Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Skier, Räder und ein Autositz liegen im Kanal
Unwelt Ehrenamtliche Helfer säubern das Gewässer und ziehen zahlreiche kuriose Gegenstände aus dem Wasser. Die Organisatoren sprechen von Zeugnissen einer Wegwerfgesellschaft
Augsburg Mit ein bisschen Fantasie roch es am Samstag entlang des Lechkanals wie am Meer. Doch die Angler zogen am Vormittag keine großen Fische an Land, sondern kuriose Fundstücke. Rund 37 ehrenamtliche Helfer beteiligten sich an der Aktion, bei der es galt, die Kanäle der Lechseite vom Sondermüll zu säubern. Die Müll-Sammelaktion war eine gemeinsame Maßnahme vom 1. Augsburger Angler-Club e.V. und der Schutzgemeinschaft zur Reinhaltung der Gewässer und Kanäle in Augsburg.
Die Männer trafen sich bereits um acht Uhr morgens am Parkplatz der Simpert-Schule. Ein Team durchkämmte das Gewässer auf Höhe der Firma UPM bis in die Wolfzahnau. Ein weiteres arbeitete sich von der Simpert-Schule bis nach „Klein Venedig“vor. Das dritte Team war von der Friedberger Straße aus in Richtung der ehemaligen Kammgarn-Spinnerei unterwegs. Das Timing für die Säuberungsaktion war nicht zufällig: Erst durch den niedrigen Wasserstand, den der Herbst-Ablass des Lechkanals mit sich bringt, kamen die Funde zum Vorschein. Per Lkw wurden die Fundstücke anschließend zur Simpert-Schule gebracht. Die Anzahl der gefundenen Gegenstände, aber auch die Gegenstände an sich, brachten die Helfer immer wieder zum Staunen.
Statt des geplanten Endes der Aktion um 11.30 Uhr waren die ehrenamtlichen Wassermüll-Sammler mindestens eine weitere Stunde jeweils zu beiden Seiten des Ufers und im Wasserlauf selbst unterwegs. manche Teile von Moos und anderen Wasserpflanzen befallen waren, verlieh ihnen den Anschein, als hätten Tiefseetaucher sie aus dem Wrack der Titanic gehoben: Unter anderem waren mehrere Fahrräder dabei.
Die häufigsten Funde sind allerdings – wenig überraschend – Flaschen. Auch ein Einkaufswagen, Autoreifen, ein Autositz, diverse Handys, Dokumente wie Personalausweis, Gesundheitskarte oder SWA-Bus-und-Tram-Karte, Verkehrsschilder und Leitkegel, ein Wäschekorb, mehrere Teppiche, Blumenkästen, Damenschuhe und ein Trolley zählten zu den geborgenen Kuriositäten. Selbst ein Kochelement aus der Gastronomie, eine mobile Stereoanlage mit DoppelKassettenrekorder und ein Paar Skier wurden geborgen.
Stellt sich die Frage, warum manche Menschen vorsätzlich die Augsburger Kanäle mit Müll belasten. „Bequemlichkeit“, nennt Karl Ketterl, der seit 13 Jahren das kleine Wasserkraftwerk am Hanreibach betreibt, als einen möglichen Grund. Warum Gegenstände zur Mülldeponie fahren, wenn man sie schneller einfach ins Wasser werfen kann? Warum das keine gute Idee ist, weiß das Mitglied der Schutzgemeinschaft zur Reinhaltung der Gewässer und Kanäle in Augsburg sehr genau. „Die Weltmeere sind der größte CO2-Speicher der Erde“, sagt Ketterl, und weiter: „Über die Binnengewässer kommen 80 Prozent der Plastikverschmutzung in die Weltmeere.“Dies sei „eine tickende Zeitbombe“. Würde sich nicht bald etwas ändern, könnte es ein Artensterben der MikroorganisDass men geben und die Meere könnten kippen. Für Ketterl ist die Nutzung der hiesigen Kanäle als fließende Müllkippe auch ein Zeichen einer Wegwerfgesellschaft. Geschätzt würde nur, was selten ist. Als Beispiel nennt er die Atemschutz-Masken, die sich in der Corona-Pandemie etablierten. Als diese zu Beginn noch rar waren, seien diese begehrt gewesen. Als sie plötzlich problemlos überall verfügbar waren, landeten immer mehr davon in den Augsburger Gewässern, weiß der Kraftwerksbetreiber.
Einen anderen Grund für die Vermüllung der Augsburger Kanäle nennt Michael Staricha: Bei Partys an den Ufern würden oft Gegenstände im Wasser landen. Während manche die Kanäle zur Müllentsorgung missbrauchen, erlauben sich andere einen schlechten Scherz:
Beispielsweise, indem sie E-Scooter in dem Augsburger Gewässer versenkten. So wurden am Samstag mehrere E-Scooter geborgen. Im Gegensatz zu den anderen Fundstücken stellten die Helfer diese direkt am Fundort ab, um den Besitzern die Möglichkeit zu geben, ihre vermissten Fahrzeuge wiederzufinden. Auch mögliche Spuren von Kriminalfällen tauchten auf. Beispielsweise die Überreste einer Pistole sowie eine Schreckschusspistole. Beide übergaben die Müllsammler später der Polizei.
„Wir müssen diese Aktion im nächsten Jahr auf alle Fälle wiederholen, da ist so viel zu tun“, berichtet Michael Staricha vom AnglerClub. „Und das waren nur die Kanäle, die wir selbst befischen“, gibt er zu bedenken. Würde man die weiteren Kanäle zusätzlich säubern, wäre dies eine Arbeit von mehreren Wochen, schätzt er. Eine gesunde Natur sei ihnen wichtig, so Staricha. „Wir wollen nicht im Müll fischen.“Um 13 Uhr wurden die an der Simpert-Schule entladenen Fundstücke vom AWS (Augsburger Abfallwirtschaftsund Stadtreinigungsbetrieb) abgeholt.
So sehr sich die ehrenamtlichen Helfer auch über Unterstützung der Stadt freuten: Karl Ketterl wünscht sich noch deutlich mehr Engagement. „Nachdem Augsburgs Wassermanagement-System zum Unesco-Welterbe erklärt wurde, sollten wir eine Vorzeigestadt sein, was den Gewässerschutz angeht“, findet Ketterl. „Beim Klimwandel haben die Politiker nicht rechtzeitig reagiert. Beim Gewässerschutz haben wir noch die Chance. In zwanzig Jahren ist es zu spät.“