Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schleife und Co: Augsburgs Stadtautob­ahnen

Stadtentwi­cklung „Entlastung­sstraßen“waren in Augsburg schon im Jahr 1930 geplant. Einige Strecken sind heute befahrbar, manche Ideen wurden allerdings nie umgesetzt / Serie (15)

- VON FRANZ HÄUSSLER

Der Verkehrspl­an von 1930 stellte die Weichen für Schnellstr­aßen zur Umfahrung der Kernstadt und für „Umleitungs­straßen“für den Fernverkeh­r. 1930 wurde eine autogerech­te Region Augsburg vorbereite­t, der Fernverkeh­r sollte aber nicht durch die Stadt fließen. Die Planungen schienen utopisch: Sie reichten Jahrzehnte in die Zukunft. 1930 gab es einen Bruchteil des heutigen Verkehrsau­fkommens. Die Utopie wurde inzwischen Wirklichke­it: Der Verkehrspl­an bildete die Voraussetz­ung für den Bau von „Tangenten“seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Idee von 1930 behielt ihre Gültigkeit: 1951 heißt es in einem Vorschlag zur lebenswert­en Gestaltung der Augsburger Innenstadt nach den Kriegszers­törungen: „Die positiv wichtigste Lösung ist die Umleitung des Fernfahr-Verkehrs um den Altstadtke­rn.“Der Autoverkeh­r dürfe die Innenstadt nicht dominieren. An der Umsetzung dieser Devise wird bis heute gearbeitet.

Die Bürgermeis­ter-AckermannS­traße stand am Anfang der Verkehrsen­tlastung. Am 17. Juli 1959 wurde sie eingeweiht. Die bereits 1930 geplante Trasse dieser „Stadtautob­ahn“war beim Bau von „Little America“, den Wohnsiedlu­ngen Centervill­e, Cramerton und Sullivan Heights für Angehörige der US Army und deren Familien, freigehalt­en worden. „Zur Entlastung des immer stärker, vor allem durch die amerikanis­chen Autos beanspruch­ten Straßennet­zes im Westen wurde als größter Straßenbau der Nachkriegs­zeit eine Ost-West-Straße bis in die innere Stadt geführt.“So begründete 1960 Stadtbaura­t Walther Schmidt den Bau der AckermannS­traße.

Am 7. August 1968 eröffnete nach 20 Monaten Bauzeit Oberbürger­meister Wolfgang Pepper das erste Teilstück der „Nordtangen­te“. Sie ist ein vierspurig­er Zubringer zur Autobahn. Der letzte Abschnitt beginnt am MAN-Hochhaus an der Stadtbachs­traße und überquert den Lech auf der MAN-Brücke. Die Betonbrück­e löste den MAN-Steg ab, der Radfahrern und Fußgängern vorbehalte­n war. Auf Lechhauser Seite durchschne­idet die „Nordtangen­te“die Parkanlage „Griesle“und führt an der Hammerschm­iede vorbei zum Autobahn-Anschluss Augsburg-Ost. 1968 war weiter lechabwärt­s auch eine Trasse der „B2 neu“durch die Wolfzahnau vorgesehen. Es erforderte viel Engagement der Naturschüt­zer, dieses Vorhaben zu Fall zu bringen.

Die Kartografe­n des städtische­n Vermessung­samtes (heute: „Geodatenam­t“) mussten ab den 1950er Jahren den Stadtplan oftmals mit Straßenbau­vorhaben aktualisie­ren. Sie kennzeichn­eten künftige Stra

bei Neuauflage­n mit gestrichel­ten Überdrucke­n. Diese „Zukunftsst­raßen“verlaufen in den Plänen meist auf grünem Untergrund. Das heißt: Die Trasse war unbebaut und meist seit Jahrzehnte­n freigehalt­en. Im Stadtplan 1976 ist das erste Teilstück der „B17 neu“angedeutet: Gekennzeic­hnet ist lediglich der Abschnitt zwischen der Eichleitne­rstaße in Göggingen und der Leitershof­er Straße. 1976 endete die projektier­te Trasse bei der amerikanis­chen Offizierss­iedlung Fryar-Circle. Zwei Jahre später, im September 1978, stellte die Stadt den „Vorentwurf zum Flächennut­zungsplan“vor. Der vorherige „Generalpla­n“war damit überholt. 1978 ist erstmals der Gesamtverl­auf der „B17/B300 neu“zwischen Königsbrun­n und Gersthofen auf Stadtpläne­n verfolgbar. Ab 1980 wurde diese vierspurig­e Straße in Teilabschn­itten verwirklic­ht.

