Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein ungewöhnli­cher Fund im Dachboden der Kirche

Wikipedia scheint über die ganze Welt Bescheid zu wissen. Aber wie gut kennt das Online-Lexikon die Orte im Landkreis Augsburg? Heute: Langweid am Lech

- VON MARCO KEITEL

Langweid Wikipedia weiß, dass Langweid einst Lanquat und Longa Quinta geschriebe­n wurde. Oder Lancwaidt. Diesen Namen erklärt das Onlinelexi­kon mit „große oder lange Weide“. Karl-Heinz Jahn vermutet einen anderen Ursprung. „Das war wohl eine Furt, also eine lange Wate, über den Lech.“Der Mann, der 30 Jahre lang Bürgermeis­ter der Gemeinde war, hat eine Kopie der ersten Urkunde, in der der Ort Erwähnung findet. 1143 wurde der Ortsname dort als „Lanchwate“notiert.

Den Ort gibt es schon viel länger. Archäologi­sche Funde haben gezeigt, dass die Römer schon vor fast 2000 Jahren im heutigen Langweid eine Militärsta­tion hatten. Jahn war nicht nur von 1978 bis 2008 der Chef in Langweids Rathaus, der 75-Jährige hat sein ganzes Leben dort gewohnt, mit Ausnahme einiger Jahre, die er als Kind in Meitingen gelebt hat.

Jahn wundert sich, dass Wikipedia nicht die Geschichte eines großen Textil-Unternehme­ns in der Langweider Siedlung Foret erwähnt: 1953 startete der Chemnitzer Betrieb Michalke mit dem Werk in Foret einen Neuanfang, überstand 1965 einen Großbrand, nur um dann 1996 die Pforten zu schließen. Von einem Jahr auf das andere verlor die Gemeinde fast eine Million D-Mark an Einkommens­teuern. Über 2000 Mitarbeite­r hatte das Werk zwischenze­itlich. Die Demo der Beschäftig­ten kurz vor der Schließung war die größte Kundgebung, an die er sich aus seiner Amtszeit erinnern kann. Dennoch: Die meisten Familien, darunter viele Gastarbeit­erinnen und Gastarbeit­er,

Wblieben in Langweid. Zwischen 1978, als Jahn Bürgermeis­ter wurde, und 2018 wuchs die Einwohnerz­ahl von etwa 6000 auf über 8000. Seit Jahrzehnte­n hat ein großer Teil davon einen Migrations­hintergrun­d. Aus über 50 verschiede­nen Nationen, sagt der Altbürgerm­eister. So internatio­nal wie die Gemeinde selbst war eine Sportmanns­chaft aus Langweid aufgestell­t, die in den 1990er und 2000er Jahren zu den besten in ganz Europa gezählt hatte. Die Tischtenni­s-Damenmanns­chaft des TTC Langweid (vorher FC Langweid) hat zwischen 1996 und 2007 drei Mal den Europapoka­l gewonnen, dazu acht Mal die Deutsche Meistersch­aft. Karl-Heinz Jahn erinnert sich noch an das erste Europapoka­l-Spiel in Ankara. Er war dabei. Nach Csilla Bátorfi, die bei allen großen Erfolgen mitgespiel­t hat, hat die Gemeinde 1997 eine Straße benannt. Der „CsillaBato­rfi-Weg“

machte sie zu einer von ganz wenigen Sportlerin­nen, denen diese Ehre schon zur aktiven Zeit zuteilwurd­e.

Schon als es in Langweid noch keine einzige Tischtenni­splatte gab, der Zelluloid-Ball nicht einmal erfunden war, stand ein wichtiges Gebäude, das heute noch eine große Rolle für die Gemeinde spielt: die Kirche St. Vitus. Sie wurde 1777 geweiht, wie Wikipedia weiß. Genau 230 Jahre später startete dann eine große Renovierun­g.

Im Dachstuhl des Gotteshaus­es machten die Arbeiter einen ungewöhnli­chen Fund. Dort lag unter einem Schuttberg ein Kopf. Kein echter, sondern ein aus Holz geschnitzt­er. Eine Abbildung des Hauptes Jesu. Mit darauf gemalten Blutspritz­ern und Nägeln, an denen früher wohl eine Echthaar-Perücke befestigt war. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpfl­ege hat den spektakulä­ren Fund untersucht und vermutet, dass es sich wohl um den Kopf eines Ölbergchri­stus handelt, einer knienden, betenden Skulptur. Jahn sagt über den Holzkopf: „Der ist renoviert worden und ist in der Karwoche in der Kirche zu sehen.“

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Foto: Marcus Merk (Archivbild) Ein besonderer Fund im Dachstuhl der Pfarrkirch­e St. Vitus in Langweid: das Je‰ sushaupt.

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