Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Zeitgeist an der Holztür
Friedrich Schiller behauptete: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd er in Ketten geboren.“Der Dichter hatte bekanntlich leicht angefaulte Äpfel, aber kein Handy in seiner Schreibtischschublade. Der Obstgeruch war inspirierend und geräuschlos. Das förderte die Entstehung eines umfangreichen Werks.
Auch der moderne Mensch ist nicht in Ketten geboren. Aber er hat es schwerer, wenn er produktiv sein will. Denn das Handy schränkt seine Freiheit immer wieder ein. Mit Geklingel und Gepiepse sichert es sich die akustische Dominanz. Fantasievoll ist nicht mehr der Mensch, sondern der Sound auf seinem Handy. Das perfekt ausgerüstete Smartphone ist fähig, zur Stunde des Mittagschlafs einen Hahn krähen, einen Bach rauschen oder eine Schulglocke läuten zu lassen. Zu den beliebtesten Signalen des Zeitgeists, die zu nächtlicher Stunde besondere Wirkung erzielen, gehört das „fünfmalige Klopfen mit der Faust an eine Holztür“. Auch während der Mahlzeit lässt sich dem Handy-Besitzer mit dem mächtigen „Schiffshorn eines Riesendampfers“in Stereo-Qualität die Botschaft übermitteln, dass er zumindest telefonisch gefragt ist.
Schillers Freiheitsidee ist in eine Freiheit der Geräuschprogrammierer verwandelt worden. Jedem einzelnen von ihnen hätte man rechtzeitig sagen sollen, was der Philosoph Sören Kierkegaard in seiner Schrift „Entweder Oder“zum Ausdruck gebracht hat: „Du weißt, es gibt nervenschwache Menschen, die durch das allerleiseste Geräusch gestört werden und außer sich kommen.“