Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine Badewanne voller Narren – mitten in der Tragödie
Oper Der Karneval grätscht in die griechische Antike: Das Theater Ulm spielt Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Königstochter. So eine griechischmythische Ariadne, mit der es die Tragödie nur bös meint. Denn Ihr Held, Theseus, hat Sie fallen gelassen – mitten auf die menschenvergessenste aller Inseln. Gestrandet, verzweifelt und jetzt? Schippert plötzlich eine Badewanne vorbei. Eine echte Wanne geladen mit Clowns, in Melone und Pumucklperücke, feiert Ihnen den Karneval alla Commedia dell Arte vor. Die Zirkusmutti Zerbinetta zwitschert, zu Ihrem Leid, auch noch ein witziges Lied von hormonellen Trieben. Klingt komisch? Genau so passiert es, in Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“. Gerade ist die „Oper in einem Aufzuge nebst einem Vorspiel“am Theater Ulm zu erleben. Sie verhandelt den Urzwist von Tragödie und Komödie, im Kampf zwischen Schwermut und Lust kloppt sich das Amüsante mit dem Erhabenem. Regisseur Hinrich Horstkotte kitzelt teils traumschöne Bilder heraus, die zur Pointe führen: Leicht und Schwer lassen sich nur genießen, wenn sie sich im Leben mischen.
Musikalisch tragisch oder operettenleicht, das muss ja kein Widerspruch
sein. Strauss’ „Ariadne“verkauft sich, seit ihrer Uraufführung 1912 am Stuttgart Hoftheater, als Zwei-in-eins-Lösung. Das bedeutet: Strauss’ Musik süß und bitter, zum Libretto von Hugo Hofmannsthal. Der Wiener Poet hatte für den Münchner Komponisten bereits 1909 einen Opern-Erfolg betextet, die „Elektra“. Damals schon griechisch, aber noch ohne große Gags.
Das verschachtelte Spiel mit dem
Spiel im Spiel beginnt: „Musik ist eine heilige Kunst“, weiß der erste Held des Plots, ein Komponist. Er hat für „den reichsten Mann Wiens“eine schluchzenerregende Tragödie um Ariadne gedichtet. Aber jetzt muss sich sein Stück die Bühne teilen – im Wechsel, quasi im Remix mit dem seichten Spaß-Stück einer dahergelaufenen Tanzmusiktruppe. So will es der Herr des Hauses. Den Komponisten singt in Ulm I Chiao
Shih, mit ihrem schlanken, aber sicheren Sopran trägt sie das erste Drittel des Werks und ist sich auch für eine Extradosis Pathos in der Geste nicht zu schade. Bass Martin Gäbler versucht im Bühnengewusel zwischen Diven und Zirkusvolk zu sortieren, als herrlich zauseliger Hofmusiklehrer in der Zwickmühle.
Strauss, das ist immer wieder der Griff in die musikalische Steckdose. Ein orchestriertes „Klopfklopf“an der Türe, ein Paukenwirbel, Tanzschritte und Geigenschwelgerei, Zitatfetzen, so reagiert die Musik auf den Bühnenplot. Sein Orchester hat Generalmusikdirektor Felix Bender gründlich auf das Strauss’sche Wechselbad vorbereitet. Auch die artistischen, offenen Solo-Einwürfe der Bläser überzeugen.
In „Ariadne“kreist die Oper um Oper und nimmt sich selbst auf die Schippe. Gerade bei diesem Werk, das hinter die Bühnenbauten guckt, verdienen auch unsichtbare Helden Komplimente: Magie entfaltet Marcus Denk mit seiner Lichtmaschinerie, als das Bild zu Ariadne auf Naxos – dem Stück im Stück – schwenkt. Wie ein Baumeister konstruiert das Licht Wetter, Sphären, Ebenen in den gepinselten Himmel. Und eine Tür im Blau deutet an, dass doch alles nur Staffage bleibt. Als Ariadne in der Sonne der Insel, also der Scheinwerfer, brutzelt Susanne Serfling. Ihr glücken die wärmsten Farben des Abends und die innigste Ausdeutung des Texts. Bis sich die Badewanne voller Narren in den malerischsten Moment manövriert. Maryna Zubko platzt als drollige Zerbinetta in Ariadnes Depression. Für ihre virtuosen Tonsprünge und Spitzen und ihre lustigen Avancen an das Publikum erntet sie einen satten Szenenapplaus.
Eine Insel, ein Traum, der Komödie mit Tragödie vereint – wäre da nur nicht das Finale. Etwas dick aufgetragen: Zu Ariadnes Lebensüberdruss schwebt Bacchus mit Flügeln schwärzer als die Nacht heran – den aber gibt Tenor Markus Francke in Eindringlichkeit, glaubhaft tragisch.
Strauss’ „Ariadne“lässt sich leicht ummünzen auf hier, jetzt und uns. In diesem Stück stehen die Deprimierten mit dem halb leeren Glas auf der Party des Lebens herum, wie vom Schicksal bestellt und nicht abgeholt. Die leichtfüßigen Hansdampfs feiern da schon am Küchenbuffet nebenan. Genau dieser Gefühls-Crossover mit Strauss glückt dem Theater Ulm. Eine Empfehlung, gerade für die Faschingszeit in einer Pandemie.