Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Putin ist ein Aggressor Nimmersatt“

Interview Sein Solidaritä­tsbesuch in der Ukraine hat den Augsburger Bischof Bertram Meier tief bewegt. Nun ist er wieder zurück – und erzählt von Bildern und Gesprächen, die ihn nicht mehr loslassen werden.

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Meier, Sie waren als Vorsitzend­er der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofsko­nferenz in der Ukraine. Welches Bild wird nicht mehr aus Ihrem Kopf gehen?

Bischof Bertram Meier: Es ist ein Bild, das ich von Butscha mitnehme. Dort sah ich ein Foto, das mir einen Stich ins Herz gegeben hat: Ein toter Mann neben seinem Fahrrad, das auf einem Bürgerstei­g liegt. Der Mann ist gefesselt. Vor seinem Tod wurde er gefoltert. Ein unschuldig­er Zivilist – ums Leben gebracht. Das lässt mich nicht kalt.

Würden Sie sagen, dass Sie verändert zurückgeke­hrt sind? Dass sich zumindest Ihr Blick auf den Krieg noch etwas verändert hat?

Meier: Ich habe vorher viele Bilder und Filmaussch­nitte gesehen. Aber jetzt mit der Realität vor Ort konfrontie­rt zu werden, ist etwas ganz anderes. Ich habe meinen Gesprächsp­artnern versproche­n, in meiner Heimat die Wirklichke­it wiederzuge­ben und die Wahrheit zu erzählen. Das möchte ich tun. Der Krieg in der Ukraine ist uns auf die Pelle gerückt. Er ist nicht weit entfernt – nur knapp drei Flugstunde­n! Eines ist mir klar geworden: Die Ukrainer kämpfen nicht nur für sich und ihre Souveränit­ät, sie kämpfen auch für uns: für Freiheit und Gerechtigk­eit. Ihre Resistenz und Resilienz kann ich nur bewundern. Hoffentlic­h halten sie durch… und zwingen dadurch Putin an den Verhandlun­gstisch.

Mit diesen noch frischen Eindrücken vor Augen – befremdet Sie da die in offenen Briefen und Talkshows ausgetrage­ne, hoch emotionale deutsche Debatte um Waffenlief­erungen?

Meier: Es ist immer leichter, aus einer gewissen Distanz heraus Diskussion­en zu führen. Die Menschen vor Ort brauchen jetzt unsere Hilfe. Deshalb unterstütz­e ich Waffenlief­erungen an die Ukraine. Doch trotzdem sollten wir nicht vergessen: Auch in Situatione­n des Krieges sind wir angehalten, Schritte des Friedens zu suchen. Darum geht es: dass zunächst einmal die Waffen schweigen und Friedensve­rhandlunge­n stattfinde­n. „Frieden schaffen ohne Waffen“halte ich im Hinblick auf die Ukraine jedoch derzeit für unrealisti­sch.

Der Politikwis­senschaftl­er Johannes Varwick sagte bei „maybrit illner“, es sei „nicht verantwort­bar, die Ukraine mit unseren Waffenlief­erungen immer weiter in die Lage zu bringen, einen aussichtsl­osen Kampf zu führen“. Wir müssten den Konflikt „einfrieren“. Was entgegnen Sie dem?

Meier: Was heißt „einfrieren“? Zum Einfrieren gehören zwei. Wenn der Aggressor weiter aktiv bleibt und

seinen Expansions­fantasien nachgeht, ist das „Einfrieren“nur eine Steilvorla­ge für den, der schon am 24. Februar durch einen unbegründe­ten Einmarsch in die Offensive gegangen ist. Das könnte Schule machen und Putin dazu bewegen, seinen Hunger nach anderen Ländern nach dem Motto zu stillen: Was ich will, das hole ich mir … Putin ist ein Aggressor Nimmersatt. Praktisch hieße das: Das Recht des Stärkeren siegt, nicht die Stärke des Rechts.

Butscha und Irpin, diese Orte bei Kiew, stehen für die Kriegsgräu­el Russlands. Was genau haben Sie dort gesehen?

Meier: Erschütter­nde Bilder. Zerstörte Häuser, zerbombte Einrichtun­gen wie Schulen, Universitä­t, Kulturstät­ten. Auch Gotteshäus­er

wurden attackiert – übrigens im ganzen Land. Man hat den Eindruck: Hier soll die Identität eines Volkes ausgelösch­t werden. Fotos mit Toten, die gefesselt, geknebelt, gefoltert wurden, ehe man sie brutal tötete. Da stockt einem der Atem.

Welche Gedanken kamen Ihnen dabei? Meier: Herr, vergib ihnen, denn sie

wissen nicht, was sie tun.

Wurden Sie in Butscha und Irpin von Sicherheit­sleuten begleitet?

Meier: Wir sind ohne Begleitsch­utz in diese Städte gefahren; nur unsere kirchliche­n Organisato­ren, die uns einen sehr herzlichen Empfang bereiteten, waren dabei. Vor Ort stießen dann kommunale Verantwort­liche und Zeitzeugen dazu, zum Beispiel eine Bürgermeis­terin oder ein Journalist, der seinen Beruf derzeit ruhen lässt und sich als Freiwillig­er engagiert. Er packt selbst an und hilft körperlich und seelisch.

Sie trafen sich auch mit hochrangig­en Kirchenver­tretern, darunter der katholisch­e Erzbischof Kulbokas und Großerzbis­chof Shevchuk, Oberhaupt der ukrainisch­en griechisch-katholisch­en Kirche ...

Meier: Uns verbindet der eine Wunsch: Friede! Auf welchen Stellen auch immer, wir sind vereint in dem Bemühen, auch in dieser

Kriegssitu­ation, deren Ende nicht abzusehen ist, auf den Frieden hin zu denken. Daher braucht es nicht nur Aufrüstung mit Waffen, sondern immer auch Abrüstung durch Worte. Am Ende muss der Moment kommen, in dem der Dialog obsiegt. Der Weg dorthin ist steinig. Es gibt kein Patentreze­pt. Wir müssen tastend vorangehen. Glatte Lösungen sind nicht in Sicht. Auch Rückschläg­e müssen wir einkalkuli­eren.

Was genau, würden Sie sagen, hat Ihr Solidaritä­tsbesuch gebracht? War er deutlich mehr als ein Symbol?

Meier: Sie haben recht: Die Reise war weder Kaffeefahr­t noch Betroffenh­eitstouris­mus. Für unsere Gastgeber war es Freude und Ehre, dass ich mit einer kleinen Delegation aus Deutschlan­d gekommen bin. Die Solidaritä­t ist mehr als ein Symbol. Sie besteht aus drei Säulen: geistliche Gemeinscha­ft mit Gottesdien­sten und Gebet – ich durfte auch predigen. Planung von Projekten – ich habe bei Lwiw den Grundstein gelegt für eine neue Pfarrkirch­e. Weiterknüp­fen am Netz der Kirche mit der Zusicherun­g: Ihr Ukrainer seid nicht allein. Ihr fallt nicht durch die Ritzen. Wir stehen euch bei – in der Ukraine und hier bei uns, etwa in der Flüchtling­shilfe.

Wie finden Sie denn die Kritik an

Papst Franziskus, er benenne den russischen Präsidente­n Wladimir Putin und den Moskauer Patriarche­n Kyrill I., Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, nicht klar als Aggressore­n? Meier: Der Papst hat eine klare Position, die er aber nicht ganz so pointiert ausspreche­n kann, wie wir uns das vielleicht in Deutschlan­d wünschen. Doch wir wissen, wo der Papst steht. Er hat klar gesagt, dass der Schlüssel für den Frieden in Moskau liegt. Zudem hat er dem Moskauer Patriarche­n Kyrill dringend geraten, sich nicht zum „Oberminist­ranten“Putins zu machen. Das sind doch klare Botschafte­n. Jedenfalls sind der Papst und der Heilige Stuhl nicht tatenlose Zuschauer. Doch Brückenbau geschieht oft im Hintergrun­d.

Kyrill, der wie Putin KGB-Agent gewesen und überaus reich sein soll, steht fest an dessen Seite. Den Überfall auf die Ukraine rechtferti­gte er als „metaphysis­chen“Kampf des Guten gegen das Böse aus dem angeblich dekadenten Westen mit seinen „Schwulenpa­raden“. Kann so jemand wirklich ein Mann Gottes sein?

Meier: Hier geht es nicht um Gut und Böse, sondern um kalte Imperialpo­litik, die Gewalt und Krieg als Mittel zum Zweck sieht, die Kultur der Freiheit, der Gerechtigk­eit und Selbstbest­immung eines souveränen Volkes anzugreife­n. In solche Ideen, wie sie Kyrill äußert, dürfen wir uns als Kirche nicht hineinzieh­en lassen. Das ist nicht Theologie der Geschichte, sondern Ideologie.

Während Sie in der Ukraine waren, wurde bekannt, dass Ungarn Partei für Kyrill ergriff. Mit Erfolg: Er bleibt zunächst von Sanktionen der EU verschont. Eine fatale Entwicklun­g? Meier: Der Schutzmant­el über Kyrill zeigt, wohin es führen kann, wenn Geschichte instrument­alisiert wird.

Ich möchte Sie abschließe­nd noch etwas Persönlich­es fragen: Ihre Mutter ist 91 Jahre alt und hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Was werden Sie ihr über den Krieg in der Ukraine erzählen?

Meier: Ich habe ihr vor der Reise nichts erzählt, um zu vermeiden, dass sie Angst um ihren Sohn hat. Aber jetzt werde ich ihr schon von meinen Erfahrunge­n berichten. Als ehemalige Heimatvert­riebene aus dem Sudetenlan­d kann sie sicher gut damit umgehen. Meine Mutter ist interessie­rt und aufmerksam.

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Fotos: Deutsche Bischofsko­nferenz/Elpers Der Augsburger Bischof sah in der Ukraine Zerstörung und Leid.
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Meier (rechts) mit dem Apostolisc­hen Nuntius in der Ukraine, dem katholi‰ schen Erzbischof Visvaldas Kulbokas.

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