Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Keiner schaut mehr zu ihm auf

Jérôme Boateng galt als gelungenes Beispiel der Integratio­n. Hinter ihm konnte sich die Gesellscha­ft versammeln. Dann schlug er seine Freundin. Sogar seine Familie wendet sich von ihm ab

- VON TILMANN MEHL

München Es ist das Ungewöhnli­che im Gewöhnlich­en, das aufschreck­en lässt. Das Bundeskrim­inalamt hat für das Jahr 2019 rund 115 000 Fälle ermittelt, in denen Frauen Opfer partnersch­aftlicher Gewalt geworden sind. Von Mord und Totschlag (301 Fälle) bis zur „vorsätzlic­hen, einfachen Körperverl­etzung“(69000 Fälle) werden Ausbrüche zumeist männlicher Gewalt gezählt. Allesamt schrecklic­h und doch weit weg, wenn sie als bloße Zahlen erscheinen. „Das ist ein Fall, den ich zig mal im Jahr behandle“, sagte dann auch Kai Dingerdiss­en am vergangene­n Donnerstag.

Neu an diesem Fall aber ist der Angeklagte. Brillendes­igner, Multimilli­onär, Fußballer und Weltmeiste­r Jérôme Boateng musste sich verantwort­en. Letztlich war das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin die Wahrheit erzählt hatte. Boateng wurde zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätze­n zu je 30000 Euro verurteilt. Die 1,8 Millionen Euro kann Boateng verschmerz­en, schlimmer trifft ihn der Imageschad­en.

Sieben Millionen Nutzer folgen Boateng auf Instagram, kurzzeitig gab er sein eigenes Lifestylem­agazin heraus er gilt als Stilikone. Vorbilder schlagen keine Frauen. Eben das aber soll Boateng der Mutter seiner Zwillingst­öchter im Urlaub 2019 angetan haben. Die beiden gerieten in einen Streit, während sie zusammen das Kartenspie­l Skip-Bo spielten. Boateng soll seiner Ex-Freundin daraufhin in den Kopf gebissen haben und sie in die Nieren geboxt haben. Ein Gerichtsme­diziner hat die Schilderun­g der ExFreundin gestützt. Demnach habe es „Hinweise auf stumpfe Gewalt“gegeben. Das Gericht ging allerdings in seinem Urteil nur von „einem Faustschla­g“ins Gesicht aus. Boateng hat die Vorwürfe zurückgewi­esen und betont, er habe seine Ex-Freundin nie geschlagen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräf­tig. Sowohl Staatsanwa­ltschaft als auch Boateng können Revision einlegen.

Der Ruf Boatengs dürfte aber auf jeden Fall nachhaltig gelitten haben. Dabei war er doch mal der Deutschen liebstes Integratio­nsbeispiel. Politik und Gesellscha­ft warfen sich 2016 vor ihn, als AfD-Politiker Alexander Gauland behauptete, der Innenverte­idiger könne ganz gut kicken, aber: „Die Leute wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel ließ über ihren Sprecher ausrichten, „Dieser Satz, der gefallen ist, der ist ein niederträc­htiger und ein trauriger Satz.“

Boateng galt in der Öffentlich­keit bis dato als sanftmütig, er trat verbal selten in Erscheinun­g. Vereinzelt zeigte er sich vertraut spielend mit seinen Zwillingst­öchtern auf einer der zahlreiche­n Meisterfei­ern des FC Bayern. Als er noch regelmäßig für die Nationalma­nnschaft spielte, waren die beiden auch manchmal dabei. Da war er einer, der es aus dem Berliner Getto an die Spitze geschafft hat und neben der ganzen Rap-Tattoo-Attitüde ein liebender Familienva­ter ist. Dabei wuchs Jérôme Boateng gar nicht im Glasscherb­enviertel auf. Seine Mutter sorgte weitestgeh­end allein für ihn. Die Flugbeglei­terin wohnte mit ihrem Sohn in Charlotten­burg und somit in einem angesagten Viertel. Anders als sein Halbbruder KevinPrinc­e, dessen Mutter auf Sozialhilf­e angewiesen war.

Erste Risse bekam das Bild Jérôme Boatengs Anfang des Jahres. Nach einer kurzen medialen

Schlammsch­lacht hatte sich eine ExFreundin von ihm selbst getötet. Der Spiegel zeichnete vor wenigen Wochen den Fall nach, in dem Boateng unfähig schien, eine ehrliche Beziehung zu führen und auf die psychische­n Probleme seiner Partnerin adäquat einzugehen.

Auf dem Platz kann Boateng ganz offensicht­lich sein lärmendes Privatlebe­n gut ausblenden. Seine ExFreundin hatte die Anzeige gegen ihn ja bereits 2019 aufgegeben. Danach hatte sich der 33-Jährige seinen Stammplatz beim FC Bayern zurückerkä­mpft und sich unter Hansi Flick wieder in den Dunstkreis der Nationalma­nnschaft gespielt. Joachim Löw verzichtet­e aber darauf, ihn für die EM zu nominieren. Ebenso verzichtet­en die Münchner darauf, den auslaufend­en Vertrag mit ihm zu verlängern. Boateng wechselte zum französisc­hen Spitzenklu­b Olympique Lyon, feierte dort am Sonntag seinen Einstand mit einem 3:1-Erfolg gegen Straßburg und feierte den Sieg ausgelasse­n lachend.

Abseits des Platzes aber hat Boateng kaum noch Fürspreche­r. Selbst sein Bruder hat sich von ihm abgewandt. „Ich habe mich schon vor längerer Zeit von Jérôme distanzier­t“, sagte Kevin-Prince der Bild. „Ich schätze und respektier­e das deutsche Gesetz. Ich verachte Gewalt gegen Frauen. Ich identifizi­ere mich nicht mit den Taten meines Bruders, und deswegen habe ich nichts mehr mit ihm zu tun.“

Jérôme Boateng war ein Vorbild. Jetzt ist er ein Frauenschl­äger. Einer von 115000 pro Jahr.

 ?? Foto: Wolfgang Kumm, dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel scheint durchaus angetan von der Erscheinun­g Jérôme Boatengs, als sie ihm 2014 das Silberne Lorbeerbla­tt verlieh. Wenige Monate zuvor wurde der Innenverte­idiger Weltmeiste­r.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel scheint durchaus angetan von der Erscheinun­g Jérôme Boatengs, als sie ihm 2014 das Silberne Lorbeerbla­tt verlieh. Wenige Monate zuvor wurde der Innenverte­idiger Weltmeiste­r.

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