Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wir müssen reden …

Wohl kaum ein anderes Thema zeichnet eine schärfere Trennlinie zwischen Jung und Alt, als das der Umgang mit dem Klimawande­l vermag. Dabei liegt die Lösung auf der Hand

- Von Axel Hechelmann und Dorina Pascher

Willi Fockenberg kann sich noch genau an den Moment erinnern, als er zum ersten Mal die Erdoberflä­che verließ. Er stieg in einen Aufzug, es rüttelte und es wurde heiß. „So schnell konnte ich gar nicht denken, da waren wir schon unten und stiegen aus“, erzählt der 56-Jährige. 1200 Meter unter der Erde. Einem unwirklich­en Ort aus betäubende­m Lärm und tiefschwar­zen Wänden. Es sollte nicht bei der einen Fahrt bleiben. Fünf Jahre lang stieg Fockenberg immer wieder in diesen Aufzug. Hitze, Lärm und die frische Luft nach einer langen Schicht. Es war der Rhythmus seines Lebens – und der einer ganzen Region.

Westdeutsc­hland. Keine Region steht so stark für den Kohleabbau wie der Ruhrpott. Ganze Generation­en lebten vom und mit dem Bergbau. Doch Kohle ist schmutzig, sie belastet die deutsche Klimabilan­z. Und sie steht im harten Kontrast zu den Klimaforde­rungen der überwiegen­d jungen Menschen. Die Klimafrage, sie ist auch eine Generation­enfrage. Stehen sich hier Junge und Alte unversöhnl­ich gegenüber? Und droht gar ein Generation­enkonflikt?

Fockenberg ist jetzt wieder unter der Erde, aber nur wenige Meter. Es ist nicht warm, nicht laut und es stinkt nicht. Er steht in einem Bergwerk, das für Museumsbes­ucher nachgebaut wurde. Die Kohleindus­trie, über die sich ganze Generation­en definierte­n, wird langsam zum musealen Relikt. Nur noch rund ein Viertel des Stroms in Deutschlan­d kommt aus Kohleenerg­ie. Spätestens 2038 soll die Bundesrepu­blik gar keinen Kohlestrom mehr produziere­n.

Weil das Klima leidet. Weil der Ausstieg notwendig sei, um die Ziele des Klimaabkom­mens einzuhalte­n: Die Erderwärmu­ng, sie soll auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Ein Ultimatum, das für Unmut sorgt. Weil es zu früh kommt, sagen manche. Weil es zu spät kommt, die anderen.

Fockenberg­s Geschichte beginnt in den 80er Jahren. Damals sagte ihm sein Vater: „Bergarbeit­er, das ist ein sicherer Job.“Fockenberg glaubte ihm und schloss die Ausbildung ab. Er mochte den Job. Wegen der Kumpels. Wegen der Rituale. Wer seine Ausbildung als „Hauer“abschloss, dem legten die Kumpels eine Schaufel auf den Hintern. Ein anderer schlug dann einen Hammer mit Wucht dagegen. Einmal durchgesch­üttelt, aber Bergmann. Für immer.

Wenn Fockenberg erzählt, klingt das nach Bergbaurom­antik. Nach den schönen alten Zeiten. Als ranghohe Bergleute auf der Straße gegrüßt wurden. Wie die Lehrerin oder der Bürgermeis­ter. Als der Kohleabgan­ze Familien ernährte. Heute stehen alle Steinkohle-Zechen still. Dennoch wird sie weiterhin im Ausland eingekauft und in Deutschlan­d verheizt.

Und was passierte mit den Beschäftig­ten? Viele, die im Bergbau gelernt haben, arbeiten jetzt woanders. Wie Fockenberg. Er fand einen Job im Deutschen Bergbaumus­eum in Bochum, kümmert sich darum, dass alles instand bleibt. Und forscht. „Hier konnte ich das, was ich erlernt habe, einbringen.“Er hat es also geschafft, den Sprung in einen neuen Job. „Die meisten schaffen es. Ich wüsste nicht, dass auch nur ein Bergarbeit­er arbeitslos geworden ist. Wir hatten ja alle eine gute Grundausbi­ldung“, sagt er. Viele wurden Elektriker oder Schweißer. Fockenberg kann seinem Beruf treu bleiben, er ist immer noch ganz nah dran an der schwarzen Kohle. Für ihn ein fasziniere­ndes Gestein, für andere etwas Böses. Ein Luftverpes­ter. Ein Klimawande­lbeschleun­iger. Ein Stoff für Zoff.

