Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn Rachegöttinnen Gerechtigkeit wollen
Mit der Uraufführung von „Die Antwort auf alles“des US-Dramatikers Neil LaBute startet das Staatstheater Augsburg in seine neue Spielzeit. Endlich ist Schauspiel wieder von vollen Rängen zu sehen
Augsburg Eine größere Menschenmenge vor dem Theater, Gedränge im Eingangsbereich, auch ein bisschen Verzögerung, bis alle sitzen. Endlich, seufzt man in der Augsburger Brechtbühne, wenn das Staatstheater Augsburg seine neue Spielzeit beginnt. Endlich, so lautet auch sinnigerweise das Spielzeitmotto des Hauses. Endlich Schluss mit den Corona-Beschränkungen? Nur halb. Das Staatstheater darf die Säle zwar wieder voll nutzen, aber nur bei einem 3G-Nachweis – und innen herrscht Maskenpflicht.
Aber die nimmt man schon gerne in Kauf. Denn das andere, diese viertel vollen Häuser, riesigen Abstände, die mäßig besuchten Aufführungen waren eine Notlösung – besser als gar kein Theater, aber nicht dasselbe. Für die Spannung, die Intensität, für das Erlebnis Theater bedarf es nicht nur derer auf der Bühne, sondern auch dieses Resonanzkörpers namens Publikum, der wie ein stummer Verstärker
wirkt. In Corona-Zeiten gab es da aber zu wenig Rückkopplung.
Jetzt funktioniert dieses rätselhafte Wechselspiel wieder, wie auf Augsburgs Brechtbühne zu erleben war. Anspannung, Hitze, ein wenig Rumoren anfangs. Und die mehr als 200 Zuschauerinnen und Zuschauer im fast ausverkauften Haus – der Vorverkauf begann denkbar knapp erst vier Tage vorher – bekamen am Abend Theaterkost aus den USA serviert. Kein postdramatisches Feinschmeckermenü, sondern klassisch zubereitetes, gekonnt abgestimmtes Theaterfutter. Die psychologischen Untiefen der Figuren werden ausgelotet, dazu stehen Gerechtigkeitsfragen im Raum und gleichzeitig wird die MeToo-Debatte auf die Spitze getrieben und über ein paar Anleihen von B-Movies, die das Rachemotiv durchdeklinieren, darf man sich auch freuen.
Geschrieben hat es der amerikanische Dramatiker Neil LaBute. Dass die Uraufführung in Augsburg und nicht in Übersee stattfand, ist nicht nur auf Corona und die daraus folgende Absage in den Vereinigten Staaten zurückzuführen, sondern auch auf den guten Draht, den das Augsburger Haus zum Autor hat.
Dieser klinkt sich in „Die Antwort auf alles“noch einmal in die Debatte ein, in der Frauen weltweit aufbegehrten und reihenweise ihr Schweigen über erlittene sexuelle Gewalt brachen.
Im Stück treffen sich Carmen, Cindy und Paige, die einen Schritt weiter gegangen sind und ihre Antwort auf das alles radikal verfolgen. Anfangs möchte man nicht glauben, das Innenleben einer Rache-TerrorZelle zu beobachten. Denn drei elegante Frauen in einem schicken Hotelzimmer – Achtung Klischee – lässt einen ja eher vermuten, dass da nett zu Prosecco über dieses und jenes geplaudert wird – statt um raffinierte Mordpläne. Der Bühnenund Kostümbildnerin Susanne Maier-Staufen ist es wunderbar gelungen, diesen Widerspruch durch Hochglanz-Optik zu erzeugen.
Regisseur Maik Priebe legt daneben viel wert darauf, dass die Figuren ihre Geheimnisse langsam verraten. Er legt Fährten aus, das schon, aber erst im Rückblick mit dem Wissen auf das Kommende erklären sich die Nervosität, Unsicherheit, auch Aggressivität, mit der die drei Frauen miteinander umgehen.
Dass das keine Freundschaft ist, die sie antreibt, merkt man schnell. Das sind Verletzte, Versehrte, deren Vertrauen so nachhaltig missbraucht wurde, dass sie Nähe nicht mehr zulassen können. Katja Sieder, Elif Esmen und Ute Fiedler spielen das in je unterschiedlicher Ausprägung. Elif Esmen lässt ihre Paige, die Pflichtverteidigerin in der Runde, ihre Wut immer mit dem Kopf in Schach halten. Verständnis für die anderen kommt bei ihr tatsächlich vom Verstand – und nicht aus dem Bauch. Ute Fiedlers Cindy ist ein Wesen, das sich selbst nicht versteht, fahrig ist, plötzlich auch feige und voller Skrupel. Sie stellt die Gerechtigkeitsfrage, wenn es um die Selbstjustiz in Missbrauchsfällen geht – „Es sind Menschen. Oder doch nur Monstren?“
Für die Dritte im Bunde, Carmen, ist die Sache glasklar. Der gemeinsame Plan wird durchgezogen, die Opfer haben es nicht anders verdient. Die Entschlossenheit, die Wut, die Sieder in ihrer Carmen auflodern lässt, hat etwas Unheimliches. Das ist der Blick von Menschen, die im Tunnel sind, nicht mehr nach rechts und links schauen, an der eigenen Moral keinerlei Zweifel mehr haben, zu allem befähigt. Ihr traut man in den gut anderthalb Stunden jede Tat zu.
Während Neil LaBute im Drama immer stärker zeigt, dass die drei
Psychologische Untiefen werden ausgelotet
Ein intensives, kontroverses Aufeinandertreffen: (von links) Carmen (Katja Sieder), Cindy (Ute Fiedler) und Paige (Elif Esmen) ha ben in „Die Antwort auf alles“beschlossen, die Opferrolle umzukehren.
Vor allem die seelischen Wunden verheilen nie
Frauen auch drei Rachegöttinnen auf High Heels sein könnten, blitzen die Gerechtigkeitsfragen auf. Missbrauch verletzt ja nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche des Menschen. Vor allem die seelischen Wunden sind es, die manchmal nie verheilen, also ein normales glückliches Leben plötzlich in eine Höllenwelt verwandeln, aus der es kaum Auswege gibt. Oft genug gehen die Täter straffrei aus, weil schon die Anklageprozedur die Kräfte der Opfer übersteigt. Deshalb haben sich die drei Frauen, die da so schick und harmlos ausschauen, zu einem anderen Weg entschieden.
Wahrscheinlich ist das schon alles viel zu viel verraten von diesem Theaterabend, der auch von seiner Spannung lebt. Nur so viel jetzt vielleicht noch. Das Publikum applaudierte lange und der Applaus erklang nach anderthalb Jahren corona-bedingten Ausnahmezustands zum ersten Mal wieder voll und satt in der Brechtbühne auf dem Gaswerkareal – endlich.
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Weitere Termine am 17. September, 7., 15., 21. Oktober, 12., 23., 30. No vember