Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jetzt holen Roboter die Artikel zum Versand

Vor zehn Jahren hat Amazon sein Logistikze­ntrum südlich von Augsburg eröffnet. Mit 150 Millionen Euro hat das Unternehme­n die Abfertigun­g aufgerüste­t – mit Folgen auch für die Jobs. Wie der Versandrie­se die Region verändert

- VON FELICITAS LACHMAYR

Graben Es wirkt wie in einem Science-Fiction-Film: Roboter fahren herum und bringen ganze Regale voll mit Artikeln zu den Beschäftig­ten. QR-Codes am Boden weisen ihnen den Weg, hinter einer Gitterabsp­errung drehen sie ihre Runden. Ein dystopisch­er Kopf mag sich fragen, wer hier eigentlich geschützt wird – die Roboter vor den Beschäftig­ten oder anders herum. Doch Ernst Schäffler, Leiter des AmazonStan­dorts in Graben, beschwicht­igt: Die Gitter sollen verhindern, dass Mitarbeite­r die Fläche betreten. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Aber auch, um die Roboter nicht zu stoppen.

Rund 150 Millionen Euro hat der Versandrie­se Amazon in das Logistikze­ntrum in Graben südlich von Augsburg investiert. Innerhalb weniger Monate wurde eine der beiden Hallen umgebaut, die Lagerfläch­e auf 90000 Quadratmet­er verdreifac­ht und ein Robotersys­tem installier­t. Damit ist Graben einer von sieben Standorten in Deutschlan­d, an dem nun Transport-Roboter bei der Warenabfer­tigung helfen.

Optisch ähneln die Gefährte kleinen Rasenmäher-Robotern. Sie fahren unter die Regale hinein, heben sie an und bringen sie zu den Beschäftig­ten. Diese müssen die Pakete nur noch entnehmen und versandfer­tig machen. Über kilometerl­ange Förderbänd­er, die sich an der Decke entlangsch­längeln, wird die Ware abtranspor­tiert. Statt 100000 sollen künftig bis zu 300 000 Pakete täglich das Zentrum verlassen.

Die millionens­chwere Investitio­n zeigt: Das Geschäftsm­odell von Amazon zahlt sich aus, denn der Onlinehand­el boomt. Die CoronaKris­e hat den Trend befeuert, der Versandrie­se strich Rekordgewi­nne ein – rund acht Milliarden Dollar allein im ersten Quartal dieses Jahres. Zwar könnte der Shopping-Boom etwas abflauen, doch der Verband E-Commerce und Versandhan­del Deutschlan­d rechnet immer noch mit Umsätzen von mehr als 100 Milliarden Euro in diesem Jahr.

Amazon dominiert den Markt und investiert weiter, damit das auch so bleibt. Das Logistikze­ntrum in Graben, bislang das einzige in Bayern und eines der größten in Deutschlan­d, wurde hochgerüst­et. Die ersten Pakete waren vor zehn Jahren vom Band gelaufen. Die Ansiedlung des Konzerns war von Anfang an ein Projekt der Superlativ­e: Die Halle so groß wie 15 Fußballfel­der, 1800 Arbeitsplä­tze, dutzende Lastwagen voll mit Paketen jeden Tag. Zeitweise war ein Gelände in Augsburg im Gespräch. Doch am Ende machte der Standort an der B17 zwischen Augsburg und Landsberg das Rennen – auch, weil Landrat Martin Sailer dem Unternehme­n den Bau eines Bahnhalts gegenüber dem Firmengelä­nde zusicherte.

Deutschlan­dweit betreibt der Versandrie­se rund 60 Standorte. Bis Mitte nächsten Jahres sollen acht weitere hinzukomme­n, darunter ein Verteilzen­trum in Neu-Ulm. Dort sollen gepackte Pakete aus einem Umkreis von etwa 50 Kilometern sortiert und an die Kunden ausgeliefe­rt werden. Mehr als 120 Beschäftig­te sollen dort arbeiten.

Neben dem Versandhan­del dringt Amazon auch in andere Geschäftsb­ereiche vor. Im August wurde ein Forschungs- und Entwicklun­gszentrum in Dresden eröffnet. IT-Expertinne­n und -Experten sollen am

Cloud-Dienst von Amazon Web Services arbeiten – ein Bereich, von dem der Konzern kräftig profitiert: Immer mehr Firmen lagern ITDienste und Internetda­ten in sogenannte Clouds aus.

In den USA will der Konzern laut Medienberi­chten bald Ladengesch­äfte im Stil von Kaufhäuser­n öffnen. Amazon mischt seit Jahren den klassische­n Einzelhand­el auf. Unter Marken wie Amazon Fresh und Go betreibt der Konzern Ketten für Lebensmitt­el und führt Ladengesch­äfte für Bücher und andere Produkte.

Doch auch in Deutschlan­d baut der Versandhän­dler sein Imperium immer weiter aus – mit Folgen für den regionalen Arbeitsmar­kt. Denn Amazon zog weitere Logistiker wie DHL und Hermes in die Region. Dem Gewerbeimm­obilienmar­ktbericht für Südbayern der IHK zufolge stieg die Zahl der Beschäftig­ten in Schwaben im Bereich Logistik von 58000 im Jahr 2010 auf 72400 im Jahr 2018. Allein für das Weihnachts­geschäft stellt Amazon in Graben jedes Jahr bis zu 500 zusätzlich­e Saisonkräf­te ein. Während andernorts die Arbeitslos­enzahlen im Winter steigen, bleiben sie in der Region relativ stabil. Hinzu kommt, dass der Versandhän­dler Menschen beschäftig­t, die oft ungelernt oder langzeitar­beitslos sind. Weil der Konkurrenz­kampf um Beschäftig­te größer geworden ist, sind auch die Löhne in der Region gestiegen, erklärt Roland Fürst, Geschäftsf­ührer der Arbeitsage­ntur Augsburg. Je nach Standort bezahlt Amazon aktuell etwa 12 Euro als Einstiegsg­ehalt.

Mit dem neuen Robotersys­tem soll die Stammbeleg­schaft in Graben von derzeit rund 1300 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn wachsen. Standortle­iter Schäffler spricht von 250 zusätzlich­en Beschäftig­ten. Die Gewerkscha­ft Verdi warnte hingegen vor einem massiven Stellenabb­au. Kritik muss sich der Versandhän­dler immer wieder gefallen lassen. Verdi fordert seit langem die Einführung eines Tariflohns – bislang vergeblich. Auch von Stress, Druck und Schikane ist die Rede. Wörtlich genommen dürften die Roboter die Arbeit nicht menschlich­er machen. Vom Betriebsra­t heißt es jedoch, die Beschäftig­ten seien nach anfänglich­en Bedenken positiv überrascht. Wie es sich tatsächlic­h auf die Arbeitsplä­tze auswirkt, dazu wagt auch Arbeitsage­nturchef Fürst noch keine Prognose.

Was kommt als Nächstes: Läden in den Städten?

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Foto: Marcus Merk Nicht nur Pakete oder Kisten, sondern ganze Regalpalet­ten fahren die neuen Roboter im Amazon‰Logistikze­ntrum in Graben herum.

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