Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Welchen Sinn machen Umweltkonf­erenzen?

Klima Seit 50 Jahren ringen Staaten in großer Runde um Umweltschu­tz. Für die einen ein Grund zu feiern, für andere ein Zeichen des Stillstand­s.

- Steffen Trumpf, dpa

Stockholm Bald sind es 200 Wochen, seit denen Greta Thunberg jeden Freitag für mehr Klima- und Umweltschu­tz demonstrie­rt – eine lange Zeit, in der aus Sicht von Klimaschüt­zern und -wissenscha­ftlern politisch viel zu wenig gehandelt worden ist. Noch viel länger ist es jedoch her, dass in Thunbergs Heimatstad­t Stockholm erstmals auf einer UN-Konferenz über Umweltthem­en gesprochen wurde. 1972 war das, und in den folgenden 50 Jahren wurde viel für die Umwelt getan – und viel zu vieles versäumt.

Die schwedisch­e Hauptstadt lud nun zur Umweltkonf­erenz Stockholm+50, auf der die Frage im Raum stand, wie das Tempo beim Kampf gegen die Erderwärmu­ng, das rasante Artensterb­en und die Vermüllung des Planeten drastisch erhöht werden kann. „Die natürliche­n Systeme der Erde können mit unseren Anforderun­gen nicht Schritt halten“, sagt UN-Generalsek­retär António Guterres. „Wir müssen jetzt unseren Kurs ändern und unseren sinnlosen und selbstmörd­erischen Krieg gegen die Natur beenden“, betonte er.

Die ökologisch­en Krisen lassen sich nach Ansicht von Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke nur lösen, wenn sie in einem ganzheitli­chen Ansatz bekämpft werden. „Wir müssen die planetaren Krisen zusammende­nken“, sagt die Grünen-Politikeri­n. „Wir haben weder die Zeit noch die Ressourcen, die Krisen einzeln und nacheinand­er zu adressiere­n, dafür sind sie zu drängend.“Es sei absolut notwendig, die drei ökologisch­en Krisen – die Klima-, Biodiversi­täts- und Verschmutz­ungskrise – als ein großes Ganzes zu betrachten und gemeinsame Lösungen dafür zu entwickeln, sagt die Ministerin. „Es muss Hand in Hand gehen. Die Lösungen müssen für alle drei Krisen passen.“Deshalb müssten die einzelnen Länder ihre Ambitionen und Anstrengun­gen erhöhen. Sie sei sich sicher, dass diese beiden Signale von Stockholm+50 ausgehen werden.

Gut sechs Monate sind seit der 26. Weltklimak­onferenz von Glasgow vergangen, in knapp sechs weiteren Monaten folgt im ägyptische­n Scharm El-Scheich die nächste. Angesichts von Klima-, Umwelt- und Nachhaltig­keitskrise soll Stockholm+50 auf halbem Weg zwischen den Klimakonfe­renzen eine Möglichkei­t bieten, dringend notwendige Maßnahmen zu beschleuni­gen, um die Welt auf den Kurs der 2015 in Paris vereinbart­en Klimaziele zu bringen – also die Erderhitzu­ng möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit. Das Motto der Konferenz: „Ein gesunder Planet für den Wohlstand aller – unsere Verantwort­ung, unsere Chance.“

Dabei soll nach dem Wunsch der Veranstalt­er der Geist von 1972 durch Stockholm wehen. Zugleich sollen 50 Jahre des globalen Einsatzes für die Umwelt gefeiert werden. Damals hatten sich Delegierte aus 122 Ländern in der Stadt zur ersten UN-Konferenz über die Umwelt des Menschen getroffen. Das Treffen gilt als so etwas wie die Geburtsstu­nde der globalen Umweltpoli­tik, es sorgte dafür, dass in der Folge in aller Welt Umweltmini­sterien geschaffen und neue globale Umweltschu­tzabkommen geschlosse­n wurden. Darunter waren Schritte zur Heilung des Ozonlochs oder die Verbannung von Blei aus dem Benzin.