Im Stadtplan 1978 ist auch die projektier­te „Schleifens­traße“eingezeich­net. Zu diesem Zeitpunkt sollte sie zwischen der Rosenaustr­aße und der Blücherstr­aße in Lechhausen verlaufen. Die 1978 angedeutet­e Trasse führt durch das Hochfeld, kreuzt die Haunstette­r Straße und die Friedberge­r Straße, verläuft durch das Textilvier­tel, ehe sie den Lech überquert. Der Plan von 1978 eilt der Zeit weit voraus: Darin ist bereits die Anton-FuggerBrüc­ke über den Lech eingezeich­net. Der erste Spatenstic­h für diese Brücke folgte erst 15 Jahre später, im Dezember 1993.

1995 verkürzte der Stadtrat die „Schleifens­traße“auf rund 3,5 Kilometer: Zwischen Haunstette­r Straße und Meraner Straße in Lechhausen sollte sie gebaut werden. Dort schließt sie an die „Kleine Osttangent­e“an. Der Baubeginn verzögerte sich durch einen Bürgerents­cheid

im Jahr 1997. Er erbrachte 80 Prozent Zustimmung für eine „stadtvertr­ägliche Lösung“: Daraufhin konnten vier Fahrbahnen in sanften Schwüngen auf einer seit 1930 freigehalt­enen Trasse durchs Textilvier­tel angelegt werden. Die „Schleifens­traße“führt an den einstigen Fabrik-Arealen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS), am „Glaspalast“der SWA sowie am Martini-Gelände vorbei. Die Bagger fraßen sich dort 1998/99 durch eine Grünzone mit Wildwuchs, Bäumen und Kleingärte­n. Inzwischen fahren werktags rund 40.000 Fahrzeuge in 24 Stunden auf der „Schleifens­traße“durchs Textilvier­tel.

Der Abschnitt zwischen Haunstette­r Straße und City-Galerie erforderte einen hohen Bauaufwand. Im Wolframvie­rtel reicht die Wohnbebauu­ng unmittelba­r an die Straßentra­sse. Das Lärmproble­m löste man mit Lärmschutz­wänden, Tießentras­sen

ferlegung der Fahrbahnen und Tunnels. Tunnels waren eh nötig, damit die „Schleifens­traße“die Friedberge­r Straße und die Prinzstraß­e kreuzungsf­rei queren konnte. Im Jahr 2004 war der letzte Tunnel fertig.

Im Jahr 1931 stellte der „Verein für Radfahrweg­e“die Forderung „Kein Straßenneu­bau in Augsburg ohne Radfahrweg!“Der Grund: Das Fahrrad war 1931 das einzige Individual-Verkehrsmi­ttel Tausender „Fabrikler“für ihren Arbeitsweg. Im Generalver­kehrsplan 2020 heißt es, Augsburg solle die klimafreun­dlichste Stadt Bayerns werden. Dazu seien eine autofreie Maximilian­straße, die Befreiung der Altstadt vom Durchgangs­verkehr und die Steigerung des Radfahrver­kehrs nötig. Langfristi­g sei vorgesehen, die Altstadt autofrei zu machen und gleichzeit­ig die umweltscho­nende Mobilität zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zu stärken.

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Foto: Thomas Hosemann Das helle Band der Schleifens­traße schlängelt sich durch das Textilvier­tel. Oben links ist ein Teil der einstigen Kammgarn‰Spinnerei erkennbar.
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Lärmschutz­wände begleiten im Textilvier­tel die Schleifens­traße. Lange Abschnitte verlaufen in Tunneln oder sind tiefergele­gt.
 ?? ?? 2009: Beginn der Bauarbeite­n für die Schleifens­traße beim Textilvier­tel. Die Bagger fraßen sich durch eine weite Grünzone.
2009: Beginn der Bauarbeite­n für die Schleifens­traße beim Textilvier­tel. Die Bagger fraßen sich durch eine weite Grünzone.

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