Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Drachenlord in der HassSpirale
Seine Videos im Internet machten einen Franken bekannt – und zum Ziel einer erschreckenden Hetzjagd. Nun stand der Youtuber vor Gericht, weil er sich wehrte.
Altschauerberg ist ein kleines Dorf in der mittelfränkischen Provinz. 40 Menschen wohnen dort – umkreist von Wäldern und Feldern. Im Jahr 2014 entwickelte sich die Gemeinde jedoch zur Pilgerstätte für Internettrolle, zum Mekka für Hass-Touristen. Sie kommen, um dem berühmtesten Bewohner Altschaubergs einen Besuch abzustatten: Rainer W., auf der Videoplattform Youtube besser bekannt als „Drachenlord“. Der 32-Jährige ist Zielscheibe einer Hetzjagd, die im Netz begann und eines Tages in der realen Welt weitergeführt wurde. Bis nach Altschauberg.
Am gestrigen Mittwoch wurde der Fall des gemobbten Youtubers vor dem Nürnberger Landgericht verhandelt. Angeklagt aber waren nicht diejenigen, die W. beleidigen, beschimpfen, ihn verfolgen. Angeklagt war W. selbst. Denn er schlägt regelmäßig zurück. Nicht nur mit Worten. Einen seiner „Hater“, wie er sie nennt, der vor seinem Haus randalierte, attackierte er mit einer Taschenlampe. Es gehört zu den Absurditäten dieser Geschichte, dass W. Täter und zugleich Opfer ist. Als sein Fall im vergangenen Jahr erstmals vor Gericht landete, äußerte die Richterin Verständnis für die Situation des „Drachenlords“. „Ich tue das nicht gerne, aber es ist nun mal Job“, sagte sie und verurteilte den einschlägig vorbestraften Mann wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. In der Berufungsverhandlung wurde er nun zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Wie konnte dieser Fall so eskalieren? Der Kanal „Drachenlord“wirkt auf den ersten Blick unauffällig. W. filmt sich, wie er zu Heavy Metal tanzt, Videospiele spielt, spazieren geht. Doch für seine Feinde ist alles ein gefundenes Fressen. Sie machen sich lustig über ihn, beleidigen ihn wegen seines Übergewichts oder weil er eine Sonderschule besucht hat. Und weil er reagiert, wie er reagiert. W. beschimpft seine Hater, droht ihnen mit Gewalt.
Das Mobbing verstehen viele der Beteiligten als Spiel, sie nennen es das „Drachengame“– einer von vielen traurigen Höhepunkten: „Drachenlord“verliebt sich in Userin „Erdbeerchen1510“. In einem Live-Stream vor 5000 Menschen macht er ihr einen Heiratsantrag. Die Aktion war eine Falle. Hinter „Erdbeerchen1510“steckt eine Mobberin. Sie lacht ihn aus. Er weint. Das Video wurde inzwischen mehr als 150.000 Mal angeklickt.
Im Jahr 2014 begeht W. einen folgenschweren Fehler: Er nennt seine Adresse. Verbunden mit der Aufforderung, sich mit ihm zu prügeln. Daraufhin schlägt das Cybermobbing in extremes Stalking um. Menschen pilgern zu seinem Haus, bewerfen ihn mit Eiern, randalieren, skandieren Beleidigungen und filmen sich dabei. Manche tragen Masken, die das Gesicht von W.s gestorbenem Vater zeigen. Die Polizei muss täglich anrücken, bleibt aber machtlos. Im Jahr 2018 überrennen 800 Menschen gleichzeitig das Dorf.
Was treibt die Mobber an? Der Medienwissenschaftler Christian Gürtler sieht darin eine einfache Erklärung: Menschen treten gerne nach unten – vor allem dann, wenn sie bei ihrem Opfer eine Reaktion hervorrufen können. „Seine Popularität rührt unter anderem daher, dass er auf viele der Provokationen eingeht“, sagt Christian Gürtler und glaubt: Hätte W. die Angriffe ignomein riert, wäre die Lage nicht so eskaliert.
Bisher konnten weder die Anfeindungen noch die drohende Gefängnisstrafe W. davon abhalten, weitere Videos zu produzieren. Gürtler sieht dahinter zwei Gründe. Der erste: Die Videos bringen Geld. „Drachenlord“verdient nach eigenen Angaben auf YouTube mehr als 2000 Euro im Monat. Vor allem mit jenen Videos, die seine Hater anstacheln. Der zweite Grund: „Er sieht sich selbst als Kämpfer gegen Online-Mobbing“, sagt Gürtler. Das könne man vielen seiner Aussagen entnehmen. „Die Ansprachen erinnern teilweise an Helden aus Fantasyromanen: Er lasse sich nicht besiegen, irgendwann werde er mehr Fans als Hater haben.“
So begibt sich W. selbst in eine Spirale von Anfeindungen, die sich stetig weiterdreht – auch am Mittwoch vor Gericht. Zum Teil sind seine Hater schon in der Nacht angereist, um einen der wenigen Plätze im Saal zu ergattern. „Ich liebe und hasse den Drachenlord“, sagt ein Zuschauer, der extra aus Nordrhein-Westfalen gekommen ist. „Ich liebe es, zu beobachten, wie er immer wieder neue Dummheiten macht.“
Aus Altschauerberg ist W. mittlerweile weggezogen. Sein Haus wurde vor wenigen Tagen abgerissen.