Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Amadé und die musikalische Reise durch Europa
Mozartfest Mit einem furiosen Einstieg hat das Augsburger Festival sofort Fahrt aufgenommen – mit zwei umjubelten Konzerten
Was könnte integrativer wirken als Musik, das sprachenunabhängige Phänomen? Hier ticken die Ausführenden gleich, Note ist Note, Takt ist Takt. Und doch sind zwischen diesen Regeln viele Spielräume, wie es auch Kulturräume in Europa gibt. Einer steht exemplarisch für Grenzübertritte, hat sich daraus auf seinen vielen Reisen entwickelt: Wolfgang Amadé Mozart. Er löst das Motto des Mozartfestes 2021 ein: „Mozarts Europa – Europas Mozart“.
Station des ersten Konzerts war Prag, die Stadt, die dem Genie wie keine zujubelte – Amadé war dort Kult. Und zur Eröffnung im Kleinen Goldenen Saal huldigte ihm hinreißend ein Prager Ensemble, das international Furore erzeugende „Collegium 1704“mit Dirigent Václav Luks. Der aus historischen Instrumenten bestehende Klangkörper hatte eine wunderbare musikalische Erscheinung im Gepäck, den Mozart-Freund Josef Myslivecˇek (1737–1781). Mozart, der deutlich über Kollegen herziehen konnte, sprach über ihn nur in respektvollsten Tönen. Myslivecˇek – er feierte vor allem auf Italiens Opernbühnen Erfolge – galt lange als Geheimtyp. Zwei „Ouvertüren“präsentierte das Collegium, die erste zur MetastasioOper „Ezio“, eine zweite schlicht in A-Dur. Dieses Genre besteht wie eine frühklassische Sinfonia aus drei
Sätzen nach dem Muster schnell/ langsam/schnell. Was man hörte, waren höchst eigenwillige Juwelen, die in knapper, präziser Form Affekte, deftige theatralische Szenen, in den Finalsätzen in Rondo-Manier vor allem Tänzerisches mit folkloristischen Farben erklingen lassen. Dass man hier nicht alte verstaubte Partituren ehrfurchtsvoll zur Kenntnis nehmen brauchte, sondern prallen, überfallartig verabreichten Hörgenuss bekam, dafür sorgte Václav Luks. Da zauberten die historischen Instrumente ein Gebilde
Höhepunkt aber des ersten Abends: Mozart
aus bebenden Akzenten und Kontrasten. Und Luks, eine Art kontrollierter Derwisch, legte in der Körpersprache Gesten hin, die, besonders in den Tanzpassagen, dem Ausdruck skurril verzerrter Moriskenfiguren alle Ehre machten – dies alles auf der Basis musikalischer Souveränität.
War es die farbstarke Intensität von Myslivecˇeks Schaffen, die Mozarts Genie inspirierte? Das Programm schien es zu behaupten, es brachte zwei exemplarische Mozart-Arien. „Crudele…“der Donna Anna aus „Don Giovanni“und „Bella mia fiamma“KV 528, eine selbstständige dramatische Szene, gehören mit ihrer Verschmelzung von rezitativischen, ariosen und motorisch gesteigerten Momenten zum Größten. Die norwegische Sopranistin Mari Eriksmoen begeisterte mit einer mühelos virtuos schillernden Palette glühend gesteuerter Kraft und fulminanter Registerwechsel.
Höhepunkt aber: Mozart, unerreichbar, unerreichbar seine g-Moll-Sinfonie KV 550. Die düster wogende Bewegung zu Beginn, der charismatisch schreitende Zug des Andante, dessen Wehmut nichts Larmoyantes zulässt, die brillant durchbrochene Metrik der Menuett-Drehung, schließlich der entfesselte Grenzgang der fiebrigen Skalen im Finale – dies inszenierten Václav Luks und das Kollegium mit atemberaubender Intensität und Dramatik. Jubelstürme.
Am Tag darauf gab es den Cocktail „White Russian“nur in musikalischer Form. Was das Klaviertrio der international gefeierten lettischen Schwestern Baiba (Violine) und Lauma Skride (Klavier) mit Cellistin Harriet Krijgh zum Mozartfest kredenzte, übertraf das etwas süßliche, alkoholreiche Getränk mit dem Sahnehäubchen aber bei weitem, wenn auch die umwerfende Wirkung ähnlich sein dürfte. Das Klaviertrio Nr. 1 von Schostakowitsch stand hier Tschaikowskys einzigem Klaviertrio gegenüber und stand diesem in puncto Zerrissenheit in nichts nach.
Alle digitalen und selbst die aufnahmetechnisch brillanten Hörerlebnisse der letzten Monate sind sofort vergessen, wenn drei kongeniale Musikerinnen sich nur wenige Meter entfernt mit Furor in die Musik stürzen und die ganze Bandbreite an musikalischen Farben in den Raum stellen. Jedes Kratzen des Bogens, jeder Atemstoß ist Teil des musikalischen Ausdrucks und damit Anlass zu einem großartigen Glücksgefühl. Nach der kleinen Fingerübung zu Beginn mit dem eher unbedeutenden Mozart-Klaviertrio KV 564, die die drei mit freundlicher Eleganz absolvierten, griffen sie wagemutig das rhapsodische Stück von Schostakowitsch auf, das er 17-jährig noch als Student komponiert hatte. Zu Beginn mit sehr sinnlich-geheimnisvoller Geste loderte der Ton des Cellos in dunkelsten Farben. Krijgh spielt ein 300 Jahre altes Instrument von Domenico Montagnana, dem sie feinste Nuancen abgewann. Trauer, Zögern, Zerrissenheit – diese Gefühle und inneren Kämpfe wusste Baiba Skride mit großer Spiellust mal zu konterkarieren, mal zu stützen. Selbst bei den stürmischen Phrasierungen und fantasievollen Wendungen aber blieb das Trio präzise aufeinander bezogen und erwies sich wahrlich als ebenbürtig.
Auch in Tschaikowskys einzigem Klaviertrio, das er dem verstorbenen Nikolaj Rubinstein gewidmet hatte, bewiesen sie ihr Faible für trauerbesetzten Tiefgang, auch wenn da durchaus mal Humor aufblitzte. Vor allem, wenn Lauma Skride am Flügel die etwas pathetischen Variationen mit voller Kraft etwas robust anging. Hier brillierten die drei mit ihrem feurigen Temperament, entwickelten nach elegischen Motiven auch vor Energie berstende orchestrale Attitüden. Nach einem letzten Zitat von Chopins Trauermarsch blieb das Publikum ganz überwältigt lange atemlos, bis dann begeisterter Jubel die drei kongenialen Musikerinnen feierte.
Die ganze Bandbreite an musikalischen Farben