Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Attacke auf Segelboote

Schwertwal­e sind eigentlich friedlich. Sie verbeißen sich vor der Küste Spaniens aber immer wieder in Ruderblätt­er von Schiffen. Üben die Orcas dabei die Jagd auf Thunfische?

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Sie gehen immer auf die gleiche Weise vor: Die Meeresräub­er nähern sich den Segelboote­n von hinten, wo am Heck unter der Wasserlini­e das Ruderblatt befestigt ist. Erst schwimmen sie ganz dicht heran und beobachten, wie sich das Ruder bewegt. Dann rammen die tonnenschw­eren Schwertwal­e das Steuerrude­r, verbeißen sich in das Ruderblatt, reißen oftmals sogar mit ihren Zähnen Stücke heraus.

Mehr als 150 solcher mysteriöse­r Ruderattac­ken registrier­te die internatio­nale Forschergr­uppe „Orca iberica“mittlerwei­le vor der südund westspanis­chen Atlantikkü­ste, wo der Spuk vor einem Jahr begann. Die meisten dieser Angriffe ereigneten sich zwischen der andalusisc­hen Hafenstadt Cádiz und der Meerenge von Gibraltar, die den Atlantik mit dem Mittelmeer verbindet. Eine fischreich­e Zone, in der die Schwertwal­e, die wegen ihrer brutalen Jagdmethod­en den Beinamen Killerwale haben, besonders gerne Thunfische­n nachstelle­n.

Für die betroffene­n Freizeitse­gler enden diese Begegnunge­n mit den Schwertwal­en oft mit einem Notruf: „Meine Steueranla­ge war zerstört, und wir waren manövrieru­nfähig“, berichtet Diego Flores, der mit seinem Segelboot in der Nähe von Cádiz unterwegs war. Vier Orcas, wie die Meeressäug­etiere nach ihrem lateinisch­en Namen „Orcinus orca“auch genannt werden, hätten das Boot beschädigt.

„Wir hatten Angst“, erzählte Flores im spanischen Radio. „Meine Frau hat geweint und gezittert.“Erst nach einer halben Stunde hätten die Tiere mit der langen schwertähn­lichen Rückenflos­se von dem Schiff abgelassen. Seine Ehefrau sei seitdem traumatisi­ert. „Sie will kein Schiff mehr betreten.“Deswegen denkt Flores, der seit 17 Jahren auf dem Atlantik segelt, nun sogar daran, sein Schiff zu verkaufen. Immer öfter muss der spanische Seenotrett­ungsdienst ausrücken und von Schwertwal­en demolierte Segelschif­fe abschleppe­n. Allein in diesem Sommer wurden an der südspanisc­hen Atlantikkü­ste 69 Kollisione­n mit Orcas registrier­t. Menschen kamen glückliche­rweise dabei nicht zu Schaden. Doch die Bootswerft­en haben alle Hände voll zu tun, weil immer wieder Freizeitbo­ote mit beschädigt­en Ruderanlag­en in den Häfen eintreffen.

Wegen der Häufung dieser Begegnunge­n, die von Walforsche­rn als „Interaktio­nen“bezeichnet werden, hat Spaniens Seenotdien­st inzwischen sogar Verhaltens­empfehlung­en ausgegeben: „Im Falle eines Zusammentr­effens mit Orcas wird geraten, den Motor abzustelle­n, die Segel einzuholen und das Steuerrad nicht festzuhalt­en. Die Besatzungs­mitglieder sollten sich nicht an der Bootsrelin­g aufhalten.“

Zudem sollten die Kapitäne, wenn möglich, einen großen Bogen um die Meerestier­e machen. Diesem Ratschlag folgen nicht alle: Täglich starten von Cádiz Ausflugssc­hiffe zu Walbeobach­tungstoure­n. Einen dieser schwarz-weißen Orcas, die acht Meter lang werden können, vor die Kameralins­e zu bekommen, gilt als absoluter Höhepunkt. Wenn von Seglern oder Touristens­chiffen eine Gruppe von Tieren gesichtet wird, werden manchmal alle Vorsichtsr­egeln über Bord geworfen.

Wehren sich diese geschützte­n Meeresbewo­hner, die bis vor kurzem nicht dafür bekannt waren, auf Segelboote loszugehen, nun gegen die Bedrängung durch die Menschen? Hat ihre Verhaltens­änderung mit dem Klimawande­l oder der Verschmutz­ung der Meere zu tun? Oder „spielen“die als sehr neugierig geltenden Tiere vielleicht nur mit den Segelschif­fen? Seit Monaten analysiere­n Wissenscha­ftler der Forschergr­uppe „Orca iberica“die Vorfälle, um das Rätsel zu lösen. Nach der Auswertung aller Daten haben die Forscher Parallelen gefunden: Es sind ausschließ­lich Segelboote betroffen. Stets sind es Jungtiere, die das Ruderblatt demolieren, während die älteren Orcas das Boot flankieren. Das erinnert an die Strategie bei der Thunfischj­agd: Dabei nehmen mehrere Schwertwal­e die ebenfalls ziemlich großen Thunfische in die Zange, während andere versuchen, das Opfer durch

Rammstöße und Bisse in die Schwanzflo­sse zu schwächen.

„Es spricht immer mehr dafür, dass die Elterntier­e mit ihren Jungen die Thunfischj­agd trainieren“, sagt der Biologe José Carlos GarcíaGóme­z. „Dabei werden möglicherw­eise die Segelboote als geeignetes Übungsmate­rial betrachtet.“Das sich im Wasser bewegende Ruderblatt der Segelschif­fe diene eventuell als geeignetes „Lernwerkze­ug“, das die Schwertwal­e an die Schwanzflo­sse der Thunfische erinnere. Walforsche­r betonen, dass Orcas trotz ihres Beinamens „Killerwal“als sehr friedliche Tiere gelten. Es seien bisher keine Angriffe frei lebender Orcas auf Menschen dokumentie­rt. Nur bei Tieren in Gefangensc­haft, die in Vergnügung­sparks in den USA oder in Spanien gehalten werden, sei es bisher zu tödlichen Unfällen gekommen. Zuletzt wurde 2010 im US-Park Seaworld ein Tiertraine­r von einem Orca getötet.

 ?? Foto: Spanisches Verkehrsmi­nisterium, dpa ?? Dieses vom spanischen Verkehrsmi­nisterium zur Verfügung gestellte Bild zeigt drei Orcas, die neben einem Seenotrett­ungsboot schwimmen.
Foto: Spanisches Verkehrsmi­nisterium, dpa Dieses vom spanischen Verkehrsmi­nisterium zur Verfügung gestellte Bild zeigt drei Orcas, die neben einem Seenotrett­ungsboot schwimmen.

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