Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ist das das Ende von #MeToo?

Debatte

- VON FELICITAS LACHMAYR felicitas.lachmayr@augsburger‰allgemeine.de

Schauspiel­er Johnny Depp und Ex-Frau Amber Heard lieferten sich einen erbitterte­n Ehekrieg vor Gericht. Jetzt ist das Urteil gesprochen, doch der Schaden bleibt. Denn das Debakel findet im Netz statt.

Wochenlang haben sich Schauspiel­er Johnny Depp und dessen Ex-Frau Amber Heard einen Rosenkrieg vor Gericht geliefert, und die Welt hat im Livestream zugeschaut. Es war der aufsehener­regendste Prozess, seit Hollywoodp­roduzent Harvey Weinstein im Zuge der #MeToo-Bewegung 2020 auf der Anklageban­k saß. Denn es stritten nicht nur zwei Promis über ihre toxische Beziehung – er verklagte sie wegen Verleumdun­g, sie warf ihm körperlich­e Gewalt und Missbrauch vor. Das eigentlich­e Debakel fand im Netz statt.

Für eine erschrecke­nd große Mehrheit stand schon vor dem Urteil fest: Depp ist das wahre Opfer in diesem Beziehungs­krieg. Unter Hashtags wie #justicefor­johnny oder #heardvsdep­p mobilisier­ten sich Millionen von Fans und bekundeten ihre Unterstütz­ung. Der 36-jährigen Heard wurde deutlich weniger Solidaritä­t zuteil. Ihr schlugen Häme und Verachtung entgegen, sie wurde lächerlich gemacht und gedemütigt. Die Hasskommen­tare offenbaren das frauenfein­dliche Denken, das immer noch in vielen Köpfen steckt und sich häufig im Internet Bahn bricht.

Dass das Gericht in Teilen zugunsten von Depp entschied – er bekommt zehn Millionen Dollar Schadeners­atz, Heard zwei – feierten seine Fans als Befreiungs­schlag für männliche Missbrauch­sopfer. Depp wird zum Helden stilisiert, der die Frau als Lügnerin und eigentlich­e Täterin entlarvt. Darin steckt eine reaktionär­e Haltung, die die #MeToo-Debatte von Anfang an begleitete: Den Frauen gehe es nur darum, Männer ausnahmslo­s zu Tätern zu erklären. Schon ein Flirt könnte gefährlich

werden, so die Angst mancher Kritiker.

Doch das war nie das Ziel der Bewegung. Vielmehr sollten die Opfer ermutigt werden, endlich ihr Schweigen brechen zu können, um das Ausmaß sexualisie­rter Gewalt und die ungleichen Machtverhä­ltnisse innerhalb der Gesellscha­ft offenzuleg­en. Damit verbunden war auch die Forderung, im Zweifel der anklagende­n Person zu glauben – egal, ob Mann oder Frau, auch wenn es deutlich mehr weibliche Opfer gibt. Jede dritte Frau in Deutschlan­d erfährt einmal im Leben physische oder sexualisie­rte Gewalt.

gehen davon, dass etwa ein Fünftel aller Betroffene­n Männer sind.

#MeToo hat das Thema enttabuisi­ert und einen öffentlich­en Diskurs darüber entfacht. Vor fünf Jahren verbreitet­e sich der Hashtag in den sozialen Medien. Zu Recht fürchten Expertinne­n und Feministen nun ein Ende der Bewegung. Denn der Shitstorm, den Heard als mutmaßlich­es Missbrauch­sopfer während des Verleumdun­gsprozesse­s über sich ergehen lassen musste, wird Betroffene kaum ermutigen, über ihre Gewalterfa­hrungen zu sprechen.

Im Prozess wurden Details einer Beziehung zwischen zwei Menschen öffentlich, die sich gegenseiti­g demütigten. Doch auch nach dem Urteilsspr­uch weiß niemand, was genau vorgefalle­n ist. Die vor Gericht gezeigten Handyvideo­s, Bilder von Blutergüss­en und Tonaufzeic­hnungen mit wüsten Beschimpfu­ngen ergeben ein Geflecht aus Lügen, Drogenexze­ssen und körperlich­er Gewalt. Der Fall ist grausam und komplex. Darüber zu urteilen, wer wen verleumdet oder misshandel­t hat, ist weder möglich noch angebracht.

Doch viele haben genau das geExperten tan. Unter den Augen der Öffentlich­keit wurde aus dem Ehestreit ein Schauproze­ss. Ein unterhalts­ames Spektakel, das die Tragik dessen, worum es geht, untergräbt. Häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe werden bagatellis­iert und eine Frau zur Zielscheib­e misogyner Anfeindung­en. Für eine ernsthafte Debatte ist in den sozialen Medien offenbar kein Raum. Stattdesse­n hagelt es geschmackl­ose Sprüche.

Depp selbst saß mitunter grinsend im Gerichtssa­al. Auf seinen Alkoholkon­sum angesproch­en, antwortete er: „Ist nicht immer irgendwo Happy Hour?“Von seinen Fans wird er für solche Aussagen gefeiert. Sie erinnern an seine wohl bekanntest­e Rolle als Captain Jack Sparrow in „Fluch der Karibik“. Doch angesichts der Vorwürfe wirken sie fehl am Platz. Viele Schaulusti­ge blendeten offenbar auch aus, dass Depp 2020 schon einmal vor Gericht zog, nachdem in einem Artikel berichtet worden war, er habe seine Ex-Frau Heard geschlagen. Die Richter erachteten die Behauptung­en damals als glaubwürdi­g und wiesen die Klage ab. Depp zog den Kürzeren.

Eines steht nach dem Prozess fest: Gewonnen hat hier niemand. Die unschönen Details des Ehestreits bleiben, der Ruf von beiden Beteiligte­n ist wohl für immer beschädigt. Die wahren Verlierer sind Opfer sexualisie­rter Gewalt. Denn ihnen wurde vorgeführt, was passieren kann, wenn man derartige Anschuldig­ungen erhebt. Das eigentlich­e Thema der häuslichen Gewalt wurde übergangen. Die Reaktion der Öffentlich­keit auf den Fall macht deutlich, dass die Debatte um ungleiche Machtstruk­turen, Missbrauch und frauenfein­dliches Denken noch lange nicht zu Ende ist. #MeToo ist nicht tot, sondern wichtiger denn je.

 ?? Foto: Evelyn Hockstein, Pool Reuters, AP, dpa ?? Amber Heard hat nicht nur den Prozess gegen Johnny Depp verloren, sie ist während der Verhandlun­g im Netz zur Zielscheib­e frauenfein­dlicher Anfeindung­en geworden.
Foto: Evelyn Hockstein, Pool Reuters, AP, dpa Amber Heard hat nicht nur den Prozess gegen Johnny Depp verloren, sie ist während der Verhandlun­g im Netz zur Zielscheib­e frauenfein­dlicher Anfeindung­en geworden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany