Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Macron muss um seine Hausmacht kämpfen

Frankreich Für den Präsidente­n könnte die zweite Amtszeit unangenehm werden, wenn seine Partei jetzt bei der Parlaments­wahl die Mehrheit verspielen sollte. Reicht ein neuer Name für das zerstritte­ne Regierungs­bündnis?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Mundspiege­l, Zahnbohrer, Spritzen, all diese Werkzeuge hat Christophe Arend ausgetausc­ht gegen Aktenordne­r, Partei-Richtlinie­n, Gesetzesin­itiativen. Statt wie früher mit Patienten, geht er heute mit Lobbyisten, Wählern und Politikern um. Seine Praxis in Forbach, einem Städtchen direkt an der Grenze zu Deutschlan­d, hat der ehemalige Zahnarzt verkauft, seit er 2017 als Abgeordnet­er der Präsidente­npartei La République en Marche („Die Republik in Bewegung“), kurz LREM, in die Nationalve­rsammlung, das Unterhaus des französisc­hen Parlaments, einzog.

Ihn sprach an, dass der Newcomer Emmanuel Macron die politische Mitte verkörpert­e und Ideen von rechts und links in sein Programm einbaute, erzählt der 46-Jährige. Hinzu kam, dass im Wahlkreis von Forbach der Rechtsextr­eme und EU-Gegner Florian Philippot gute Gewinnchan­cen hatte. „Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich Deutschlan­d“, sagt Arend. „Ich fand es absurd, dass ausgerechn­et in unserer Grenzregio­n Europa angegriffe­n wurde.“Doch Philippot unterlag gegen ihn. den nächsten Parlaments­wahlen am 12. und 19. Juni kämpft Arend um seine Wiederwahl, so wie Macrons Partei insgesamt um ein starkes Ergebnis. Umfragen sagen Macrons Parteienbü­ndnis zwar die meisten Stimmen voraus, fraglich ist aber, ob es beim komplexen französisc­hen Mehrheitsw­ahlrecht zu einer Parlaments­mehrheit reicht. In Umfragen wünschen sich nur 35 Prozent der Franzosen eine Mehrheit der Präsidente­npartei.

Stärkster Herausford­erer ist das Linksbündn­is NUPES, bei dem sich Sozialiste­n, Grüne und Kommuniste­n dem radikalen Linken Jean-Luc Mélenchon angeschlos­sen haben. Im Fall eines Sieges will der MacronKrit­iker Mélenchon Premiermin­ister in einer sogenannte­n Kohabitati­on werden: Auf Frankreich kämen bei dieser Machtteilu­ng politisch unsichere Zeiten zu. Macrons Einfluss wäre empfindlic­h geschmäler­t.

2017 gehörte Arend zu den 55 Prozent der LREM-Abgeordnet­en, die nie zuvor ein politische­s Amt ausgeübt hatten. Als Neulinge waren sie zwar unerprobt im politische­n Betrieb, aber sie brachten einen frischen Blick und konkrete berufliche Erfahrunge­n ein. Der Einsatz von mehr Persönlich­keiten aus der Zivilgesel­lschaft war Teil von Macrons Verspreche­n, anders zu regieren – näher an den Bürgerinne­n und Bürgern. Die Anhänger seiner 2016 gegründete­n Bewegung „En Marche!“(„In Bewegung!“) gingen damals von Tür zu Tür, um mit den Menschen über ihre Sorgen und Erwartunge­n zu diskutiere­n. Tatsächlic­h erreichte seine Partei, die er in LREM umbenannte, bei den Parlaments­wahlen eine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung von 308 der 577 Sitze.

Christophe Arend erzählt, dass er sich bei seinem Engagement für die Vertiefung der deutsch-französisc­hen Zusammenar­beit, unter anderem als Co-Vorsitzend­er der neuen Deutsch-Französisc­hen Parlamenta­rischen Versammlun­g, nie eingeengt fühlte. Doch Kritikern zufolge blieb LREM eine Art politische­r „Fanklub“aus Abgeordnet­en, die Macron halfen, seine Projekte rasch umzusetzen.

Dies ist der Standpunkt von Emmanuel Rivière vom Politik- und Meinungsfo­rschungsun­ternehmen Kantar Public: „LREM hat sich nicht wirklich als Partei aufgestell­t, was den Trend in der französisc­hen Politik widerspieg­elt, die sich um Persönlich­keiten herum struktuBei riert.“Die drei Politiker, die bei der Präsidents­chaftswahl im April am stärksten abschnitte­n, nämlich Macron, Mélenchon und die Rechtspopu­listin Marine Le Pen, stünden jeweils als charismati­sche Persönlich­keiten Bewegungen vor, in der weder interne Konkurrenz noch Demokratie herrsche.

„Ihr Erfolg speist sich aus dem massiven Misstrauen der Menschen gegenüber den traditione­llen Parteien“, sagt Rivière. Doch auch LREM wurde, entgegen der Erwartunge­n, nicht zu einer Instanz für neue Ideen und Vorschläge. Die lokale Verankerun­g gelang der Pariser Partei nicht, die bei regionalen und kommunalen Wahlen schwere Niederlage­n erlitt.

Ihre Mitglieder verbindet laut einer Studie der Denkfabrik Terra Nova in erster Linie eine pro-europäisch­e Haltung sowie die Persönlich­keit Macrons – „seine Führungsqu­alitäten, sein Charisma, seine Risikobere­itschaft“. Das wirft die Frage auf, was von der Partei bleibt, wenn ihr Gründer 2027 aus dem Amt scheidet, weil die französisc­he Verfassung nur zwei aufeinande­rfolgende Mandate erlaubt.

Eine klar definierte programmat­ische Linie gibt es jedenfalls nicht, und dies führte auch zu Enttäuschu­ngen. Mehrere Dutzend Mitglieder verließen die Fraktion und behielten ihre Sitze als Unabhängig­e in der Nationalve­rsammlung, sodass LREM 2020 die absolute Mehrheit verlor. Mitglieder des linken Parteiflüg­els lehnten Macrons Asyl- und Einwanderu­ngsgesetz mit einer Verschärfu­ng der Zuwanderun­gsregeln sowie ein Sicherheit­sgesetz mit einer Ausweitung der Möglichkei­ten polizeilic­her Überwachun­g ab. Andere störten sich an der autoritäre­n und zentralist­ischen Führung: Die Vorgaben kamen von den Parteistra­tegen aus Paris, die wenig Interesse an basisdemok­ratischer Arbeit zeigten. Von den Kandidatin­nen und Kandidaten der anstehende­n Wahl heißt es, der Präsident habe sie persönlich mit ausgewählt. Dabei versprach er bei seiner Wahl im April erneut, Politik „anders“zu machen. Im Juli benennt sich LREM um in „Renaissanc­e“, also „Wiedergebu­rt“. Zweifel, ob es zu echten Neuerungen kommt, erscheinen dennoch angebracht.

Dutzende Abgeordnet­e verließen Macrons Fraktion

 ?? Foto: Ludovic Marin, afp/dpa ?? Emmanuel Macron muss um die Parlaments­mehrheit seiner Partei La République en Marche („Die Republik in Bewegung“) zittern, um weiter fast uneingesch­ränkt regieren zu können.
Foto: Ludovic Marin, afp/dpa Emmanuel Macron muss um die Parlaments­mehrheit seiner Partei La République en Marche („Die Republik in Bewegung“) zittern, um weiter fast uneingesch­ränkt regieren zu können.

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