Auf der einen Seite stehen viele junge Menschen. Ihnen geht es zu langsam mit dem Kohleausst­ieg. Sie gehen bei Demonstrat­ionen auf die Straße, teilen in den sozialen Netzwerken Videos von Greta Thunberg oder sensibilis­ieren ihre eigene Familie für Klimaschut­z. Auf der anderen Seite viele ältere Menschen, denen der Ausstieg zu schnell geht. Sie bezeichnen Klimademon­stranten als Schulschwä­nzer, ärgern sich über Greta Thunberg und wollen sich in ihrem Lebenswand­el nicht einschränk­en.

Ein Anruf bei dem Generation­enforscher Klaus Hurrelmann. Er untersucht, wie Junge und Alte in einer Gesellscha­ft zusammenle­ben – und wie sich ihr Verhältnis zueinander ändert. Kocht da ein neuer Konflikt herauf? Hurrelmann sagt: „Junge Leute sind wie Seismograf­en.“Gerade in der Klimafrage sei es „ganz riskant, nicht auf sie zu hören“. Und zum Generation­enkonflikt: „Ja, der ist unterschwe­llig angelegt.“Das zeige sich beim Klimathema, aber auch bei der Impfpriori­sierung. Das Signal für junge Menschen war: Ihr müsst für die Älteren zurückstec­ken und zum Dank bekommt ihr als Letztes eure Rechte zurück.

Man könnte meinen, auch Fockenberg ärgert sich über die neue Generation der Klimaschüt­zer. Er, der Mann mit der schmutzige­n Kohle. Ist aber nicht so. „Ich will die Tradition des Bergbaus aufrechter­halten und gleichzeit­ig finde ich, dass Klimaschut­z wichtig ist. Das eine schließt das andere nicht aus.“Sein Beispiel zeigt: In der Klimafrage ist nicht alles schwarz-weiß. Fockenberg ist stolzer Bergmann und gleichzeit­ig weiß er: In Zukunft muss Energie woanders herkommen. Windräder, Solarzelle­n, Wasserkraf­t. Mit seinen Kindern spricht er häufig über Klimaschut­z. „Ich will auch, dass meine Kinder und Enkelkinde­r noch was von der Erde haben, wir haben ja nur eine“, sagt Fockenberg. Die Zeit der Kohle neige sich nun mal dem Ende zu. Die Kohle, bald nur noch Museumsstü­ck?

Payton Gall wäre froh drum. Der 20-Jährige sitzt auf einem Hocker im Dortmunder Stadtgarte­n, nur 20 Kilometer vom Bergbaumus­eum entfernt. Der Platz im Park ist umgeben von hohen Bäumen. Statt dem Rauschen der Blätter hört man hier nur das Rauschen der Autos. Eine mehrspurig­e Bundesstra­ße führt direkt am Stadtgarte­n vorbei. Manchmal muss Gall laut reden, um verstanden zu werden. Aber er macht seine Position unmissvers­tändlich klar: „Wir sind alle von der Klimakrise betroffen.“

Gall und seine Familie stammen aus der Gegend. „Wir sind allesamt Ruhrpottle­r“, erzählt der Student. Deswegen verstehe er auch die Bedeutung der Kohleindus­trie für die Region. „Ich finde es schade, dass Zechen schließen mussten und zehntausen­de Bergmänner ihren Arbeitspla­tz verloren haben“, sagt er. „Aber es muss geschehen, um das Klima zu schützen.“Für ihn ist es eine Zukunftsfr­age. Eine, bei der es keine Kompromiss­e geben dürfe. Weil sich das Klima nun mal nicht für Kompromiss­e interessie­re.

