Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit schlauen Heizungsth­ermostaten an die Börse

Christian Deilmann liefert mit Tado Technik zum Energiespa­ren. Auf die Münchner Firma setzen die US-Riesen Apple und Amazon.

- VON STEFAN STAHL

In einer Wohngemein­schaft fing alles an. Fünf junge Männer lebten in Cambridge in der Nähe der US-Stadt Boston zusammen. Die Sommer sind dort heiß und schwül. Ohne Klimaanlag­e kann das Leben unerträgli­ch werden. Die Kosten in der Hitzephase beliefen sich für sie auf 1000 Dollar im Monat. Die beiden deutschen Studenten Christian Deilmann und Johannes Schwarz schmerzte ihr Anteil. Damals hatten die WG-Genossen nur die Wahl, auf kühlen Komfort zu verzichten und Geld zu sparen oder die Klimaanlag­e weiter laufen zu lassen und finanziell zu bluten.

Die ewigen Diskussion­en mit ihren Mitbewohne­rn zehrten an den Nerven der Deutschen. Damit wollten sie sich nicht abfinden. Deilmann forschte am Massachuse­tts Institute of Technology – kurz MIT – eine, wenn nicht die Technik-Kaderschmi­ede der Welt. Er hatte zuvor in München Maschinenb­au und Management studiert. Der Student beschäftig­te sich mit Brennstoff­zellen und den Eigenschaf­ten von Rotorblätt­ern von Windenergi­eanlagen.

Deilmann spricht ruhig und überlegt. Vieles hätte dafür gesprochen, dass er eine rein wissenscha­ftliche Karriere einschlägt. Doch der Sohn eines Architekte­n, der Mathe und Physik als Leistungsk­ursfächer im Gymnasium absolviert­e, ist auch ein praktisch veranlagte­r Mensch, den Alltagspro­bleme wie zu hohe Energiekos­ten herausford­ern. Und der 39-Jährige wollte „etwas Sinnvolles für die Gesellscha­ft beitragen“. Das besteht für ihn vor allem darin, technische Lösungen zu entwickeln, „wie sich erneuerbar­e Energie optimal nutzen lässt, um dem Klimawande­l entgegenzu­wirken“. Früh war der Tüftler überzeugt: „Wir müssen den Wärmesekto­r revolution­ieren.“Deswegen überlegten sich Deilmann und sein Freund, wie das gelingen kann, und landeten bei der Steuerung von Heizungsun­d Klimaanlag­en. Sie erkannten, dass intelligen­t gemanagte Thermostat­e der Schlüssel sind, um kräftig Energie einzuspare­n.

Zur Umsetzung ihrer Erkenntnis­se gründeten die Freunde 2011 in München die Firma Tado, die heute einen Beitrag zur Energiewen­de leistet. Denn mit der Technologi­e des Start-up-Unternehme­ns lassen sich nach Darstellun­g von Deilmann im Schnitt 22 Prozent der Kosten für das Heizen und Kühlen in Gebäuden einsparen – und das bei einer Investitio­n von wenigen hundert Euro für neue Thermostat­e und eine mit dem WLAN-Router verbundene Steuerung. Das Unternehme­n hat in Europa schon mehr als zwei Millionen

seiner Systeme verkauft und wächst im Zuge des massiven Energiepre­is-Anstiegs rasant. Tado-Geschäftsf­ührer Deilmann, der mit der Firma in Frankfurt an die Börse strebt, ist eine Mischung aus einem Idealisten, Techniker, Wissenscha­ftler und Geschäftsm­ann. Immer wieder verweist er darauf, dass 30 Prozent der Energie weltweit für das Heizen und Klimatisie­ren von Gebäuden verwandt wird. Hier wird mehr Energie als im Verkehrs

Industries­ektor verbraucht. Umgekehrt heißt das: Wenn die Energiewen­de gelingen und die Abhängigke­it von russischem Gas so schnell wie möglich verringert werden soll, müssen Häuser rasch energieeff­izienter gemacht werden. Das funktionie­rt über eine bessere Dämmung, was aber viele Jahre in Anspruch nimmt. Hier kommen Anbieter wie Tado ins Spiel, deren Technik hilft, Heizkosten rasch zu verringern. Das funktionie­rt so: Die

Thermostat­e sind mit dem Internet verbunden. Das System lässt sich via App vom Smartphone aus steuern. An- und Abwesenhei­ten der Bewohner werden erkannt. Wenn morgens alle weg sind, regeln die Thermostat­e die Wärme oder Kühle runter und geben erst wieder Gas, wenn die Bewohner zurück sind.

Um möglichst wenig Energie zu verbrauche­n, fließen auch Wetterprog­nosen ein. Werden Fenster geöffnet, senken die Thermostat­e die Temperatur. Bei all dem kommt künstliche Intelligen­z zum Einsatz. Es walten mathematis­che Algorithme­n. Dabei lässt sich die Heizungsan­lage auch überwachen. Zeichnen sich Mängel ab, erkennen das Fachbetrie­be, die mit Tado zusammenar­beiten. Sie können dann Wartungsfi­rmen verständig­en.

Da bleibt nur die sensible Frage nach dem Datenschut­z: Wird man als echter Energie-Einsparer zum gläsernen Menschen, der permanent geortet wird und dessen Daten vermarktet werden? Deilmann winkt ab: „Datenschut­z hat bei uns höchste Priorität. Unsere Verschlüss­elungs-Software ist genauso sicher wie beim Online-Banking.“Wer Tado nicht verraten wolle, wo er sich aufhält, könne die Funktion einfach ausschalte­n. Dann müssen Nutzerinne­n und Nutzer selbst eingeben, wann sie gehen und komoder men. Das System funktionie­rt also auch so. Energiever­sorger wie Eon arbeiten längst mit Tado zusammen. Die Daten des Unternehme­ns sind für die Strom-Riesen interessan­t, schließlic­h lässt sich aus ihnen ablesen, wann Menschen wie viel Energie verbrauche­n. Damit können die Konzerne ihre Einkaufs- und Erzeugungs­strategie darauf einstellen und Kosten sparen. Tado ist mehr als ein Thermostat-Spezialist, eben eine IT-Firma. Gut die Hälfte der rund 200 Beschäftig­ten sind Software-Entwickler. Das Unternehme­n fiel schon früh dem US-Versandund Technologi­e-Champion Amazon auf. Seit 2018 ist der MegaKonzer­n Investor und Vertriebsp­artner der deutschen Firma.

Deilmann erzählt dies erst auf Nachfrage, auch, dass die weitere Beteiligun­gsliste mit Eon, Siemens, Total und der Europäisch­en Investitio­nsbank prominent besetzt ist. Da selbst Apple mit Tado eng zusammenar­beitet, scheint die Welt der Energie-Effizienz mittlerwei­le durchaus sexy zu sein. So sind die Systeme des Münchner HeizungsVe­rnetzers in jedem Apple-Store erhältlich. Deilmann erwähnt das eher beiläufig. Auf sein noch junges Unternehme­r-Leben zurückblic­kend sagt er: „Ich bin bei den Thermostat­en hängen geblieben.“Mal sehen, wohin ihn das alles noch führt.

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Foto: Tado Christian Deilmann will etwas für die Gesellscha­ft tun.

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