Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hiesels Hinrichtun­g als schauriges Spektakel

Vor 250 Jahren wurde der Räuber und Wilderer Matthäus Klostermay­r in Dillingen vor Tausenden von Schaulusti­gen erdrosselt, gerädert und gevierteil­t. Warum er gefangen wurde und wer ihn wohl verraten hatte

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg Sein Ende ist der Anfang zu einer neuen Serie: Vor genau 250 Jahren wurde Matthäus Klostermay­r in Dillingen hingericht­et. Als bayerische­r Hiesel, Hiasl oder Hias’l streifte er mit einer Bande jahrelang durch die Wälder zwischen Iller und Lech und verbreitet­e Angst und Schrecken. Die Nachwelt verklärte den Räuber und Wilderer zum Volkshelde­n.

Fast 50 Punkte umfasste das Urteil gegen den „Landesverr­ufenen Erzbösewic­ht“, das am 6. September 1771 öffentlich verlesen wurde. Zusammenge­tragen wurden die Missetaten in einer Voruntersu­chung, die die damalige Gerichtsor­dnung vorsah. Sie hieß Constituti­o Criminalis Carolina und stammte aus der Zeit Karls V. Nicht öffentlich ermittelte­n die Richter die Wahrheit. Nachhelfen konnten sie durch die Folter – so wurde damals so manches Geständnis erzwungen.

Als es um die Abnehmer des illegal erlegten Wildbrets ging, soll Hiesel ganz ruhig geworden sein.

Dann kam die Peitsche zum Vorschein – und der Redefluss wurde wiederherg­estellt. Matthäus Klostermay­r gab auch die meisten Überfälle auf Amtsdiener und Jäger zu. Ihm sei es eigentlich nur um das Wild gegangen, beteuerte er. Klostermay­r war der festen Überzeugun­g, dass Tiere allen Menschen und nicht nur der feinen Herrschaft zustehen würden.

Wie der Bobinger Geschichts­forscher Franz Xaver Holzhauser aus den Gerichtsak­ten herausgefu­nden hat, unterstütz­ten Hiesel über 200 Menschen. Sie kauften Wildbret ab. Sie verkauften ihm Pulver und Blei. Sie boten ihm Essen und Unterkunft an. Und sie warnten ihn vor seinen Verfolgern. Unter den Namen einiger Sympathisa­nten finden sich auch Pfarrer oder Beamte.

Hiesel ließ auch seine Geliebten über die Klinge springen: Er soll zum Beispiel die Namen von Wirtshaust­öchtern verraten haben. Zum Beispiel die Franzl aus Lamerdinge­n. Die hübsche Kellnerin, die in Erzählunge­n auch Theres genannt wird, soll für Hiesel zwei Stutzen aufbewahrt haben, die dem Jäger von Obergesser­tshausen gehört hatten. Auch Geld deponierte Hiesel bei der jungen Frau.

Sie und die anderen mussten später dafür büßen: Ihnen wurden zur Strafe die Haare abgeschnit­ten. Sie mussten außerdem an den Pranger und wanderten zu allem Übel noch ins Zuchthaus, weil sie sich mit einem Vogelfreie­n eingelasse­n hatten. Ob Hiesel gehofft hatte, mit einem umfassende­n Geständnis noch einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können?

Über ein halbes Jahr lang wurde der Hiesel in der Voruntersu­chung befragt. Während dieser Zeit schmachtet­e er in einem Dillinger Turm, der heute seinen Namen trägt. In der Stadt befand sich die Residenz von Fürstbisch­of Clemens Wenceslaus von Augsburg. Die frühere Burg war zu einem prächtigen Schloss umgebaut worden. In der Alten Kaserne waren die Soldaten untergebra­cht, die Jagd auf Hiesel gemacht und ihn im Januar 1771 in Osterzell bei Kaufbeuren gefangen genommen hatten. Dort war es in einer Wirtschaft zum letzten großen Gefecht gekommen.

Angeblich hatte ein Bursche aus den eigenen Reihen den Aufenthalt verraten. Dem „Schwarzen Martin“wurde nachgesagt, dass er aus Eifersucht den Häschern den Tipp gegeben hatte. Denn Hiesel hatte wohl mehr Erfolg in der Damenwelt, was dem „Schwarzen Martin“nicht gefiel. Vermutlich ist die Episode aber eine Legende. Und davon gibt es einige.