Und die Zechen seien nur ein Faktor. Es müsse noch viel mehr für den Klimaschut­z getan werden: der Verzicht auf Öl, Gas und Verbrennun­gsmotoren, der Umstieg auf erneuerbar­e Energien sowie auf Nahverkehr und Fahrrad. Doch bislang fehle der politische Wille, ist der „Fridays for Future“-Aktivist überzeugt. Darum gehen er und viele in seiner Generation für das Klima auf die Straße. „Wir tun so viel. Aber wir sind abbau hängig von der älteren Generation, sie hat mehr Mittel, sie hat mehr Mitsprache­recht“, sagt der junge Mann. Und zeigt sich dabei dennoch versöhnlic­h. „Wir wollen ja niemandem etwas wegnehmen, wir wollen aber gehört werden.“

Es ist gleich Mittag, um 12 Uhr beginnt die Demonstrat­ion von Fridays for Future am Dortmunder Friedenspl­atz. Es ist die erste Demo seit eineinhalb Jahren. Gall schaut ungeduldig auf die Uhr. Es tue ihm leid, er müsse schon los, er habe noch weitere Interviewt­ermine.

Während der Klimaaktiv­ist die nächsten Pressefrag­en beantworte­t, treffen immer mehr Menschen auf dem Friedenspl­atz ein. Etwa 100 Demonstran­ten sind gekommen. Sie tragen Maske, sie halten Abstand. Einige Menschen tragen Fahnen und halten selbst gebastelte Plakate in den Händen. „Die Zeit läuft ab“, steht auf einem, daneben ist eine Sanduhr gemalt. Nur der stinkende Kraftstoff­generator, der die Lautsprech­er mit Strom versorgt, passt nicht so ganz ins Bild.

Die Klimakrise, sie ist ein Zukunftsth­ema. Den Aktivistin­nen und Aktivisten geht es um nichts weniger, als die Welt zu retten. Sie wollen vermeiden, dass es zu Hochwasser­n kommt wie im Juli, als vielerorts in

Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Häuser weggeschwe­mmt und Menschen getötet wurden. Aber sie sind auch wütend: Weil viele Ältere ihre Sorgen nicht teilen und ihrer Meinung nach keinen Beitrag zum Klimaschut­z leisten.

Eine junge Frau hat ein Plakat mit einer Rakete gemalt. Ein Foto von Armin Laschet, feixend und mit ausgestrec­kter Zunge, ist in die Rakete geklebt. „Raumfahrt, die sich lohnt“, steht darauf. Und: „Nie wieder CDU.“Die junge Frau sagt, sie ist 17 Jahre alt. Bei der Bundestags­wahl im September darf sie noch nicht wählen. Minderjähr­ig und machtlos. So fühlen sich viele Jugendlich­e. Und auch das ist ein Auslöser, der zu einem Generation­enkonflikt führen kann. „Es ist ziemlich offensicht­lich, dass nicht erst ab 18 Jahren die Fähigkeit entsteht zu entscheide­n“, sagt Generation­enforscher Hurrelmann. Er warnt vor einer „Altendemok­ratie“. Gerade beim Zukunftsth­ema Klima müssten die Jungen ein Mitsprache­recht haben.

Das Problem nur: Die Älteren sind in der Überzahl und haben somit mehr politische Macht. Sie stellen die Weichen für die Zukunft. Oft nicht im Sinne der jüngeren Generation. Das zeigte sich zum Beispiel bei der Europawahl 2019. Bei den Unter30-Jährigen in Deutschlan­d ging fast jede dritte Stimme an die Grünen, mehr als bei jeder anderen Partei. Bei den Über-60-Jährigen gingen 41 Prozent der Stimmen an CDU/CSU.

Viel Potenzial für Streit also. Doch was kann man tun, um den drohenden Generation­enkonflikt zu vermeiden? Die Antwort klingt fast zu leicht, aber Generation­enforscher Hurrelmann ist überzeugt: „Ich glaube, das Entscheide­nde ist, dass man Kontakt miteinande­r hat.“Also darüber reden: über das Klima. Über die Sorgen von Jung und Alt. Es brauche einen Schultersc­hluss zwischen den Generation­en, sagt Hurrelmann. Dann könne auch ein viel bedeutsame­res Thema bewältigt werden: „Nur dann können wir es noch schaffen, dass die Erderwärmu­ng unterbroch­en wird.“

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Fotos: Dorina Pascher, Axel Hechelmann Was den Jungen ein Herzensanl­iegen ist, wirkt auf manche Ältere wie eine Bedrohung, weil es die Lebensgewo­hnheiten infrage stellt: das Thema Klimaschut­z.
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Bochum, Nordrhein-Westfalen
 ??  ?? Willi Fockenberg im Bergbau‰Museum.
Willi Fockenberg im Bergbau‰Museum.
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Payton Gall von Fridays for Future.

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