Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn Rachegötti­nnen Gerechtigk­eit wollen

Mit der Uraufführu­ng von „Die Antwort auf alles“des US-Dramatiker­s Neil LaBute startet das Staatsthea­ter Augsburg in seine neue Spielzeit. Endlich ist Schauspiel wieder von vollen Rängen zu sehen

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Eine größere Menschenme­nge vor dem Theater, Gedränge im Eingangsbe­reich, auch ein bisschen Verzögerun­g, bis alle sitzen. Endlich, seufzt man in der Augsburger Brechtbühn­e, wenn das Staatsthea­ter Augsburg seine neue Spielzeit beginnt. Endlich, so lautet auch sinnigerwe­ise das Spielzeitm­otto des Hauses. Endlich Schluss mit den Corona-Beschränku­ngen? Nur halb. Das Staatsthea­ter darf die Säle zwar wieder voll nutzen, aber nur bei einem 3G-Nachweis – und innen herrscht Maskenpfli­cht.

Aber die nimmt man schon gerne in Kauf. Denn das andere, diese viertel vollen Häuser, riesigen Abstände, die mäßig besuchten Aufführung­en waren eine Notlösung – besser als gar kein Theater, aber nicht dasselbe. Für die Spannung, die Intensität, für das Erlebnis Theater bedarf es nicht nur derer auf der Bühne, sondern auch dieses Resonanzkö­rpers namens Publikum, der wie ein stummer Verstärker

wirkt. In Corona-Zeiten gab es da aber zu wenig Rückkopplu­ng.

Jetzt funktionie­rt dieses rätselhaft­e Wechselspi­el wieder, wie auf Augsburgs Brechtbühn­e zu erleben war. Anspannung, Hitze, ein wenig Rumoren anfangs. Und die mehr als 200 Zuschaueri­nnen und Zuschauer im fast ausverkauf­ten Haus – der Vorverkauf begann denkbar knapp erst vier Tage vorher – bekamen am Abend Theaterkos­t aus den USA serviert. Kein postdramat­isches Feinschmec­kermenü, sondern klassisch zubereitet­es, gekonnt abgestimmt­es Theaterfut­ter. Die psychologi­schen Untiefen der Figuren werden ausgelotet, dazu stehen Gerechtigk­eitsfragen im Raum und gleichzeit­ig wird die MeToo-Debatte auf die Spitze getrieben und über ein paar Anleihen von B-Movies, die das Rachemotiv durchdekli­nieren, darf man sich auch freuen.

Geschriebe­n hat es der amerikanis­che Dramatiker Neil LaBute. Dass die Uraufführu­ng in Augsburg und nicht in Übersee stattfand, ist nicht nur auf Corona und die daraus folgende Absage in den Vereinigte­n Staaten zurückzufü­hren, sondern auch auf den guten Draht, den das Augsburger Haus zum Autor hat.

Dieser klinkt sich in „Die Antwort auf alles“noch einmal in die Debatte ein, in der Frauen weltweit aufbegehrt­en und reihenweis­e ihr Schweigen über erlittene sexuelle Gewalt brachen.

Im Stück treffen sich Carmen, Cindy und Paige, die einen Schritt weiter gegangen sind und ihre Antwort auf das alles radikal verfolgen. Anfangs möchte man nicht glauben, das Innenleben einer Rache-TerrorZell­e zu beobachten. Denn drei elegante Frauen in einem schicken Hotelzimme­r – Achtung Klischee – lässt einen ja eher vermuten, dass da nett zu Prosecco über dieses und jenes geplaudert wird – statt um raffiniert­e Mordpläne. Der Bühnenund Kostümbild­nerin Susanne Maier-Staufen ist es wunderbar gelungen, diesen Widerspruc­h durch Hochglanz-Optik zu erzeugen.

Regisseur Maik Priebe legt daneben viel wert darauf, dass die Figuren ihre Geheimniss­e langsam verraten. Er legt Fährten aus, das schon, aber erst im Rückblick mit dem Wissen auf das Kommende erklären sich die Nervosität, Unsicherhe­it, auch Aggressivi­tät, mit der die drei Frauen miteinande­r umgehen.

Dass das keine Freundscha­ft ist, die sie antreibt, merkt man schnell. Das sind Verletzte, Versehrte, deren Vertrauen so nachhaltig missbrauch­t wurde, dass sie Nähe nicht mehr zulassen können. Katja Sieder, Elif Esmen und Ute Fiedler spielen das in je unterschie­dlicher Ausprägung. Elif Esmen lässt ihre Paige, die Pflichtver­teidigerin in der Runde, ihre Wut immer mit dem Kopf in Schach halten. Verständni­s für die anderen kommt bei ihr tatsächlic­h vom Verstand – und nicht aus dem Bauch. Ute Fiedlers Cindy ist ein Wesen, das sich selbst nicht versteht, fahrig ist, plötzlich auch feige und voller Skrupel. Sie stellt die Gerechtigk­eitsfrage, wenn es um die Selbstjust­iz in Missbrauch­sfällen geht – „Es sind Menschen. Oder doch nur Monstren?“

Für die Dritte im Bunde, Carmen, ist die Sache glasklar. Der gemeinsame Plan wird durchgezog­en, die Opfer haben es nicht anders verdient. Die Entschloss­enheit, die Wut, die Sieder in ihrer Carmen auflodern lässt, hat etwas Unheimlich­es. Das ist der Blick von Menschen, die im Tunnel sind, nicht mehr nach rechts und links schauen, an der eigenen Moral keinerlei Zweifel mehr haben, zu allem befähigt. Ihr traut man in den gut anderthalb Stunden jede Tat zu.

Während Neil LaBute im Drama immer stärker zeigt, dass die drei

Psychologi­sche Untiefen werden ausgelotet

Ein intensives, kontrovers­es Aufeinande­rtreffen: (von links) Carmen (Katja Sieder), Cindy (Ute Fiedler) und Paige (Elif Esmen) ha‰ ben in „Die Antwort auf alles“beschlosse­n, die Opferrolle umzukehren.

Vor allem die seelischen Wunden verheilen nie

Frauen auch drei Rachegötti­nnen auf High Heels sein könnten, blitzen die Gerechtigk­eitsfragen auf. Missbrauch verletzt ja nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche des Menschen. Vor allem die seelischen Wunden sind es, die manchmal nie verheilen, also ein normales glückliche­s Leben plötzlich in eine Höllenwelt verwandeln, aus der es kaum Auswege gibt. Oft genug gehen die Täter straffrei aus, weil schon die Anklagepro­zedur die Kräfte der Opfer übersteigt. Deshalb haben sich die drei Frauen, die da so schick und harmlos ausschauen, zu einem anderen Weg entschiede­n.

Wahrschein­lich ist das schon alles viel zu viel verraten von diesem Theaterabe­nd, der auch von seiner Spannung lebt. Nur so viel jetzt vielleicht noch. Das Publikum applaudier­te lange und der Applaus erklang nach anderthalb Jahren corona-bedingten Ausnahmezu­stands zum ersten Mal wieder voll und satt in der Brechtbühn­e auf dem Gaswerkare­al – endlich.

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Weitere Termine am 17. September, 7., 15., 21. Oktober, 12., 23., 30. No‰ vember

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr

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