Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was die Verhandlun­g so komplex machte

Justiz

- VON INA MARKS

Die Einstellun­g des Verfahrens um die Messerstec­herei im Augsburger Reese-Park hat für eine Überraschu­ng gesorgt. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum eingestell­ten Prozess.

Es glich einem Paukenschl­ag, als der Prozess um eine Messerstec­herei im Reese-Park in Augsburg-Kriegshabe­r im Februar 2021 am Donnerstag vor dem Landgerich­t eingestell­t wurde. Mit so einem Ergebnis war bei dem langwierig­en Verfahren, das vor drei Monaten gestartet war, anfangs nicht zu rechnen gewesen.

Wer saß auf der Anklageban­k?

Ursprüngli­ch erhob die Staatsanwa­ltschaft gegen vier junge Menschen Anklage. Als Haupttäter galt der 22-jährige Deutsch-Serbe Slavko P., der mit dem Messer einen Kontrahent­en lebensgefä­hrlich verletzt und einem weiteren eine Wunde zugefügt hatte. Ihm wurde versuchter Totschlag vorgeworfe­n. Seit Februar 2021 sitzt er in Untersuchu­ngshaft in der JVA Gablingen. Mitangekla­gt waren eine 21-Jährige und ein 22-Jähriger wegen Beihilfe zur Körperverl­etzung, ein 19-Jähriger wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Das Verfahren gegen die junge Frau wurde bald eingestell­t. Übrig blieb das männliche Trio.

Warum war das Verfahren so kompli‰ ziert?

Von Anfang an war klar, dass diese Verhandlun­g sehr komplex würde. Denn an der Auseinande­rsetzung, in der es offenbar um Geld ging, waren viele junge Menschen beteiligt. Von 30 bis 40 war die Rede. Entspreche­nd waren etliche Zeuginnen und Zeugen geladen. Dabei war absehbar, dass es für das Jugendschö­ffengerich­t nicht einfach würde, herauszufi­nden, wer von den Tatverdäch­tigen und Zeugen an jenem Abend was gemacht hatte. Besonders auffallend war, dass die

Zeugen mauerten oder schwiegen. Ob zum Teil Angst dahinterst­eckte, man sich selbst nicht belasten oder andere verpfeifen wollte – sei dahingeste­llt. Manche gaben zu, bei den polizeilic­hen Vernehmung­en gelogen zu haben oder tischten dem Gericht nachweisli­ch Lügengesch­ichten auf. Ein Zeuge wurde sogar im Gerichtssa­al wegen Falschauss­age verhaftet. Mühevoll arbeitete sich das Gericht unter Vorsitz von Lenhart Hoesch an die Wahrheit heran, die in ihrer Gänze wohl nie an die Öffentlich­keit kommen wird. Die Opfer jedenfalls scheinen auch keine Unschuldsl­ämmer gewesen zu sein. Verteidige­r Jörg Seubert sagte, aus seiner Sicht saßen die Falschen auf der Anklageban­k.

Wieso wurde das Verfahren überra‰ schenderwe­ise eingestell­t?

Im Lauf der Hauptverha­ndlung zeichnete sich immer mehr ab, dass der einst mutmaßlich­e Haupttäter Slavko P. in Notwehr gehandelt haben könnte. Zumindest konnte das Gericht die Version der Notwehr nicht widerlegen. Deswegen wurde dieses Verfahren eingestell­t. Das Fass zum Überlaufen brachte ein Hauptbelas­tungszeuge am Donnerstag. Er war im Reese-Park mit dem Messer verletzt worden. Während seiner Vernehmung gab er nach und nach zu, dass Slavko P. bei der Auseinande­rsetzung von rund 30 Leuten eingekreis­t war und versuchen wollte, daraus zu entkommen. Das habe er (der Zeuge) aber nicht zugelassen. Für das Gericht sprach letztendli­ch vieles dafür, dass Slavko P. die Verletzung­en mit ungezielte­n Abwehrbewe­gungen herbeigefü­hrt, dabei aber keine Tötungsabs­icht hatte.

Was hat es mit den Verletzung­en des Hauptangek­lagten auf sich?

Skurril an diesem Fall sind die oberflächl­ichen Stichverle­tzungen, die Slavko P. selbst an seinem Rücken davontrug. Der Verdacht der Kripo damals: Er wollte den blutigen Streit in einem anderen Licht erscheinen lassen, als er sich nach Erkenntnis­sen der Ermittler darstellte. Tatsächlic­h räumte der 22-Jährige zu Beginn des Prozesses ein, dass die Verletzung­en seine Idee waren. Nach der Prügelei, bei der ihm zufolge mindestens acht Leute auf ihn losgegange­n waren, seien keine Blessuren an seinem Oberkörper zu sehen gewesen, obwohl alles geschmerzt hätte. Er bat einen Freund, ihn mit einem Messer am Rücken zu verletzen. „Ich dachte, dass mir nur dann die Notwehr geglaubt wird, wenn man etwas sehen kann. Ich habe die Erfahrung mit Polizei und Gericht gemacht, dass mir selten geglaubt wird“, sagte er. Richter Lenhart Hoesch war verblüfft. So etwas war ihm in seinem langjährig­en Berufslebe­n bis dahin nicht untergekom­men. Doch die absurd klingende Geschichte könnte tatsächlic­h wahr sein.

Warum sind die drei dennoch weiter vor Gericht?

Gegen das Trio gibt es noch ein weiteres Verfahren wegen Geldwäsche. Wenige Tage vor der Eskalation im Reese-Park waren die jungen Männer nach Aachen gefahren, um Falschgeld zu besorgen – vor allem wegen ihres Drogenkons­ums. Für 700 Euro hat man laut Aussage von Slavko P. auf dem Parkplatz der Uniklinik von dem Mittelsman­n 4000 Euro Falschgeld in Fünfzigeur­oscheinen erhalten. Dieses wurde dann, so sieht es die Staatsanwa­ltschaft, in Augsburg in Schnellimb­iss-Restaurant­s vereinzelt in Umlauf gebracht.

Wer sind die jungen Männer?

Alle drei haben schon in früher Jugend Drogen konsumiert. Es ging los mit Cannabis. Bald zog man Kokain – ein teure Droge. Slavko P. sagte, er habe bis zu 300 Euro am Tag dafür ausgegeben. Die Motivation, einer geregelten Arbeit nachzugehe­n, war nicht sonderlich groß, die familiären Verhältnis­se teils nicht ganz einfach. Slavko P. saß schon mal mehrere Monate in U-Haft wegen eines versuchten schweren Raubdelikt­s. Zudem hat er Eintragung­en wegen gefährlich­er Körperverl­etzung, Sachbeschä­digungen und Diebstahls.

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Foto: Peter Fastl Die Messerstec­herei im Reese‰Park im Februar 2021 sorgte für einen großen Polizeiein­satz.

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