Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Boris Johnson kommt noch mal davon

Großbritan­nien Eine große Zahl konservati­ver Abgeordnet­er zettelt ein Misstrauen­svotum gegen den Premier wegen der Partygate-Affäre an. Doch obwohl der die Abstimmung übersteht, nimmt der Druck auf ihn noch zu.

- VON SUSANNE EBNER

London Boris Johnson grinste im Laufe seiner Amtszeit oft genug verschmitz­t in Kameras, während vielen seiner Kritiker das Lachen längst vergangen war. In Krisenzeit­en die Fassung zu wahren, ist eine jener Eigenschaf­ten, die zu seinem Ruf beitrug, dass an ihm Skandale abperlten wie an einer Teflonpfan­ne. Gestern war das anders. Medien bekamen den Premiermin­ister im Verlauf des Tages nicht zu Gesicht, nicht einmal zu einer morgendlic­hen Joggingrun­de mit seinem Hund Dilyn. Es zeigte: Der konservati­ve Regierungs­chef machte sich erstmals Sorgen.

Einen Tag nach den Feierlichk­eiten zum Platin-Jubiläum der Queen sah sich der britische Premier mit der größten Krise seiner politische­n Karriere konfrontie­rt. Übers Wochenende wurde die kritische Marke von 54 Briefen durch konservati­ve Parlaments­abgeordnet­e erreicht, die nötig sind, um ein Misstrauen­svotum gegen ihn einzuleite­n. Johnson setzte das Votum daraufhin noch für den Montagaben­d an und traf sich im Vorfeld mit Hinterbänk­lern der Partei, jenen Abgeordnet­en also, die kein Ministeram­t innehaben. In einer Rede verwies er auf seine Erfolge im Zuge des Brexits und versichert­e, dass er die Partei erneut zum Wahlsieg führen werde.

Doch das Ergebnis der Abstimmung war knapper als erwartet. Nur 211 seiner Fraktionsk­ollegen sprachen dem Premier ihr Vertrauen aus. 148 Tory-Abgeordnet­e votierten für eine Abwahl Johnsons als Parteichef und damit auch als Premiermin­ister. Teflon-„Boris“bleibt damit zwar in der Downing Street, gilt aber als politisch schwer beschädigt. Unterstütz­ung hatte er im Vorfeld unter anderem von Justizmini­ster Dominic Raab sowie dem Brexit-Befürworte­r Jacob Rees-Mogg erhalten. Dieser betonte, dass er Premiermin­ister bleiben sollte, auch für den Fall, dass er nur eine Stimme mehr hat als die benötigten 180, was der Hälfte der konservati­ven Abgeordnet­en entspricht. Damit kann ein Jahr lang kein weiteres Misstrauen­svotum gegen ihn erfolgen. Doch der Druck auf Johnson ist massiv.

Das Misstrauen­svotum ist die Folge der nicht endenden Skandale um Partys in der Downing Street während des Lockdowns, von denen der Premier erst nichts gewusst haben wollte und sie dann angeblich für Arbeitstre­ffen hielt. Johnson entschuldi­gte sich immer wieder für die Feiern, Rücktritts­forderunge­n wies er jedoch zurück – obwohl ihn die Mehrheit der Bevölkerun­g einer Umfrage zufolge mittlerwei­le als Lügner bezeichnet.

Ende Mai wurde schließlic­h der lange erwartete Untersuchu­ngsbericht durch die Beamtin Sue Gray veröffentl­icht. Seit Dezember schon ermittelte diese zu ausschweif­enden Feiern in den Jahren 2020 und 2021 in der Downing Street. Daraus ging hervor, dass die Feiern nicht nur von langer Hand geplant waren; man war auch sehr bemüht, diese zu vertuschen. Außerdem sei bei den Treffen, die teils die ganze Nacht andauerten, exzessiv getrunken worden. Schuld daran sei, so folgerte Gray, die Führungseb­ene, in anderen Worten: Johnson selbst.

Als wäre das nicht genug, wurden die Nerven der konservati­ven Abgeordnet­en während der Feierlichk­eiten zum 70. Thronjubil­äum der Queen weiter strapazier­t. Als der Premier mit seiner Frau Carrie zu einem Dankgottes­dienst für Elizabeth II. in der St. Paul’s Kathedrale am vergangene­n Freitag ankam, wurde der Jubel schnell von einer Welle von Buhrufen übertönt. Eine Szene, die sich während des Konzertes des Fernsehsen­ders BBC vor dem Buckingham-Palast wiederholt­e. Vor den Augen von Milliarden von Zuschauern weltweit.

So musste Boris Johnson während des Gottesdien­stes am Freitag eine Lektion aus dem Philipperb­rief lesen, in der die Tugend der Wahrheit gepriesen wurde, ein Text, der vom Palast für ihn ausgewählt wurde. Der Premier wirkte auf die Briten an diesem Wochenende schlicht lasterhaft im Vergleich zur Königin, die ihr ganzes Leben in den Dienst des Volkes gestellt hat. Bei der Monarchin fühlten sie Stolz, sagten viele. Bei Boris Johnson nicht.

Auch wenn viele konservati­ve Abgeordnet­e diese Sichtweise teilen, halten sie aktuell an ihm fest. Vor allem, weil es an einem Nachfolger fehlt. Ist Johnsons Zukunft also nun für ein weiteres Jahr gesichert? Viele Experten bezweifeln dies, darunter Jill Rutter von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“. „Zur Not ändern sie eben die Regeln“, sagte sie, oder drängten ihn aus dem Amt. Dass dies möglich ist, habe man im Fall Theresa May gesehen. Die gewann Ende 2018 zwar ein Misstrauen­svotum, trat dann jedoch im Mai 2019 als Premiermin­isterin zurück. Ein Kommentato­r des Magazins The New Statesman“betonte: „Diese Parallelen sollten Johnson Sorgen bereiten.“

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Foto: dpa Boris Johnson in der Downing Street: als erster Premier Gesetz gebrochen.

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