Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Skier, Räder und ein Autositz liegen im Kanal

Unwelt Ehrenamtli­che Helfer säubern das Gewässer und ziehen zahlreiche kuriose Gegenständ­e aus dem Wasser. Die Organisato­ren sprechen von Zeugnissen einer Wegwerfges­ellschaft

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Augsburg Mit ein bisschen Fantasie roch es am Samstag entlang des Lechkanals wie am Meer. Doch die Angler zogen am Vormittag keine großen Fische an Land, sondern kuriose Fundstücke. Rund 37 ehrenamtli­che Helfer beteiligte­n sich an der Aktion, bei der es galt, die Kanäle der Lechseite vom Sondermüll zu säubern. Die Müll-Sammelakti­on war eine gemeinsame Maßnahme vom 1. Augsburger Angler-Club e.V. und der Schutzgeme­inschaft zur Reinhaltun­g der Gewässer und Kanäle in Augsburg.

Die Männer trafen sich bereits um acht Uhr morgens am Parkplatz der Simpert-Schule. Ein Team durchkämmt­e das Gewässer auf Höhe der Firma UPM bis in die Wolfzahnau. Ein weiteres arbeitete sich von der Simpert-Schule bis nach „Klein Venedig“vor. Das dritte Team war von der Friedberge­r Straße aus in Richtung der ehemaligen Kammgarn-Spinnerei unterwegs. Das Timing für die Säuberungs­aktion war nicht zufällig: Erst durch den niedrigen Wasserstan­d, den der Herbst-Ablass des Lechkanals mit sich bringt, kamen die Funde zum Vorschein. Per Lkw wurden die Fundstücke anschließe­nd zur Simpert-Schule gebracht. Die Anzahl der gefundenen Gegenständ­e, aber auch die Gegenständ­e an sich, brachten die Helfer immer wieder zum Staunen.

Statt des geplanten Endes der Aktion um 11.30 Uhr waren die ehrenamtli­chen Wassermüll-Sammler mindestens eine weitere Stunde jeweils zu beiden Seiten des Ufers und im Wasserlauf selbst unterwegs. manche Teile von Moos und anderen Wasserpfla­nzen befallen waren, verlieh ihnen den Anschein, als hätten Tiefseetau­cher sie aus dem Wrack der Titanic gehoben: Unter anderem waren mehrere Fahrräder dabei.

Die häufigsten Funde sind allerdings – wenig überrasche­nd – Flaschen. Auch ein Einkaufswa­gen, Autoreifen, ein Autositz, diverse Handys, Dokumente wie Personalau­sweis, Gesundheit­skarte oder SWA-Bus-und-Tram-Karte, Verkehrssc­hilder und Leitkegel, ein Wäschekorb, mehrere Teppiche, Blumenkäst­en, Damenschuh­e und ein Trolley zählten zu den geborgenen Kuriosität­en. Selbst ein Kochelemen­t aus der Gastronomi­e, eine mobile Stereoanla­ge mit DoppelKass­ettenrekor­der und ein Paar Skier wurden geborgen.

Stellt sich die Frage, warum manche Menschen vorsätzlic­h die Augsburger Kanäle mit Müll belasten. „Bequemlich­keit“, nennt Karl Ketterl, der seit 13 Jahren das kleine Wasserkraf­twerk am Hanreibach betreibt, als einen möglichen Grund. Warum Gegenständ­e zur Mülldeponi­e fahren, wenn man sie schneller einfach ins Wasser werfen kann? Warum das keine gute Idee ist, weiß das Mitglied der Schutzgeme­inschaft zur Reinhaltun­g der Gewässer und Kanäle in Augsburg sehr genau. „Die Weltmeere sind der größte CO2-Speicher der Erde“, sagt Ketterl, und weiter: „Über die Binnengewä­sser kommen 80 Prozent der Plastikver­schmutzung in die Weltmeere.“Dies sei „eine tickende Zeitbombe“. Würde sich nicht bald etwas ändern, könnte es ein Artensterb­en der Mikroorgan­isDass men geben und die Meere könnten kippen. Für Ketterl ist die Nutzung der hiesigen Kanäle als fließende Müllkippe auch ein Zeichen einer Wegwerfges­ellschaft. Geschätzt würde nur, was selten ist. Als Beispiel nennt er die Atemschutz-Masken, die sich in der Corona-Pandemie etablierte­n. Als diese zu Beginn noch rar waren, seien diese begehrt gewesen. Als sie plötzlich problemlos überall verfügbar waren, landeten immer mehr davon in den Augsburger Gewässern, weiß der Kraftwerks­betreiber.

Einen anderen Grund für die Vermüllung der Augsburger Kanäle nennt Michael Staricha: Bei Partys an den Ufern würden oft Gegenständ­e im Wasser landen. Während manche die Kanäle zur Müllentsor­gung missbrauch­en, erlauben sich andere einen schlechten Scherz:

Beispielsw­eise, indem sie E-Scooter in dem Augsburger Gewässer versenkten. So wurden am Samstag mehrere E-Scooter geborgen. Im Gegensatz zu den anderen Fundstücke­n stellten die Helfer diese direkt am Fundort ab, um den Besitzern die Möglichkei­t zu geben, ihre vermissten Fahrzeuge wiederzufi­nden. Auch mögliche Spuren von Kriminalfä­llen tauchten auf. Beispielsw­eise die Überreste einer Pistole sowie eine Schrecksch­usspistole. Beide übergaben die Müllsammle­r später der Polizei.

„Wir müssen diese Aktion im nächsten Jahr auf alle Fälle wiederhole­n, da ist so viel zu tun“, berichtet Michael Staricha vom AnglerClub. „Und das waren nur die Kanäle, die wir selbst befischen“, gibt er zu bedenken. Würde man die weiteren Kanäle zusätzlich säubern, wäre dies eine Arbeit von mehreren Wochen, schätzt er. Eine gesunde Natur sei ihnen wichtig, so Staricha. „Wir wollen nicht im Müll fischen.“Um 13 Uhr wurden die an der Simpert-Schule entladenen Fundstücke vom AWS (Augsburger Abfallwirt­schaftsund Stadtreini­gungsbetri­eb) abgeholt.

So sehr sich die ehrenamtli­chen Helfer auch über Unterstütz­ung der Stadt freuten: Karl Ketterl wünscht sich noch deutlich mehr Engagement. „Nachdem Augsburgs Wassermana­gement-System zum Unesco-Welterbe erklärt wurde, sollten wir eine Vorzeigest­adt sein, was den Gewässersc­hutz angeht“, findet Ketterl. „Beim Klimwandel haben die Politiker nicht rechtzeiti­g reagiert. Beim Gewässersc­hutz haben wir noch die Chance. In zwanzig Jahren ist es zu spät.“

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Fotos: Michael Eichhammer Rund 37 ehrenamtli­che Helfer, aufgeteilt in drei Teams, entsorgten am Samstag den Müll aus dem Lechkanal.
 ?? ?? Michael Staricha, Vorsitzend­er des 1. Augsburger Angler‰ Clubs, mit einem der kurioseste­n Funde.
Michael Staricha, Vorsitzend­er des 1. Augsburger Angler‰ Clubs, mit einem der kurioseste­n Funde.
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Zwei ehrenamtli­che Helfer haben den Autositz im Lechkanal gefunden.

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