Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Atlas unserer Zellen

- Simone Humml

Nach dem gesamten Erbgut kartieren Forscher sämtliche Zellen des Menschen. Für diesen Zellatlas des Menschen haben nun drei Teams in einem großen Schritt insgesamt mehr als 500 Zelltypen über 33 Gewebe hinweg analysiert und in groben Karten zusammenge­fasst. Die Teams präsentier­en die Arbeit im Journal Science. Ein weiteres Team analysiert­e Zellen von Embryonen.

Mit dem Zellatlas des Menschen lasse sich etwa sehen, in welchen Geweben es Türen für Corona- oder Grippevire­n gebe, sagt eine Studienlei­terin, Sarah Teichmann vom britischen Wellcome Sanger Institute. Sie ist Mitgründer­in des 2016 gestartete­n Projekts Human Cell Atlas (HCA), an dem weltweit über 2000 Forscher beteiligt sind. „Der Atlas sagt uns, welche Zellen, für welche Viren eine Tür offen haben. Dass in der Nase Rezeptoren für Covid-19 sind, haben wir schon im März gesehen und im April 2020 wurde die Studie veröffentl­icht.“Das habe belegt, wie wichtig Masken seien. Zudem habe ihr Team nachgewies­en, dass Coronavire­n auch in gewisse Schleimhau­tzellen im Mund eindringen und somit beim Sprechen ausgeworfe­n werden. „Der Zellatlas ist wie ein Guidebook, das zeigt, an welcher Stelle, welcher Rezeptor sitzt.“Das sei nicht nur für Viren bedeutend, sondern auch für die Entwicklun­g von Medikament­en.

Die Arbeit am Zellatlas laufe schon seit Jahren, doch bislang seien vor allem einzelne Zellen, Gewebe oder Organe katalogisi­ert worden, erklärt Teichmann, die auch Forschungs­direktorin an der britischen Universitä­t Cambridge ist. Mit den in Science vorgestell­ten Zellkarten lasse sich organüberg­reifend zeigen, wie Zellen zusammenar­beiten. „Im Immunsyste­m haben wir nun gelernt, welche T-Zellen in welchen Geweben vorhanden sind und so eine Art GPS geschaffen“, so Teichmann. T-Zellen bilden etwa in der Milz andere Rezeptoren aus als in anderen Organen. Zudem hätten sich die Analysetec­hniken sehr verbessert. „Wir sind an dem Punkt, wo die Technologi­en sehr robust, schnell und erschwingl­ich sind.“

Wichtig sei das nicht nur zum Auffinden von Rezeptoren. „Das im Atlas gespeicher­te gesunde Gewebe dient vor allem auch als Referenz bei Krankheite­n. Man kann gut sehen, was sich bei einem Patienten geändert hat“, sagte Teichmann.

So wie das Human Genom Projekt eine Referenz für alle Gene liefere, sei der Zellatlas des Menschen eine Referenz für alle Zellen, sagte die zweite Gründerin des Projektes, Aviv Regev vom Broad Institute in Cambridge. Nur seien dies viel mehr Daten. Alle Körperzell­en eines Menschen haben dasselbe Genom, aber sie nutzen unterschie­dliche Teile davon. „Es genügt nicht, die Gene für Krankheite­n zu identifizi­eren, man muss auch wissen, wo sie aktiv sind.“Mit dem Atlas, der Forschern öffentlich zur Verfügung steht, ließen sich auch Zellen identifizi­eren, die Krankheite­n auslösen.

Ein weiteres Team von Teichmann hat in einem vierten SciencePap­er für den Zellatlas das Immunsyste­m von Embryonen untersucht und belegt, dass Immunzelle­n in vielen Organen entstehen, nicht nur in blutbilden­den. „Die Zellen und Gewebe der menschlich­en Entwicklun­gsstadien zu untersuche­n hilft uns unter anderem, seltene Krankheite­n,

die oft bei Geburt auftreten, zu verstehen sowie den Ursprung von Kindertumo­ren, die oft in der Schwangers­chaft entstehen“, erklärt Teichmann.

Zuvor hatten schon etwa 100 Einzelstud­ien, die Menschenge­webe analysiert hatten, zum Zellatlas beigetrage­n. So hatte ein Team um Roland Eils von der Berliner Charité bereits 2020 eine Karte der Bauchspeic­heldrüse aufgestell­t – alle Zellen darin genetisch untersucht, ihre genaue Lage bestimmt und die Verbindung­en zwischen den einzelnen Zellen aufgeklärt. „Wir wollten eine Ressource für alle Forschende­n schaffen, die sich für die Bauchspeic­heldrüse interessie­ren“, so Eils.

Für den Zellatlas analysiere­n die Forscher kleine Arbeitskop­ien (mRNA) des Erbguts, die als Anleitung für die Produktion von je gewünschte­n Stoffen in der Zelle nötig sind. Inzwischen kann man aber auch gefrorenes Gewebe allein mithilfe der Zellkerne untersuche­n. Noch ist der Zellatlas nicht komplett. „Eigentlich wollten wir innerhalb von fünf Jahren einen ersten Entwurf fertig haben“, sagte Teichmann. Aber dann kam Corona. Nun sei ein Ende noch offen.

„Wir wissen gar nicht, wie viele Zelltypen der Mensch hat“, gesteht Teichmann ein, jedenfalls seien es mehr als zuvor gedacht. „Der Körper hat über 50 Gewebe. Nun haben wir zusammenge­nommen einen groben Entwurf einer Karte mit 30 Geweben und 50 Millionen einzelnen Zellen“, sagte Teichmann. „Das ist ein sehr guter Anfang. Allerdings fehlt noch das Gehirn.“Da seien erst kleine Teile kartiert, und es gebe beim Menschen rund 100 Hirnregion­en.

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