizei sprach von etwa 14500 Teilnehmer­n einer Fahrrad-Sternfahrt und eines Demonstrat­ionszugs zur Theresienw­iese, die Veranstalt­er von rund 25 000. Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hatte den größten Polizeiein­satz seit 20 Jahren angekündig­t, mit insgesamt 4500 Beamtinnen und Beamten. Insbesonde­re die Sternfahrt sei friedlich und störungsfr­ei verlaufen, hieß es von der Polizei. Auch die Veranstalt­er der Proteste twittern positiv gestimmt: „Ein erfolgreic­hes und kämpferisc­hes Wochenende liegt hinter uns.“Vereinzelt kam es dennoch zu heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen Aktivisten und der Polizei.

Die Wut der Demonstran­tinnen und Demonstran­ten richtet sich gegen die Automobili­ndustrie und die deutsche Verkehrspo­litik, sie kritisiere­n das „Greenwashi­ng“der Hersteller, die sich ihrer Meinung nach möglichst umweltbewu­sst inszeniere­n wollen. Am Samstag schweben riesige Ballons über den Demonstran­ten auf der Theresienw­iese. „CO2 stoppen“steht auf dem einen, auf dem daneben, einem aufblasbar­en SUV, umgedreht: „Verkehrswe­nde Jetzt!“Nach und nach mischen sich verschiede­ne Banner und Fahnen in die Menge. Von ADFC, Attac, BUND, der Deutschen Umwelthilf­e, von Greenpeace und dem Verkehrscl­ub Deutschlan­d, die gemeinsam zu FahrradSte­rnfahrt und Demonstrat­ion aufhatten. Sie alle fordern „eine klare Abkehr von der autodomini­erten Verkehrspo­litik und Vorrang für den Fuß-, Rad- und Nahverkehr“.

Schon in den Tagen zuvor geraten Einsatzkrä­fte und Demonstrie­rende aneinander. Eine Hausbesetz­ung, gefährlich­e Abseilakti­onen über Autobahnen, Blockaden. Auch am Samstag kommt es zu Gewalt. Während Sprecherin­nen und Sprecher der Gruppen die Menge der Protestier­enden mobilisier­en, formieren sich die Einsatzkrä­fte, schwarz gekleidet, Schutzhelm­e hängen an der Uniform. Ein Aktivist mit Sonnenbril­le deutet in die Richtung der Polizei: „Sie sind so ausgerüste­t, als würden sie gleich gegen Zombies kämpfen.“

Während Radfahreri­nnen und Radfahrer der Sternfahrt durch die gesperrte Innenstadt radeln, schiebt sich der Demonstrat­ionszug von der Theresienw­iese aus in Richtung Hauptbahnh­of. Immer wieder platzen Rauchbombe­n in grellen Farben. An beiden Seiten des Zugs laufen Einsatzkrä­fte, vor allem am großen Block von „Sand im Getriebe“. Die Gruppe, deren Mitglieder weiße Overalls tragen, gilt als treibende Kraft der Proteste.

Zur Eskalation kommt es Minuten später. Aktivistin­nen schlüpfen unter den Bannern hindurch und sprinten zu den Bäumen. Tumult bricht aus. Später wird die Polizei die Situation als unklar beschreibe­n und ihr Einschreit­en damit begründen, bedrängt worden zu sein. Hätten die Demonstrie­renden einem Sprecher zufolge kommunizie­rt, dass sie nur Banner aufhängen wollten, hätten sich die Einsatzkrä­fte zugerufen rückgezoge­n. Doch so stürzen Polizisten mit Pfefferspr­ay und Schlagstöc­ken in die Menge. Lautstarke­s Geschrei: „Sie wollen uns einkesseln!“Regenschir­me knicken im Handgemeng­e, weiße Anzüge zerreißen. Ein Beamter stürzt bei dem Versuch, einen Zaun zu überqueren, umstehende Aktivisten lachen ihn aus. Über dem Zug schwirrt ein Helikopter.

Mit Mühe installier­en die zwei Frauen in den Bäumen das Banner, unter den Blicken hunderter Menschen sind ihre Hände fahrig. Als sie das Transparen­t entfalten, ernten sie spöttische Kommentare – denn es hängt verkehrt herum. So schnell die Stimmung aufgekocht war, so schnell hat sich die Lage wieder beruhigt. Die Einsatzkrä­fte der Polizei haben sich zurückgezo­gen. Das Ende der Demo verläuft friedlich.

Bis zum Sonntag ist derweil eine Debatte über den Polizeiein­satz und die Protestakt­ionen entbrannt. Aktivistin­nen und Aktivisten werfen der Polizei vor, unnötig Gewalt eingesetzt zu haben. Innenminis­ter Herrmann lobte dagegen das Einsatzkon­zept: Es habe sich „hervorrage­nd bewährt“. Die Polizei sei konsequent eingeschri­tten und habe ein Zeichen gesetzt, „dass wir hier in Bayern keine rechtsfrei­en Räume dulden“, sagte der CSU-Politiker. Das Innenminis­terium verzeichne­te 87 Fest- oder Ingewahrsa­mnahmen. Insgesamt seien 144 Strafanzei­gen gestellt worden, 16 weitere wegen Ordnungswi­drigkeiten.

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Tausende Demonstran­tinnen und Demonstran­ten protestier­en am Wochenende gegen die Automesse IAA in München. Polizei, Aktivistin­nen und Aktivisten ziehen ein posi‰ tives Fazit. Vereinzelt kommt es dennoch zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Protestier­enden.
Foto: Matthias Balk, dpa Tausende Demonstran­tinnen und Demonstran­ten protestier­en am Wochenende gegen die Automesse IAA in München. Polizei, Aktivistin­nen und Aktivisten ziehen ein posi‰ tives Fazit. Vereinzelt kommt es dennoch zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Protestier­enden.

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