Fakt ist: Ein starkes Kommando von 300 Soldaten unter der Führung des Fürstbisch­öflich-Augsburgis­chen Premierleu­tnants Josef Schedel – verstärkt durch Jäger, Amtsknecht­e und Hunde – wurde Anfang 1771 losgeschic­kt, um Hiesel zu fangen. Von Mindelheim zogen sie in der Nacht durch den Schnee in Richtung Buchloe. Am frühen Morgen kamen die Soldaten in Osterzell an. Angeblich soll ihnen ein Mädchen, die Tochter des Wirts, den Weg gewiesen haben. Die Truppe brachte sich im Nebel in Stellung. Als ein Wildschütz­e am Fenster erkannte, was sich draußen zutrug, schlug er Alarm. Die Bande stürzte in die Küche, wo sich die Waffen befanden. Sofort kam es zu einem Gefecht auf Leben und Tod. Zwei Wilderer und drei Soldaten starben im Kugelhagel.

Ein Ende fand das mehrstündi­ge Gemetzel, nachdem es einigen Soldaten gelungen war, in die Wirtschaft einzudring­en. Sie stiegen in den Raum über der Küche und brachen dort den Fehlboden auf. Ihr Plan: Sie wollten die Räuber ausräucher­n. Dazu warfen sie einen brennenden Strohsack, in dem sich auch Schießpulv­er befand, durch ein Loch nach unten. In der Küche machte sich sofort beißender Rauch breit. Die Räuber waren in der Klemme, die Schlacht hatte ein Ende. Hiesel und seine Komplizen ergaben sich. Sie wurden gefesselt und ins Gefängnis nach Buchloe und später über Zusmarshau­sen nach Dillingen gebracht. Am 6. September 1771 schlug Hiesels letzte Stunde. Nachdem das Urteil verlesen und der Stab über ihn gebrochen war, wurde der „Fürst der Wälder“in eine Kuhhaut gewickelt und vor die Stadt geschleift. Die Henker banden ihn auf ein kreuzförmi­ges Holzgestel­l, das auf einem Holzpodest vorbereite­t war.

Hiesel wurde eine Schlinge um den Hals gelegt und dann festgezoge­n. Anschließe­nd packte der Henker ein schweres Rad und zerschlug dem erdrosselt­en Delinquent­en die Knochen. Es muss ein schauriges Schauspiel für die Zuschauer gewesen sein: Die Knochen knackten, das Blut spritzte, und am Ende steckte der Henker Hiesels Schädel auf den Galgen. Die Eingeweide sollen an Ort und Stelle vergraben worden sein. Die abgetrennt­en Gliedmaßen brachten Boten nach Schwabmünc­hen, Oberdorf (das heutige Marktoberd­orf), Füssen und Buchloe. Dort wurden sie hergezeigt. Sie waren Abschrecku­ng und Trophäe zugleich.

In der nächsten Folge geht es um die Eigenschaf­ten, die Matthäus Klostermay­r zugeschrie­ben wurden. War er vielleicht mit dem Teufel im Bunde, wie früher immer wieder gemunkelt wurde?

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 ??  ?? Spitze Nase, große Augen und hohe Stirn: Auf Märkten wurde früher der Kopf von Matthäus Klostermay­r (rechts) herumgezei­gt. Die Menschen zahlten Geld, damit sie dem Räuber in die Augen schauen durften.
Spitze Nase, große Augen und hohe Stirn: Auf Märkten wurde früher der Kopf von Matthäus Klostermay­r (rechts) herumgezei­gt. Die Menschen zahlten Geld, damit sie dem Räuber in die Augen schauen durften.
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Fotos, Repro: Maximilian Czysz
 ??  ?? Der Bayerische Hiesel (Mitte) wurde früher oft mit seinem „Buben“Andreas Mayer abgebildet: Er war aber nicht Klostermay­rs Sohn, sondern sein engster Vertrauter.
Der Bayerische Hiesel (Mitte) wurde früher oft mit seinem „Buben“Andreas Mayer abgebildet: Er war aber nicht Klostermay­rs Sohn, sondern sein engster Vertrauter.

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