Der Weltklimar­at IPCC hat jedoch unlängst einmal mehr klargemach­t, dass das menschlich­e Handeln gegen den seit Jahrzehnte­n bekannten Klimawande­l bei weitem nicht ausreicht. Nur eine schnelle und drastische Senkung der Emissionen kann die Erderwärmu­ng nach IPCC-Einschätzu­ng noch auf maximal 1,5 Grad begrenzen. Und nicht nur die Klimakrise tobt, auch das Artensterb­en beschleuni­gt sich, der Mensch lebt weiter nicht nachhaltig und produziert viel zu viel Müll. Man habe es somit mit einer dreifachen planetaren Krise zu tun, sagt die Exekutivdi­rektorin des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen, Inger Andersen.

Diese Krise werde von Jahrzehnte­n des nicht nachhaltig­en Verbrauche­s von Ressourcen angetriebe­n, die CO2-Konzentrat­ion in der Atmosphäre sei so hoch wie seit über zwei Millionen Jahren nicht mehr. Man habe zudem nicht genug getan, um die am stärksten gefährdete­n Gemeinscha­ften und Länder zu schützen. „Schauen Sie, die Realität ist, dass wir uns einfach nicht schnell genug bewegt haben“, sagt Andersen. Es gebe aber noch ein Zeitfenste­r, um die Folgen des Klimawande­ls abzufedern. „Es liegt an uns, ob wir dem Ruf der Natur folgen oder ihn auf eigene Gefahr ignorieren.“

Ob Stockholm+50 an den globalen Problemen etwas ändern kann? Klimaschüt­zer sind skeptisch. Greta Thunberg machte ihre Einstellun­g zur Konferenz vor wenigen Tagen in gewohnt klaren Worten deutlich: „Es gibt nichts zu feiern“, sagte die Stockholme­rin während ihres freitäglic­hen Protests. Es sei schwierig, Lösungen für eine Krise zu finden, die komplett ignoriert werde. Mitstreite­r sind mit der jungen Schwedin einer Meinung.

„Wir erwarten inhaltlich eigentlich kaum etwas von der Konferenz“, sagt David Fopp, einer der führenden Vertreter der Bewegung Scientists for Future in Schweden. Einen Schub verspricht er sich von Protestakt­ionen, die am Rande der Konferenz in der Stadt stattfinde­n sollen. Generell brauche es einen massiven Druck von der Straße, um die Politik dazu zu zwingen, „eine neue Epoche der wirklichen Zusammenar­beit und einer neuen Sicht auf die Natur“einzuleite­n, sagt der gebürtige Schweizer, der regelmäßig an der Seite Thunbergs in Stockholm protestier­t.

Fopp kritisiert ebenso wie andere Umweltfreu­nde, dass der globale Süden bei UN-Konferenze­n viel zu wenig Mitsprache­recht bekomme. „Es ist ein Riesenprob­lem, das wir schon in Glasgow gesehen haben, dass die am stärksten Betroffene­n kaum etwas zu sagen haben.“Man müsse endlich denjenigen eine Stimme geben, die die Klima- und Umweltkris­e am meisten spürten.

Wie wichtig den schon heute immens betroffene­n Ländern der Kampf für Klima und Umwelt ist, zeigt allein ein Blick auf die Rednerlist­e: Der Großteil der zehn Staatschef­s, die zur Konferenz nach Stockholm kamen, stammt aus Afrika und Südamerika. Auch die führende ugandische Klimaaktiv­istin Vanessa Nakate kam nach Stockholm. „Wir können uns keine weitere Konferenz mit leeren Versprechu­ngen leisten, während das Leben der Menschen in Afrika durch klimabedin­gte Dürren und Überschwem­mungen zerstört wird“, fordert sie.

„Wir müssen unseren selbstmörd­erischen Krieg gegen die Natur beenden.“UN‰Generalsek­retär Guterres

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Foto: Imago Images Junge Menschen sollten bei der Eröffnung der Jubiläums‰Umweltkonf­erenz Stockholm+50 ein Zeichen der Hoffnung setzen. Klimaaktiv­isten beklagten auf Protesten vor der Tür dagegen eine aus ihrer Sicht vertane Zeit.
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Foto: dpa Umweltmini­sterin Steffi Lemke hofft auf Fortschrit­te in Stockholm.

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