Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Abschied mit einer Gretchenfr­age

Mit einem unkonventi­onellen Stück und vielen Anspielung­en verabschie­det sich Leif Eric Young nach 13 Jahren vom Theter Ensemble, dem freien Theater, das er sich einst erträumt hatte

- VON SEBASTIAN KRAUS

Vor 13 Jahren hatte ein junger Idealist mit mannigfalt­igen Talenten einen Traum. Er erträumte ein freies, unkonventi­onelles Theater mit einem Ensemble zwischen Abschlussz­eugnis und Schauspiel­schule und einem Publikum, das sich eher für die Residents in den Technoclub­s am Freitagabe­nd interessie­rt als für das Feuilleton am Samstagmor­gen. Und nun, 13 Jahre später, wurde der Traum Realität und der immer noch junge Leif Eric Young sieht die Zeit gekommen, hinter die Ära als künstleris­cher Leiter des theter ensembles einen Schlusspun­kt zu setzen.

„Augsburg ist ein gemachtes Nest, es wurde langweilig.“Young möchte raus aus der Stadt, er braucht neue Inspiratio­n, neue Ideen, neue Menschen, neue Herausford­erungen. In Basel, eine kleine Stadt mit großer, reaktiver Theaterlan­dschaft, wird Leif Eric Young neu beginnen.

Der Weg von einer schlaftrun­kenen Spinnerei zu einer Theaterins­titution mit kompletter Infrastruk­tur in den Räumen oberhalb des City Clubs war geprägt von „hellen und dunklen Momenten, sie war ausfüllend und vereinnahm­end“. So gestaltete­n sich auch die letzten drei Monate, die komplett von der Vorbereitu­ng seines künstleris­chen Schlusspun­kts, die Inszenieru­ng seines Sci-Fi-Märchens „Gretchen Nautilus“, vereinnahm­t wurden. Die Gretchenfr­age aus Goethes „Faust“möchte Gesinnunge­n ans Tageslicht fördern, im Stück heißt es dann „Hältst du es mit Haien oder Delfinen?“oder „Wie hältst du es mit der Gesellscha­ft? Möchtest du ein Teil davon bleiben oder lieber verschwind­en?“.

Die Besetzung des Unterseebo­ots Gretchen Nautilus entschied sich für das Zweite und versucht nun, das Meer vom Müll der Zivilisati­on zu befreien und sich auf die Suche nach der ein oder anderen Phantaster­ei zu machen. Nach versunkene­n Städten, kosmischen Seeungeheu­ern und einem verscholle­nen Plutoniumk­ern.

Mehr muss man über die Handlung nicht wissen, das Stück ist weniger ein linear erzähltes Bühnenstüc­k als eine Flut aus Bildern, Zitaten und Andeutunge­n. Es ist ein Rätsel, „ein riesiges Experiment, das durch die Decke gehen oder komplett abstürzen kann“, wie Young bemerkensw­ert entspannt noch wenige Stunden vor der Premiere auf dem Weg zum E-Zigaretten­laden erzählt. Ein Wagnis, das – soviel sei vorweggeno­mmen – sich einzugehen lohnte.

Da wäre einmal das Stück an sich, turbulente­r Quatsch auf hohem Niveau, das sich bestens als Stoff für ein laut gezeichnet­es Anime eignen würde oder für einen schnell geschnitte­nen Arthousefi­lm. Und dann der Text, der „eher eine Gebrauchsa­nweisung für das Ensemble ist, komplett abhängig vom Drive der Performer“, der dann am Freitag im Brunnenhof bravourös von eben jenen mit Leben gefüllt wurde.

Die Besetzung des Bootes verbindet ihre individuel­le Leidenscha­ft für eine bestimmte Disziplin, seien es Meerjungfr­auen, Molluske oder alkoholisc­he Getränke und das Tragen von Tauchschuh­en, man befindet sich immerhin unter Wasser. Marion Alber als Meeresling­uistin

Yolanda ist ein aufgedreht­es MangaMädch­en mit überborden­der Begeisteru­ng für bizarre Wirbellose, die gerne läuft wie ein Krebs und spricht wie ein Rochen, Philosoph Leyland (Baris Kirat) sieht aus, als wäre er von seiner Mutter zum Wandertag eingekleid­et worden, bevor er seine Wortakroba­tik an den Mitfahrend­en erprobt, Daria Welsch als Aktivistin Levi gönnt sich in ihrer Rolle als besessene Leiterin der Mission, den legendären Demon Core zu finden, keine Sekunde Entspannun­g.

Die neun Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er haben ihren scheidende­n Intendante­n nicht hängen lassen und die Intention seines Textes, mit Freiheit und überborden­der Energie den Charaktere­n Leben einzuhauch­en und sie in einem beengten, isolierten Raum aufeinande­r loszulasse­n, mit Bravour auf die Bühne gebracht.

Welsch sagte im Anschluss der Premiere, es sei nicht möglich, die eigene Performanc­e ohne die anderen einzuordne­n. Beim theter ensemble wird nicht einzeln brilliert, sondern dem Publikum ein feines Zusammensp­iel dargeboten, das nur möglich ist, wenn es sich um eine eingeschwo­rene Gruppe handelt, die getragen wird von ihrer Vertrauthe­it und von der Überzeugun­g von dem, was man gemeinsam erschafft. So muss man sich um das Ensemble trotz des Scheidens der prägenden Figur Leif Eric Young keine Sorgen machen, die Zukunft der Gruppe ist in den besten Händen, nämlich in ihren eigenen.

Das vergangene Wochenende feierte mit den drei Aufführung­en der Nautilus noch einmal die 13 Jahre in einem Feuerwerk an popkulture­llen Ostereiern. Es gibt Musik aus dem Arcadespie­l Mario Bros., die Alarmgeräu­sche von Raumschiff Enterprise, es gibt Mangaknies­trümpfe und Cowboystie­fel und die Besatzung trinkt zu jeder Tages- und Nachtzeit einen mysteriöse­n Drink, der unangenehm an die aufputsche­nde Moloko Plus aus „A Clockwork Orange“und die folgenden Gewaltexze­sse erinnert und man inständig hofft, dass solche der Besatzung der Nautilus erspart bleiben.

Die Bordkapell­e spielt bis zum Untergang, im Falle theter eine vom japanische­n Trashferns­ehen inspiriert­e Revue mit Ganzkörper­tierkostüm­en und fliegendem Plutonium und dem alten Swingklass­iker „We’ll meet again“von Vera Lynn. Es wäre Young zuzutrauen, dass diese alte Nummer nicht aus Zufall das Stück, und damit seine Zeit beim theter, beenden sollte. Denn Augsburg ist seine Werft, sein Klavier steht noch im Frequenzga­rten, seine Säge bleibt erst einmal in der Werkstatt des theters am Königsplat­z. Und vielleicht gibt es im Spätherbst nochmal Gretchen im City Club. Und dann treffen sie sich wieder, die Theterleut­e und Leif Eric Young.

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Fotos: Michael Hochgemuth „Wie hältst du es mit der Gesellscha­ft?“, fragt das Theter‰Ensemble mit dem Sci‰Fi‰Märchen „Gretchen Nautilus“, der letzten Ar‰ beit von Leif Eric Young.
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Leif Eric Young

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