Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Unsicher, trotz Perspektiven
Ausbildung Die einen finden nach dem Schulabschluss sofort die passende Ausbildungsstelle. Andere verzweifeln an der Suche oder im Job. Ein Gespräch mit (un-)glücklichen Azubis.
Augsburg Vorsichtig schiebt Ryan Droysen den schwarzen, runden Fahr-Brems-Schalter nach vorn. Die Lok beschleunigt. Bei der Einfahrt in den Bahnhof „verbremst sie sich etwas“, sagt ihr Ausbilder Leon Prochaska, der ihre Fahrt beobachtet. Doch das hat noch keine Konsequenzen: Die 20-Jährige aus der Nähe von Erding sitzt nicht in einer echten Lok: Das blaue Armaturenbrett ist Teil eines Zugsimulators. Seit September vergangenen Jahres absolviert sie die Ausbildung zur „Eisenbahnerin im Betriebsdienst – Fachrichtung Lokführer und Transport“. Sie hatte Erfolg. Doch andere sehen pessimistischer in die Zukunft: Denn Deutschlands Jugend ist sich unsicher darüber, ob sie einen Ausbildungsplatz bis zum Herbst finden wird. Sehr pessimistisch sind die Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren außerdem, wenn es um den Erhalt ihrer Wunsch-Ausbildungsstelle geht. Vor allem junge Menschen, die zur Gruppe mit einem niedrigeren Schulabschluss gehören, sehen das so. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Doch woher kommt dieser Pessimismus?
Eigentlich herrscht seit vielen Jahren der Tenor: Es gibt zu viele unbesetzte Ausbildungsstellen. Tatsächlich gab es in Deutschland im Mai nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit auch 275.480 unbesetzte Ausbildungsstellen. Demgegenüber stehen 167.000 Bewerber, die unversorgt blieben. Auch in Schwaben bleiben diesen Herbst wohl tausende Lehrstellen unbesetzt. Die Zahlen täuschen aber über
Faktoren hinweg, die entscheidend sind, um einen Ausbildungsplatz zu finden, sagt Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung. Da ist beispielsweise die Regionalität. Die freien Ausbildungsstellen verteilen sich ungleichmäßig über das Land. Ein Jugendlicher aus Brandenburg hat wenig von einer freien Ausbildungsstelle in BadenWürttemberg. Hinzu kommen „berufsfachliche Gründe“, die mit einem weiteren Punkt, den eigenschaftsbezogenen Gründen zusammenhängen. Das bedeutet, dass beispielsweise die Schulnoten eines Schülers nicht mit den Erwartungen des Betriebes übereinstimmen.
Wieland betont, dass es deutliche
regionale Unterschiede gibt. In Bayern seien die Jugendlichen deutlich optimistischer als etwa in Berlin. Dort gebe es allerdings auch deutlich mehr Ausbildungsangebote.
Woran liegt es, dass Go-Ahead seine Ausbildungsplätze nicht ganz voll besetzen kann? Ausbilder Leon Prochaska sagt, der dreijährige Ausbildungsberuf direkt nach dem Schulabschluss sei vielen eher unbekannt. Aber auch für den Schichtdienst müsse man bereit sein, Opfer zu bringen und am Wochenende zu arbeiten. Davor hätten einige Interessenten Sorge. Aber auch vor der Verantwortung und davor, was alles passieren könne, wie Unfälle. Das größte Problem sei die Tauglichmehrere
keitsuntersuchung. Dabei ist es nicht so, dass die Jugendlichen nicht wollen. 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit niedriger sowie 78 Prozent derjenigen mit mittlerer Schulbildung möchten laut Bertelsmann Stiftung auf jeden Fall eine Ausbildung machen. Ein weiteres Fünftel sei allerdings noch unentschlossen.
Für Ryan Droysen spielt Sicherheit eine große Rolle: „Go-Ahead hat die Strecke jetzt zwölf Jahre“, sagt sie. „Dass wir da safe zwölf Jahre dabei sind, von dem her war das die richtige Entscheidung.“Zudem sei Lokführer ein krisensicherer Job. Der Beruf sei auch in der Corona-Krise sicher gewesen.
Nicht so wirklich zu wissen, was einen in der Ausbildung erwartet, das trifft wohl auf viele junge Menschen zu. Wenn die Erwartungen dann im Beruf aber so gar nicht mit dem übereinstimmen, was man sich ungefähr vorgestellt hatte, wird es schwierig. „Man bricht doch keine Ausbildung ab“, lautet dann oft die gesellschaftliche Erwartung. Das dachte sich auch Tatjana Wöllner. Sie besuchte ein bayerisches Gymnasium. Für sie war klar: Eine Ausbildung soll es nach dem Abi werden. Darauf fühlte sie sich in der Schule allerdings schlecht vorbereitet. „Ausbildung war nie Thema in der Schule“, sagt die heute 22-Jährige. Sie bewirbt sich bei einem Hotel unweit ihres Heimatortes Bernbeuren im Kreis Weilheim-Schongau. Eine Fehlentscheidung. Wöllner plagt sich über Monate durch eine Arbeit, die ihr keinen Spaß macht. Nach nur wenigen Monaten sei sie „psychisch und körperlich“am Ende gewesen. Sie weint in dieser Zeit viel – auch in der Arbeit.
Es herrscht Unsicherheit darüber, was man werden kann oder will. Ein Ausweg, um eine Berufsentscheidung zu umgehen, kann längere Schulbildung sein. Unsicherheit, so Wieland, wird „mit längerer Schulbildung kompensiert“.
Wöllner hat durch ihre Unsicherheit vielleicht einen Schritt in die falsche Richtung gemacht. Der Mut, ihn zu erkennen, hat ihr umso mehr geholfen: Sie fand eine Stelle als Verwaltungsfachangestellte. Nach der Zusage kündigt sie. Bis zu diesem Schritt dauerte es ein halbes Jahr. Die 22-Jährige brauchte dafür viel Mut. Jetzt ist sie dafür glücklich in ihrem Job: „Meine Arbeit macht mir richtig Spaß.“