Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Boris Johnson kommt noch mal davon
Großbritannien Eine große Zahl konservativer Abgeordneter zettelt ein Misstrauensvotum gegen den Premier wegen der Partygate-Affäre an. Doch obwohl der die Abstimmung übersteht, nimmt der Druck auf ihn noch zu.
London Boris Johnson grinste im Laufe seiner Amtszeit oft genug verschmitzt in Kameras, während vielen seiner Kritiker das Lachen längst vergangen war. In Krisenzeiten die Fassung zu wahren, ist eine jener Eigenschaften, die zu seinem Ruf beitrug, dass an ihm Skandale abperlten wie an einer Teflonpfanne. Gestern war das anders. Medien bekamen den Premierminister im Verlauf des Tages nicht zu Gesicht, nicht einmal zu einer morgendlichen Joggingrunde mit seinem Hund Dilyn. Es zeigte: Der konservative Regierungschef machte sich erstmals Sorgen.
Einen Tag nach den Feierlichkeiten zum Platin-Jubiläum der Queen sah sich der britische Premier mit der größten Krise seiner politischen Karriere konfrontiert. Übers Wochenende wurde die kritische Marke von 54 Briefen durch konservative Parlamentsabgeordnete erreicht, die nötig sind, um ein Misstrauensvotum gegen ihn einzuleiten. Johnson setzte das Votum daraufhin noch für den Montagabend an und traf sich im Vorfeld mit Hinterbänklern der Partei, jenen Abgeordneten also, die kein Ministeramt innehaben. In einer Rede verwies er auf seine Erfolge im Zuge des Brexits und versicherte, dass er die Partei erneut zum Wahlsieg führen werde.
Doch das Ergebnis der Abstimmung war knapper als erwartet. Nur 211 seiner Fraktionskollegen sprachen dem Premier ihr Vertrauen aus. 148 Tory-Abgeordnete votierten für eine Abwahl Johnsons als Parteichef und damit auch als Premierminister. Teflon-„Boris“bleibt damit zwar in der Downing Street, gilt aber als politisch schwer beschädigt. Unterstützung hatte er im Vorfeld unter anderem von Justizminister Dominic Raab sowie dem Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg erhalten. Dieser betonte, dass er Premierminister bleiben sollte, auch für den Fall, dass er nur eine Stimme mehr hat als die benötigten 180, was der Hälfte der konservativen Abgeordneten entspricht. Damit kann ein Jahr lang kein weiteres Misstrauensvotum gegen ihn erfolgen. Doch der Druck auf Johnson ist massiv.
Das Misstrauensvotum ist die Folge der nicht endenden Skandale um Partys in der Downing Street während des Lockdowns, von denen der Premier erst nichts gewusst haben wollte und sie dann angeblich für Arbeitstreffen hielt. Johnson entschuldigte sich immer wieder für die Feiern, Rücktrittsforderungen wies er jedoch zurück – obwohl ihn die Mehrheit der Bevölkerung einer Umfrage zufolge mittlerweile als Lügner bezeichnet.
Ende Mai wurde schließlich der lange erwartete Untersuchungsbericht durch die Beamtin Sue Gray veröffentlicht. Seit Dezember schon ermittelte diese zu ausschweifenden Feiern in den Jahren 2020 und 2021 in der Downing Street. Daraus ging hervor, dass die Feiern nicht nur von langer Hand geplant waren; man war auch sehr bemüht, diese zu vertuschen. Außerdem sei bei den Treffen, die teils die ganze Nacht andauerten, exzessiv getrunken worden. Schuld daran sei, so folgerte Gray, die Führungsebene, in anderen Worten: Johnson selbst.
Als wäre das nicht genug, wurden die Nerven der konservativen Abgeordneten während der Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum der Queen weiter strapaziert. Als der Premier mit seiner Frau Carrie zu einem Dankgottesdienst für Elizabeth II. in der St. Paul’s Kathedrale am vergangenen Freitag ankam, wurde der Jubel schnell von einer Welle von Buhrufen übertönt. Eine Szene, die sich während des Konzertes des Fernsehsenders BBC vor dem Buckingham-Palast wiederholte. Vor den Augen von Milliarden von Zuschauern weltweit.
So musste Boris Johnson während des Gottesdienstes am Freitag eine Lektion aus dem Philipperbrief lesen, in der die Tugend der Wahrheit gepriesen wurde, ein Text, der vom Palast für ihn ausgewählt wurde. Der Premier wirkte auf die Briten an diesem Wochenende schlicht lasterhaft im Vergleich zur Königin, die ihr ganzes Leben in den Dienst des Volkes gestellt hat. Bei der Monarchin fühlten sie Stolz, sagten viele. Bei Boris Johnson nicht.
Auch wenn viele konservative Abgeordnete diese Sichtweise teilen, halten sie aktuell an ihm fest. Vor allem, weil es an einem Nachfolger fehlt. Ist Johnsons Zukunft also nun für ein weiteres Jahr gesichert? Viele Experten bezweifeln dies, darunter Jill Rutter von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“. „Zur Not ändern sie eben die Regeln“, sagte sie, oder drängten ihn aus dem Amt. Dass dies möglich ist, habe man im Fall Theresa May gesehen. Die gewann Ende 2018 zwar ein Misstrauensvotum, trat dann jedoch im Mai 2019 als Premierministerin zurück. Ein Kommentator des Magazins The New Statesman“betonte: „Diese Parallelen sollten Johnson Sorgen bereiten.“