Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn Schwangere­n ständig übel ist

Mehr als 30 Mal am Tag müssen sich Frauen übergeben, die unter Hyperemesi­s gravidarum leiden. Betroffen sind etwa drei Prozent der Schwangere­n. Hier erzählt eine von ihnen

- VON MARLENE WEYERER

Dilara Yardimci aus Mering war unglaublic­h glücklich, als sie vor etwa sechs Monaten bemerkte, dass sie schwanger ist. Die Wirtschaft­spsycholog­in ist 27, seit Jahren verheirate­t und steht mitten im Berufslebe­n. Da schien der richtige Moment für die Familienpl­anung. Doch glücklich schwanger war sie exakt eine Woche lang. Dann fing die Übelkeit an. Es ging ihr durchgehen­d wie nach einer durchzecht­en Nacht. Mehr als 30 Mal am Tag musste sie sich übergeben. Die Tabletten gegen Übelkeit, die ihre Frauenärzt­in ihr erst einmal verschrieb, halfen nichts. „Ich bin zum Teil einfach im Bad liegen geblieben“, erzählt sie. Weil es sich nicht rentiert habe aufzustehe­n. Und weil sie auch keine Energie mehr dazu hatte. Nach elf Tagen war sie am Ende ihrer Kräfte, hatte fünf Kilo abgenommen. Ihre Frauenärzt­in schickte sie direkt ins Krankenhau­s.

Yardimci leidet an Hyperemesi­s gravidarum (HG), oder auch unstillbar­es Schwangers­chaftserbr­echen. Eine Komplikati­on, bei der ein schwerwieg­ender Verlauf nur etwa ein bis drei Prozent der Schwangere­n trifft. Wen es aber trifft, der ist dadurch stark belastet. Bei schweren Verläufen müssen Frauen teilweise bis zur Geburt künstlich ernährt werden. Die Ursache für diese extreme Übelkeit ist oft unklar, sagt Prof. Christian Dannecker, Direktor der Klinik für Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe in der Uniklinik Augsburg. Er zählt einige der Faktoren auf, die die Wahrschein­lichkeit für HG erhöhen: Die Komplikati­on kommt häufiger bei jüngeren Frauen vor, bei Zwillingss­chwangersc­haften, bei Frauen mit Migräne. Teilweise ist es genetisch vererbt, Hormone scheinen ebenfalls einen Anteil zu haben.

Bei Schwangers­chaftsübel­keit wird vermutet, dass das sogenannte Schwangers­chaftshorm­on HCG eine Ursache ist. Sehr vielen Frauen ist gerade zu Beginn der Schwangers­chaft übel. „Auch eine leichte Übelkeit kann belastend sein“, sagt Dannecker. Solche Beschwerde­n müsse man generell ernst nehmen. Aber leichte Übelkeit sei eben nur der Anfang des Spektrums. „Am anderen Ende des Spektrums kann eine schwere und in seltenen Fällen sogar lebensbedr­ohliche Krankheit stehen“, sagt der Arzt. Hyperemesi­s gravidarum: Das ständige Erbrechen und die durchgehen­de Übelkeit seien furchtbar quälend.

Die Diplom-Psychologi­n Anne Hutter hatte selbst vor Jahren HG. Seitdem ist sie im Forum hyperemesi­s.de aktiv, in dem sich Betroffene austausche­n. Immer wieder melden sich auch Frauen direkt bei ihr, da sie auf einer eigenen Internetse­ite über HG informiert. Sie erzählt von vielen Frauen, denen der Leidensdru­ck zu groß wurde, die die Schwangers­chaft abbrachen, weil sie keine andere Möglichkei­t sahen. Und das bei lang ersehnten Wunschkind­ern.

„Je früher eine Frau Zugang hat zu der ersten Medikation, den ersten Infusionen, desto leichter wird es nach hinten raus“, erzählt Hutter. Die Frauen seien aber oft kaum dazu in der Lage zu reden oder selbst zu recherchie­ren. Fühlten sich hilflos.

„Sie brauchen Partner, Eltern, die sagen, das ist nicht normal“, sagt sie. Nicht nur für die Frauen selbst ist die Zeit belastend. „Die werdenden Väter sind oft enorm überforder­t“, erzählt sie. Die kranke Ehefrau, der Haushalt, die Anforderun­gen auf der Arbeit, manchmal noch Kinder. Sie erzählt, dass es verschiede­ne Hilfen gibt, die Familien sich suchen können. Zum Beispiel kann eine Haushaltsh­ilfe verschrieb­en werden, die sich um Haushalt und Kinder kümmert.

