Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit schlauen Heizungsthermostaten an die Börse
Christian Deilmann liefert mit Tado Technik zum Energiesparen. Auf die Münchner Firma setzen die US-Riesen Apple und Amazon.
In einer Wohngemeinschaft fing alles an. Fünf junge Männer lebten in Cambridge in der Nähe der US-Stadt Boston zusammen. Die Sommer sind dort heiß und schwül. Ohne Klimaanlage kann das Leben unerträglich werden. Die Kosten in der Hitzephase beliefen sich für sie auf 1000 Dollar im Monat. Die beiden deutschen Studenten Christian Deilmann und Johannes Schwarz schmerzte ihr Anteil. Damals hatten die WG-Genossen nur die Wahl, auf kühlen Komfort zu verzichten und Geld zu sparen oder die Klimaanlage weiter laufen zu lassen und finanziell zu bluten.
Die ewigen Diskussionen mit ihren Mitbewohnern zehrten an den Nerven der Deutschen. Damit wollten sie sich nicht abfinden. Deilmann forschte am Massachusetts Institute of Technology – kurz MIT – eine, wenn nicht die Technik-Kaderschmiede der Welt. Er hatte zuvor in München Maschinenbau und Management studiert. Der Student beschäftigte sich mit Brennstoffzellen und den Eigenschaften von Rotorblättern von Windenergieanlagen.
Deilmann spricht ruhig und überlegt. Vieles hätte dafür gesprochen, dass er eine rein wissenschaftliche Karriere einschlägt. Doch der Sohn eines Architekten, der Mathe und Physik als Leistungskursfächer im Gymnasium absolvierte, ist auch ein praktisch veranlagter Mensch, den Alltagsprobleme wie zu hohe Energiekosten herausfordern. Und der 39-Jährige wollte „etwas Sinnvolles für die Gesellschaft beitragen“. Das besteht für ihn vor allem darin, technische Lösungen zu entwickeln, „wie sich erneuerbare Energie optimal nutzen lässt, um dem Klimawandel entgegenzuwirken“. Früh war der Tüftler überzeugt: „Wir müssen den Wärmesektor revolutionieren.“Deswegen überlegten sich Deilmann und sein Freund, wie das gelingen kann, und landeten bei der Steuerung von Heizungsund Klimaanlagen. Sie erkannten, dass intelligent gemanagte Thermostate der Schlüssel sind, um kräftig Energie einzusparen.
Zur Umsetzung ihrer Erkenntnisse gründeten die Freunde 2011 in München die Firma Tado, die heute einen Beitrag zur Energiewende leistet. Denn mit der Technologie des Start-up-Unternehmens lassen sich nach Darstellung von Deilmann im Schnitt 22 Prozent der Kosten für das Heizen und Kühlen in Gebäuden einsparen – und das bei einer Investition von wenigen hundert Euro für neue Thermostate und eine mit dem WLAN-Router verbundene Steuerung. Das Unternehmen hat in Europa schon mehr als zwei Millionen
seiner Systeme verkauft und wächst im Zuge des massiven Energiepreis-Anstiegs rasant. Tado-Geschäftsführer Deilmann, der mit der Firma in Frankfurt an die Börse strebt, ist eine Mischung aus einem Idealisten, Techniker, Wissenschaftler und Geschäftsmann. Immer wieder verweist er darauf, dass 30 Prozent der Energie weltweit für das Heizen und Klimatisieren von Gebäuden verwandt wird. Hier wird mehr Energie als im Verkehrs
Industriesektor verbraucht. Umgekehrt heißt das: Wenn die Energiewende gelingen und die Abhängigkeit von russischem Gas so schnell wie möglich verringert werden soll, müssen Häuser rasch energieeffizienter gemacht werden. Das funktioniert über eine bessere Dämmung, was aber viele Jahre in Anspruch nimmt. Hier kommen Anbieter wie Tado ins Spiel, deren Technik hilft, Heizkosten rasch zu verringern. Das funktioniert so: Die
Thermostate sind mit dem Internet verbunden. Das System lässt sich via App vom Smartphone aus steuern. An- und Abwesenheiten der Bewohner werden erkannt. Wenn morgens alle weg sind, regeln die Thermostate die Wärme oder Kühle runter und geben erst wieder Gas, wenn die Bewohner zurück sind.
Um möglichst wenig Energie zu verbrauchen, fließen auch Wetterprognosen ein. Werden Fenster geöffnet, senken die Thermostate die Temperatur. Bei all dem kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz. Es walten mathematische Algorithmen. Dabei lässt sich die Heizungsanlage auch überwachen. Zeichnen sich Mängel ab, erkennen das Fachbetriebe, die mit Tado zusammenarbeiten. Sie können dann Wartungsfirmen verständigen.
Da bleibt nur die sensible Frage nach dem Datenschutz: Wird man als echter Energie-Einsparer zum gläsernen Menschen, der permanent geortet wird und dessen Daten vermarktet werden? Deilmann winkt ab: „Datenschutz hat bei uns höchste Priorität. Unsere Verschlüsselungs-Software ist genauso sicher wie beim Online-Banking.“Wer Tado nicht verraten wolle, wo er sich aufhält, könne die Funktion einfach ausschalten. Dann müssen Nutzerinnen und Nutzer selbst eingeben, wann sie gehen und komoder men. Das System funktioniert also auch so. Energieversorger wie Eon arbeiten längst mit Tado zusammen. Die Daten des Unternehmens sind für die Strom-Riesen interessant, schließlich lässt sich aus ihnen ablesen, wann Menschen wie viel Energie verbrauchen. Damit können die Konzerne ihre Einkaufs- und Erzeugungsstrategie darauf einstellen und Kosten sparen. Tado ist mehr als ein Thermostat-Spezialist, eben eine IT-Firma. Gut die Hälfte der rund 200 Beschäftigten sind Software-Entwickler. Das Unternehmen fiel schon früh dem US-Versandund Technologie-Champion Amazon auf. Seit 2018 ist der MegaKonzern Investor und Vertriebspartner der deutschen Firma.
Deilmann erzählt dies erst auf Nachfrage, auch, dass die weitere Beteiligungsliste mit Eon, Siemens, Total und der Europäischen Investitionsbank prominent besetzt ist. Da selbst Apple mit Tado eng zusammenarbeitet, scheint die Welt der Energie-Effizienz mittlerweile durchaus sexy zu sein. So sind die Systeme des Münchner HeizungsVernetzers in jedem Apple-Store erhältlich. Deilmann erwähnt das eher beiläufig. Auf sein noch junges Unternehmer-Leben zurückblickend sagt er: „Ich bin bei den Thermostaten hängen geblieben.“Mal sehen, wohin ihn das alles noch führt.