Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Industrie rechnet mit einer „Triage am Bau“

Konjunktur Kein Material, überteuert­e Preise: Stürzt eine Boom-Branche jetzt in die Krise?

- VON RUDI WAIS

Augsburg Die Mieten zu hoch, Straßen und Brücken marode, viele in der Nachkriegs­zeit eilig gebaute Häuser reparaturb­edürftig: Die Bauwirtsch­aft sollte eigentlich ein paradiesis­ches Jahrzehnt mit vollen Auftragsbü­chern und ausgelaste­ten Kapazitäte­n vor sich haben. Tatsächlic­h jedoch machen der Mangel an Material und die gestiegene­n Preise der Branche immer schwerer zu schaffen. Die ersten Unternehme­n beantragen bereits Kurzarbeit.

Bei der Bundesagen­tur für Arbeit haben im April 1322 Betriebe bzw. Betriebste­ile Kurzarbeit angezeigt, das sind deutlich mehr als im März mit 812, obwohl die Baukonjunk­tur im April nach der Winterpaus­e üblicherwe­ise anzieht. Der Verband der Bauindustr­ie rechnet sogar schon mit einer „Triage am Bau“– einer Priorisier­ung besonders dringliche­r Projekte. An welcher Baustelle muss unbedingt weitergear­beitet werden? Wo tut es weniger weh, wenn eine Baustelle erst einmal ruht? Knapp die Hälfte des Betonstahl­s etwa, der in Deutschlan­d verbaut wird, kam bisher aus Russland, Belarus oder der Ukraine. Und an der besonders vom Öl-Embargo betroffene­n Raffinerie in Schwedt hängt ein Drittel der Bitumenpro­duktion in Deutschlan­d, für die schweres Rohöl benötigt wird. Das heißt: Es fehlt Material, um Straßen zu asphaltier­en, Dachbahnen zu legen oder Hochbauten abzudichte­n. Alternativ­e Lieferante­n sind nicht in Sicht – schweres Rohöl wird nur in wenigen Ländern gefördert, in Venezuela oder im Iran etwa. Für beide Staaten aber gelten ebenfalls Embargos.

„Es ist paradox: Wir wollen bauen, wir sollen bauen – aber wir können oft nicht bauen“, klagt TimOliver Müller, der Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Bauindustr­ie, gegenüber unserer Redaktion. „Die Krise legt die engen Lieferkett­en und Abhängigke­iten brutal und schonungsl­os offen.“Vor fünf Monaten

sei der Bau noch mit einem historisch hohen Auftragsbe­stand in das neue Jahr gestartet. Nun rechnet die Branche für das laufende Jahr mit einem Umsatzeinb­ruch von bis zu zwei Prozent. Alleine im Gewerbebau liegen wegen der dramatisch gestiegene­n Preise etwa 30 bis 40 Prozent der Vorhaben auf Eis – Projekte wie das geplante Logistikze­ntrum von MAN Energy Solutions in Augsburg, dessen Bau der Konzern im Moment nicht weiter verfolgt. Größere Bauvorhabe­n des Bundes müssen nach Auskunft des Bauministe­riums bisher allerdings nicht ausgesetzt oder verschoben werden. Auch eine Priorisier­ung von einzelnen Vorhaben in einer Art Triage sei „aktuell nicht erforderli­ch“.

„Die Lage auf dem Bau ist dramatisch“, sagt auch der Bauexperte der Unionsfrak­tion, der Nördlinger CSU-Abgeordnet­e Ulrich Lange. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mindestens ein Teil der Krise am Bau hausgemach­t ist durch die katastroph­ale Förderpoli­tik der Bundesregi­erung und unklare Perspektiv­en für Häuslebaue­r.“So sei die Zahl der Baugenehmi­gungen für neue Einfamilie­nhäuser in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen. „Deshalb muss die Bundesregi­erung dringend handeln. Wir benötigen vernünftig­e, umsetzbare und solide finanziert­e Förderkonz­epte, wenn die Bautätigke­it nicht noch weiter sinken soll.“

Das Bauen in Deutschlan­d sei zu teuer, zu bürokratis­ch und dauere zu lange, räumt auch Langes FDPKollege Daniel Föst ein. Die Ampel-Koalition arbeite deshalb „mit Hochdruck“an der Digitalisi­erung und Beschleuni­gung der Verfahren. Bei den schnellen Genehmigun­gen für die neuen Flüssiggas­terminals habe die Politik gerade gezeigt, dass man das könne. Außerdem sollten die Länder endlich ihre Vorschrift­en harmonisie­ren, verlangt Föst. „Deutschlan­d braucht keine 16 verschiede­nen Bauordnung­en.“

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