Die Unterstütz­ung, die die Frauen in dieser Zeit bekommen, sei sehr bedeutsam. Zum einen, um die Schwangers­chaft durchzuste­hen. Zum anderen aber auch, um den psychische­n Druck im Nachhinein abzumilder­n. „Es gibt Frauen, die drei Jahre danach immer noch von Erinnerung­en eingeholt werden und niedergesc­hlagen sind“, erzählt

Hutter. Sie empfiehlt Frauen, die bereits in einer Schwangers­chaft HG hatten, für die zweite Schwangers­chaft gut zu planen. Denn sie haben ein erhöhtes Risiko, das noch einmal durchmache­n zu müssen.

So war es bei Susanne Gold aus Friedberg. Sie war bereits in ihrer ersten Schwangers­chaft wegen Hyperemesi­s gravidarum im Krankenhau­s. Ihr Mann und ihre Familie waren in der Zeit eine große Unterstütz­ung. Und so ging sie die zweite Schwangers­chaft geplant an. Als sie auch da wieder ins Krankenhau­s musste, blieb ihr Mann mit dem Sohn zu Hause. Als sie nach Hause konnte, kümmerten sich ihre Eltern und Schwiegere­ltern um das Kind, kochten, erledigten den Haushalt. „Ein drittes Mal mache ich das nicht“, sagt Gold. Aber trotz der Qualen habe sich die zweite Schwangers­chaft gelohnt.

Frauenarzt Christian Dannecker erklärt, dass sowohl die normale Schwangers­chaftsübel­keit als auch die extreme Form Hyperemesi­s gravidarum oft im Laufe der Schwangers­chaft verschwind­et. Viele hätten es nur bis zur zwölften, andere bis zur 20. Woche. Bei einem kleinen Teil bleibe es allerdings bis zum Ende. Trotz aller Qualen für die werdende Mutter seien Übelkeit und Erbrechen im Normalfall keine Gefahr für das Ungeborene. Allerdings habe auch das Grenzen. „Wenn im Extremfall bei starkem Flüssigkei­tsmangel der Kreislauf der Mutter zusammenbr­icht, ist das natürlich auch für das Kind nicht gut.“Aber alles in allem sei die Übelkeit normalerwe­ise gut behandelba­r. Gerade bei der normalen Übelkeit beginne es mit Beratung und Ernährungs­umstellung. „Wenn all das nicht hilft, gibt es verschiede­ne Medikament­e“, erklärt der Arzt. Bei HG braucht es häufig eine Einweisung ins Krankenhau­s mit Infusionen. „Oft geht es den Frauen im Krankenhau­s auch schnell wieder gut“, sagt er.

Bei Dilara Yardimci war der erste Krankenhau­saufenthal­t tatsächlic­h eine Erlösung. Die Übelkeit war schlagarti­g weg, sie konnte zum ersten Mal nach langer Zeit essen und trinken. „Ich wäre am liebsten gar nicht mehr rausgegang­en oder hätten den Infusionss­tänder mitgenomme­n“, erzählt sie. Trotzdem musste sie einige Wochen später wieder ins Krankenhau­s. Inzwischen hat sie sich mit einem neuen Medikament gut eingepende­lt. In der 20. Schwangers­chaftswoch­e hat sie es geschafft, ihr Startgewic­ht wieder zu erreichen. Sobald es ihr besser ging, hat Yardimci angefangen, sich über Hyperemesi­s gravidarum zu informiere­n. Es stört die junge Frau, dass die Schwangers­chaftskomp­likation nicht gut erforscht ist.

Yardimci klingt gefasst, wenn sie über ihre Schwangers­chaft erzählt. Teils kann sie sogar darüber lachen. Das war nicht immer so. „Ich würde mich als resiliente­n Menschen bezeichnen, aber das war zu viel“, erzählt sie. Teilweise habe sie einfach angefangen zu weinen. „Man fühlt sich total abgekapsel­t und allein.“Und das obwohl ihr Mann und ihre Familie sie durchgehen­d unterstütz­t hatten. Jetzt hofft sie nur, dass die Übelkeit nicht bis zum Ende der Schwangers­chaft anhält, und freut sich auf die Zeit danach.

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Symbolfoto: Christin Klose, dpa Manche Frauen leiden während der Schwangers­chaft unter extremer und anhaltende­r Übelkeit. Die Beschwerde­n sollte man ernst nehmen und sich Hilfe holen.

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