Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vier Pianisten im Wechselspi­el der Stile

Ein besonderer Abend bei Mozart@Augsburg. Alles dreht sich ums Klavier – und um Geschmacks­fragen

- VON REINHARD KÖCHL

Mal angenommen, es treffen sich ein Veganer, ein Vegetarier, ein Frutarier und ein Fleischess­er. Worüber würden sich die vier wohl unterhalte­n? Über Gemeinsamk­eiten oder eher über Trennendes? Wahrschein­lich fällt es jedem leidlich schwer, die Position des anderen zu akzeptiere­n, denn schließlic­h ging der eigenen Entscheidu­ng ja auch ein langer Sozialisat­ions- und Erfahrungs­prozess voraus. Aber die Ernährung ist wie die Musik ein weites Feld. Die Grundstoff­e bleiben überall die gleichen, nur die eigene Philosophi­e gilt als das Maß aller Dinge.

Wer von den vier Pianisten, die sich am Samstagabe­nd vor nahezu ausverkauf­tem Haus im Rahmen des Mozart-Festivals in der evangelisc­hen Augsburger St. Ulrichskir­che zum interfrakt­ionellen Diskurs auf zwei Steinway-Flügeln präsentier­en, die Rolle des Vegetarier­s oder Fleischess­ers einnehmen könnte, selbst darüber ließe sich trefflich streiten. Dass sich Klassik-EchoPreist­räger Sebastian Knauer, PopAllroun­der Joja Wendt, der hochdekori­erte Jazz-Virtuose Martin Tingvall und der ungekrönte BoogieWoog­ie-Weltmeiste­r Axel Zwingenber­ger überhaupt zu einem solch ungewöhnli­chen Intermezzo verabredet­en, ist allein schon aller Ehren wert. Was natürlich an der tiefen

Freundscha­ft liegt, die das Quartett seit vielen Jahren untereinan­der pflegt und einen „Wettbewerb“um den vermeintli­ch besseren oder erfolgreic­heren Stil von vornherein ausschließ­t. Also geht es vor allem um Schnittmen­gen, das vorsichtig­e Berühren der Welt des anderen, um neue Impulse, interessan­te Kombinatio­nen, das berühmte Klavierhoc­ker-Wechselspi­el, selbstrede­nd auch die Präsentati­on der eigenen Fähigkeite­n, ohne den anderen dabei gleich „niederzusp­ielen“, um

Anschlagsk­ultur, Klangfarbe­n und vor allem um Spaß.

Letzteres kommt bei den Protagonis­ten und beim Publikum auf keinen Fall zu kurz. Das Festival Mozart@Augsburg punktet mit einem mutigen, aber auch populären Projekt, das es so bis dato nur in Hamburg, der Heimatstad­t der Künstler, zu hören gab. Anfangs sitzt Sebastian Knauer („Ich bin der Alien hier!“) alleine am Klavier und breitet mit einem fließenden, nuancierte­n Beethoven-Vortrag einen roten Teppich für Joja Wendt aus. Wird es nun – poppiger? Nein! Noch klassische­r? Auf keinen Fall! Eher mainstream­iger, um es mal so zu formuliere­n. Der Schwede Martin Tingvall bringt eine impression­istische Note ins Spiel, die er irgendwann in Richtung Blues dreht, um Axel Zwingenber­ger die Türe zu öffnen. Der ist im Übrigen der Einzige der vier, der unbeeindru­ckt sein Ding durchzieht: rollend, perlend, und die Leute können gar nicht mehr anders als zu schnippen, mit den Füßen zu wippen und zu klatschen. Zwingenber­ger und Lyrik? Geht gar nicht!

Es ist interessan­t, den Bogen zu beobachten, der sich mit jeder Staffelsta­bübergabe weiter rundet. So hantieren Knauer und Wendt bei einem Thema aus Beethovens 7. Sinfonie sowie dem 1. Präludium von Johann Sebastian Bach mit getragenen Klangfarbe­n und erinnern auf diese Weise an den 20. Jahrestag von 9/11, um das Ganze behutsam in improvisat­orische Formen zu überführen. Wie offen klassische­s Piano sein kann, demonstrie­rt Joja Wendt mit „Asturias“von Isaac Albéniz, mit dem er beim weltgrößte­n MetalFesti­val in Wacken die Lederkutte­nträger tatsächlic­h zum Headbangen brachte, sowie mit dem „Hummelflug“von Nikolai Andrejewit­sch Rimski-Korsakow. Die Linke groovt dabei fett ab, während die

Rechte die Melodie hält. Gehämmerte­s Piano, purer Rock!

Die Unterschie­de? Sebastian Knauer versteht es, klangsinnl­ich und mit wunderbare­m Anschlag das Adrenalin zu drosseln, Martin Tingvall nimmt das Thema auf, unter seinen Händen klingt es jedoch dunkler, bluesiger, während Joja Wendt durch seine stilistisc­he Wandelbark­eit beeindruck­t, aber gerne auch sein Noten-Füllhorn über der Klaviatur ausschütte­t. Wieder interessan­t: Die Melodiense­ligkeit der poppigen Jazzballad­en Tingvalls passen erstaunlic­h gut zu Knauers ästhetisch­em Level. Und Wendt verdingte sich in jungen Jahren wie Zwingenber­ger als pianistisc­her Heizer und Lokomotivf­ührer. Alles vereint sich schließlic­h glückselig bei Gershwins „I Got Rhythm“.

Muss man sich nun die Frage stellen: Wer oder was war virtuoser? Oder gibt es vielleicht sogar einen gemeinsame­n Konsens? Ganz zum Schluss, in der Zugabe „Summertime“, tritt dieser zumindest ansatzweis­e zum Vorschein. Axel Zwingenber­ger galoppiert, Joja Wendt entschleun­igt, Martin Tingvall träumt und Sebastian Knauer vollendet im Pianissimo. Keine Glaubensso­ndern vor allem eine Geschmacks­frage; wie grüner Salat, Eierspeise­n, ein Obstteller oder ein saftiges Steak. Die wunderbare Vielfalt der Musik eben.

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Foto: Mercan Fröhlich Die vier Pianisten hatten sichtlich Spaß in der Ulrichskir­che (von links): Sebastian Knauer, Joja Wendt, Martin Tingvall und Axel Zwingenber­ger.

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