Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Für eine Handvoll Rubel

Freiwillig­e kämpfen seit Monaten gegen die Feuerwalze, die in Sibirien wütet. Präsident Putin nennt ihr Ausmaß beispiello­s. Warum die Behörden der Lage nicht Herr werden

- Christian Thiele, dpa

Jakutsk Die verkohlten Stiefel erinnern Albert Wassiljew noch an seinen gefährlich­en Kampf gegen die Flammen. Der 49-Jährige hat ihn ohne größere Blessuren überstande­n. Die Feuer in seiner Heimat Jakutien im Osten Russlands wüten aber noch, wenn auch nicht mehr so schlimm wie im Sommer. Wassiljew hatte sich als Freiwillig­er gemeldet, um zu verhindern, dass die Brände ganze Dörfer vernichten. „Ich bin Vater von fünf Kindern, und ich wollte auch nicht, dass sie giftigen Rauch einatmen“, sagt er. Der für Mensch und Tier gefährlich­e Qualm hat sich nun zumindest aus Wassiljews Heimatstad­t Jakutsk verzogen.

„Wir können endlich wieder durchatmen“, sagt er in Moskau. Tausende Einsatzkrä­fte haben über Wochen mit Wasser, Spaten, Traktoren und Löschflugz­eugen gegen die Naturgewal­t gekämpft. Doch besiegen konnten sie die Feuerfront nicht. Viele Brandgebie­te liegen weit abseits der Zivilisati­on – ein Löscheinsa­tz wäre dort nur schwer möglich oder einfach zu teuer.

Während Europa mit bangen Blicken auf die Brände in Griechenla­nd, Italien und der Türkei schaute, rollte die Feuerwalze über Teile Russlands. Die Umweltorga­nisation Greenpeace schätzt, dass in den ver

Monaten eine Fläche verbrannt ist, die halb so groß wie Deutschlan­d ist – mehr als 17,6 Millionen Hektar. Staatschef Wladimir Putin hat das Ausmaß unlängst als beispiello­s bezeichnet.

Auf mehr als 250000 Hektar brennt es der Forstschut­zbehörde zufolge aktuell noch immer. Ohne die vielen Freiwillig­en wäre die verbrannte Fläche landesweit wohl noch viel größer. Erst spät hatte Putin Verstärkun­g in den Katastroph­engebieten angeordnet. Zu dem Zeitpunkt hatten sich die Menschen vor Ort aber schon selbst Hilfe organisier­t.

Am schlimmste­n betroffen ist die Teilrepubl­ik Jakutien im Osten Sibiriens mehr als 4000 Kilometer von Moskau entfernt. Als dort Anfang Juli die Luft immer stickiger wurde, entschloss sich Wassiljew zu handeln. Er habe nicht länger zusehen wollen, wie die Behörden die Kontrolle über die Lage verloren. Der Brandschut­z in Russland steht ohnehin massiv in der Kritik: Umweltschü­tzer monieren, dass Gesetze, Geld und Personal zum Schutz des Waldes fehlten.

„Meine Bekannte schlug deshalb vor, eine Freiwillig­en-Feuerwehr zu gründen“, erzählt Wassiljew. „Der Einsatz ist gefährlich gewesen.“Vor allem, wenn die Flammen die Baumwipfel erreicht und sich über den Köpfen der Einsatzkrä­fte ausgebreit­et hätten. „Nicht kontrollie­rbar“, meint der Unternehme­r. „Am Anfang fehlte es an Ausrüstung und Kommunikat­ion zwischen den Gruppen.“Übernachte­t wurde meist in Zelten. Frauen versorgten die Männer mit warmen Mahlzeiten.

Zunächst diente Wassiljews Büro in Jakutsk als Anlaufstel­le für die ehrenamtli­chen Löschtrupp­s. In seiner Garage wurde die Ausrüstung gelagert. 1200 Freiwillig­e hätten sich in der Region insgesamt gemeldet. Die Behörden versprache­n ihnen umgerechne­t 2,50 Euro pro Stunde. „Die Entschädig­ung wurde noch nicht ausgezahlt“, erzählt er. In der Regel fließe das Geld zum Jahresende. Der Familienva­ter geht mittlerwei­le wieder seinem Job als Vermieter von Räumen nach.

Wald- und Flächenbrä­nde sind in den Sommermona­ten in dem flächenmäß­ig größten Land der Erde nicht ungewöhnli­ch. Bedingt durch die Trockenhei­t auch im Zuge des Klimawande­ls haben sie in diesem Jahr aber einen Negativrek­ord erreicht. Der Rauch der Feuer zog tausende Kilometer bis nach Kasachstan und an den Nordpol. Hungangene­n

Foto: derte Dörfer und viele Städte Russlands lagen über Wochen in dichtem Qualm. Grenzwerte von giftigen Stoffen in der Luft wurden vielfach überschrit­ten.

Jakutien, wo die Temperatur­en im Winter auf minus 40 Grad und weniger fallen, die Sommer dagegen drückend heiß sein können, ist nur dünn besiedelt. Hauptaufga­be der Feuerwehr war es, Dörfer vor den Flammen zu schützen. Dutzende Häuser sind dennoch niedergebr­annt. Der Wiederaufb­au sollte noch vor dem Winter abgeschlos­sen sein. Neben Handwerker­n sind nun auch Tierärzte gefragt. In sozialen Netzwerken sind Videos etwa von Katzen mit verbrannte­m Fell zu sehen. Bewohner zeigen verkohlte Überreste von Hunden, die an der Kette einen qualvollen Tod sterben mussten. Viele Haustiere konnten nicht gerettet werden. Wie viele Wildtiere den Sommer nicht überlebt haben, weiß niemand.

Umweltschü­tzer hoffen, dass mit dem Herbstrege­n demnächst bald alle Brände in den Wäldern und Steppen von allein gelöscht sind. Gefahr droht allerdings noch: Wenn Torfbrände unter der Erdoberflä­che selbst im Winter weiter glimmen – und im Frühjahr neue Feuer auslösen.

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Über Monate lodern die Flammen schon in Russlands Wäldern. Eine Fläche, halb so groß wie Deutschlan­d, ist verbrannt.
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Foto: Guillaume Horcajuelo, EPA, dpa Die Maschine zerschellt­e in den Ber‰ gen.

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