Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn einfach das Gefühl für Zahlen fehlt
Seit zehn Jahren hilft eine Förderstelle Grundschülern dabei, das „Schreckgespenst Mathematik“kleiner werden zu lassen. Wie die Lehrerinnen dabei vorgehen.
Annika geht jetzt in die zweite Klasse. Der Lehrplan sieht vor, dass es beim Rechnen lernen um den Zahlenraum bis hundert geht. Annika tut sich noch ein bisschen schwer damit. Deshalb übt sie jede Woche eine Stunde zusammen mit Lehrerin Petra Ihn-Huber das Rechnen. Dazu kommen die beiden nachmittags an der Westpark-Grundschule in Pfersee zusammen, wo die Augsburger Beratungs- und Förderstelle für Kinder mit Schwierigkeiten beim Rechnen lernen angesiedelt ist.
Seit zehn Jahren gibt es inzwischen diese Mathematikförderstelle, eine von bayernweit 99, die die staatlichen Schulämter Kindern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lernen von Mathematik anbieten. Sie sind als Ergänzung des regulären Mathematikunterrichts gedacht, wenn bei Kindern gravierendere Probleme beim Rechnen lernen festgestellt worden sind. Schulrätin Claudia Kirsch ist froh darüber, dass es dieses Angebot der Einzelförderung von Kindern gibt, die dann greifen kann, wenn die schulischen Förderangebote nicht mehr ausreichen. „Wir wollen das Schreckgespenst Mathematik kleiner werden lassen.“Ziel ist es, dass die Kinder wieder im Mathematikunterricht mitkommen.
Annika übt derzeit mit Lehrerin Petra Ihn-Huber das Plus-Rechnen im Hunderter-Raum. Mengen, etwa das Zehner-Zahlensystem, werden
anschaulich gemacht mit didaktischen Mitteln wie Zehner-Stangen und Einer-Würfeln. „Was passiert bei Plus? Was bei Minus?“gehört zu den wichtigen Fragen. „Das Kind muss begreifen, was man da tut“, so Petra Ihn-Huber, die zusammen mit ihrer Kollegin Ulrike Nett, die diese Förderung in Augsburg Land anbietet, vor zehn Jahren die wissenschaftlichen didaktischen Grundlagen für diese Form der Einzelförde
rung in der Mathematik entwickelt hat.
In Augsburg teilen sich vier Lehrkräfte neben ihrem regulären Dienst in der Grundschule zehn solche Unterrichtsstunden pro Woche, das heißt, alle haben zwei oder auch mal drei Schülerinnen oder Schüler in der Einzelförderung. Die Westpark-Grundschule ist nur der Standort, die Kinder kommen auch aus anderen Schulen.
Ramona Müller, die Mutter von Annika, ist froh, dass ihre Tochter diesen Platz bekommen hat. „Annika hat das Rechnen einfach nicht gut verstanden, auch mit den Hilfsmitteln nicht“, erzählt sie. Was für sie als Mutter logisch war, musste es für die Tochter nicht sein. Dankbar ist die Mutter darüber, von Lehrerin Ihn-Huber immer wieder Tipps zu bekommen, wie es mit dem Rechnen lernen leichter gehen kann, und wie sie ihrer Tochter in dem Rahmen, in dem es ihr als Mutter möglich ist, helfen kann. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist bei diesem Förderprojekt sehr wichtig. Gleichzeitig wisse man auch um die Grenzen des Lernens zu Hause, meinen die Lehrerinnen. „Es ist gut, wenn jemand von außen mit dem Kind übt“, sagt Ulrike Nett. Die Erfahrung lehre, dass Kinder oft weniger von den eigenen Eltern annehmen als von jemandem von außen.
Wie kann es sein, dass ein Kind solche Probleme beim Rechnen hat, wenn es doch dafür den Mathematikunterricht in der Schule gibt? Die Mitarbeiterinnen der Förderstelle versichern, dass es „nahezu unmöglich“ist, im Unterricht jedem Kind gerecht zu werden. Da könne es passieren, dass Kinder „nur eine kleine Einheit“verpassen, schon fehle – wie bei einem Hausbau – der solide Grundstock, um darauf weiterzubauen. „In den ersten drei Grundschulklassen werden die Grundlagen gelegt“, so Petra IhnHuber. Wer für dieses MathematikFörderprojekt infrage kommt, das wird auch mit der jeweiligen Lehrkraft besprochen.
Annika rechnet inzwischen ganz gern. Sogar schon ein bisschen über Hundert, obwohl sie das noch gar nicht müsste. Das motiviert ihre Lehrerin, die sich, wie auch Schulrätin Claudia Kirsch, wünschen würde, dass es bald auch so ein Angebot für Schülerinnen und Schüler in der Mittelschule gibt.