Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Abschied mit einer Gretchenfrage
Mit einem unkonventionellen Stück und vielen Anspielungen verabschiedet sich Leif Eric Young nach 13 Jahren vom Theter Ensemble, dem freien Theater, das er sich einst erträumt hatte
Vor 13 Jahren hatte ein junger Idealist mit mannigfaltigen Talenten einen Traum. Er erträumte ein freies, unkonventionelles Theater mit einem Ensemble zwischen Abschlusszeugnis und Schauspielschule und einem Publikum, das sich eher für die Residents in den Technoclubs am Freitagabend interessiert als für das Feuilleton am Samstagmorgen. Und nun, 13 Jahre später, wurde der Traum Realität und der immer noch junge Leif Eric Young sieht die Zeit gekommen, hinter die Ära als künstlerischer Leiter des theter ensembles einen Schlusspunkt zu setzen.
„Augsburg ist ein gemachtes Nest, es wurde langweilig.“Young möchte raus aus der Stadt, er braucht neue Inspiration, neue Ideen, neue Menschen, neue Herausforderungen. In Basel, eine kleine Stadt mit großer, reaktiver Theaterlandschaft, wird Leif Eric Young neu beginnen.
Der Weg von einer schlaftrunkenen Spinnerei zu einer Theaterinstitution mit kompletter Infrastruktur in den Räumen oberhalb des City Clubs war geprägt von „hellen und dunklen Momenten, sie war ausfüllend und vereinnahmend“. So gestalteten sich auch die letzten drei Monate, die komplett von der Vorbereitung seines künstlerischen Schlusspunkts, die Inszenierung seines Sci-Fi-Märchens „Gretchen Nautilus“, vereinnahmt wurden. Die Gretchenfrage aus Goethes „Faust“möchte Gesinnungen ans Tageslicht fördern, im Stück heißt es dann „Hältst du es mit Haien oder Delfinen?“oder „Wie hältst du es mit der Gesellschaft? Möchtest du ein Teil davon bleiben oder lieber verschwinden?“.
Die Besetzung des Unterseeboots Gretchen Nautilus entschied sich für das Zweite und versucht nun, das Meer vom Müll der Zivilisation zu befreien und sich auf die Suche nach der ein oder anderen Phantasterei zu machen. Nach versunkenen Städten, kosmischen Seeungeheuern und einem verschollenen Plutoniumkern.
Mehr muss man über die Handlung nicht wissen, das Stück ist weniger ein linear erzähltes Bühnenstück als eine Flut aus Bildern, Zitaten und Andeutungen. Es ist ein Rätsel, „ein riesiges Experiment, das durch die Decke gehen oder komplett abstürzen kann“, wie Young bemerkenswert entspannt noch wenige Stunden vor der Premiere auf dem Weg zum E-Zigarettenladen erzählt. Ein Wagnis, das – soviel sei vorweggenommen – sich einzugehen lohnte.
Da wäre einmal das Stück an sich, turbulenter Quatsch auf hohem Niveau, das sich bestens als Stoff für ein laut gezeichnetes Anime eignen würde oder für einen schnell geschnittenen Arthousefilm. Und dann der Text, der „eher eine Gebrauchsanweisung für das Ensemble ist, komplett abhängig vom Drive der Performer“, der dann am Freitag im Brunnenhof bravourös von eben jenen mit Leben gefüllt wurde.
Die Besetzung des Bootes verbindet ihre individuelle Leidenschaft für eine bestimmte Disziplin, seien es Meerjungfrauen, Molluske oder alkoholische Getränke und das Tragen von Tauchschuhen, man befindet sich immerhin unter Wasser. Marion Alber als Meereslinguistin
Yolanda ist ein aufgedrehtes MangaMädchen mit überbordender Begeisterung für bizarre Wirbellose, die gerne läuft wie ein Krebs und spricht wie ein Rochen, Philosoph Leyland (Baris Kirat) sieht aus, als wäre er von seiner Mutter zum Wandertag eingekleidet worden, bevor er seine Wortakrobatik an den Mitfahrenden erprobt, Daria Welsch als Aktivistin Levi gönnt sich in ihrer Rolle als besessene Leiterin der Mission, den legendären Demon Core zu finden, keine Sekunde Entspannung.
Die neun Schauspielerinnen und Schauspieler haben ihren scheidenden Intendanten nicht hängen lassen und die Intention seines Textes, mit Freiheit und überbordender Energie den Charakteren Leben einzuhauchen und sie in einem beengten, isolierten Raum aufeinander loszulassen, mit Bravour auf die Bühne gebracht.
Welsch sagte im Anschluss der Premiere, es sei nicht möglich, die eigene Performance ohne die anderen einzuordnen. Beim theter ensemble wird nicht einzeln brilliert, sondern dem Publikum ein feines Zusammenspiel dargeboten, das nur möglich ist, wenn es sich um eine eingeschworene Gruppe handelt, die getragen wird von ihrer Vertrautheit und von der Überzeugung von dem, was man gemeinsam erschafft. So muss man sich um das Ensemble trotz des Scheidens der prägenden Figur Leif Eric Young keine Sorgen machen, die Zukunft der Gruppe ist in den besten Händen, nämlich in ihren eigenen.
Das vergangene Wochenende feierte mit den drei Aufführungen der Nautilus noch einmal die 13 Jahre in einem Feuerwerk an popkulturellen Ostereiern. Es gibt Musik aus dem Arcadespiel Mario Bros., die Alarmgeräusche von Raumschiff Enterprise, es gibt Mangakniestrümpfe und Cowboystiefel und die Besatzung trinkt zu jeder Tages- und Nachtzeit einen mysteriösen Drink, der unangenehm an die aufputschende Moloko Plus aus „A Clockwork Orange“und die folgenden Gewaltexzesse erinnert und man inständig hofft, dass solche der Besatzung der Nautilus erspart bleiben.
Die Bordkapelle spielt bis zum Untergang, im Falle theter eine vom japanischen Trashfernsehen inspirierte Revue mit Ganzkörpertierkostümen und fliegendem Plutonium und dem alten Swingklassiker „We’ll meet again“von Vera Lynn. Es wäre Young zuzutrauen, dass diese alte Nummer nicht aus Zufall das Stück, und damit seine Zeit beim theter, beenden sollte. Denn Augsburg ist seine Werft, sein Klavier steht noch im Frequenzgarten, seine Säge bleibt erst einmal in der Werkstatt des theters am Königsplatz. Und vielleicht gibt es im Spätherbst nochmal Gretchen im City Club. Und dann treffen sie sich wieder, die Theterleute und Leif Eric Young.