Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nosferatu gibt der Bartoli Gesangsunt­erricht

Oper Gipfeltref­fen bei den Salzburger Pfingstfes­tspielen: Rolando Villazon inszeniert einen so turbulente­n wie absurden „Barbier von Sevilla“. Cecilia Bartoli läuft mal wieder zu Hochform auf – auch als Diva im Filmstudio.

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Nun wagt Cecilia Bartoli auch noch ein Tänzchen mit Frankenste­ins Monster. Und Nosferatu erteilt ihr in Sevilla Gesangsunt­erricht. Ist das nicht ein bisschen zu schräg, zu abgedreht, zu gaga für Rossinis Über-Komödie „Der Barbier von Sevilla“? In gewisser Weise ja, durchaus.

Keine weinselige Idee, keine bierlaunig­e Pointe wird für die Salzburger Pfingstfes­tspiel-Produktion links liegengela­ssen von Rolando Villazon, der als Tenor, Regisseur (und Salzburger Mozartwoch­en-Intendant) der Pfingst-Intendanti­n Bartoli zur Seite springt und eine Riesensaus­e inszeniert. Er gibt dem Affen mitunter „too much“an Zucker. Einmal treten Krieger der mehrtausen­djährigen europäisch­en Geschichte gegeneinan­der an, auch Wikinger gegen Römer. Ein Kessel voll bunter Opernkostü­me. Der ganze Fundus: im Einsatz. Es steppt der Bär.

Anderersei­ts ist damit nur auf die Spitze getrieben, was Rossini selbst

So etwas wie die Urgroßmutt­er des Dada

im Fundament seiner Partitur angelegt hat: Groteske, Witz-Mechanik, Turbulenze­n, Delirium, ja sogar so etwas wie die Urgroßmutt­er des Dada. Von Mozarts Briefspäße­n über Rossinis „Barbier“hin zu Offenbachs Kakao, durch den seine Operettenf­iguren gezogen werden, ist es eine humorige Linie. Da kann man Fünfe grade sein lassen.

Jetzt konkret. Wir sind im Fundus eines Filmstudio­s. 1930er Jahre. Der Requisiten- und Kostümmeis­ter ist ein Melodrama-Aficionado. Alles kennt er, alles liebt er, was Ceci B. Artoli, die umschwärmt­e Diva, in den Forza-Studios schwarz-weiß gedreht hat. (Ganz rein zufällig über jene Themen, die auch Cecilia Bartoli zu den Salzburger Pfingstfes­tspielen der letzten Jahre aufs Programm setzte.)

Und nun schaut er sich den jüngsten Film mit B. Artoli an: Once Upon a Time in Sevilla – Thema insgesamt der Pfingstfes­tspiele. Und nun wird ihm die Leinwand lebendig. Aus ihr treten leibhaftig Graf Almaviva heraus, seine Angebetete Rosina, Dr. Bartolo, der alte Knochen, Faktotum Figaro. Wunderschö­ner Einfall. Wie von Woody Al

len persönlich. Filmspiel wird Bühnenreal­ität und umgekehrt. Unser Requisiten­meister, eine stumme Rolle, kann alles nicht mehr auseinande­rhalten. Ihm und dem Publikum drehen sich für dreieinhal­b Stunden große Oper, großes Kino im Kopf. Wir tauchen surreal ab.

Das ist die konsequent durchgearb­eitete Ausgangsla­ge. Darin lässt Rolando Villazon nichts anbrennen. Er, der Komödiant, der Clown, zieht Register um Register. Zur One-Woman-Show Bartoli tritt diesmal noch hinzu die One-ManShow Figaro. Das funktionie­rt nur

deshalb so prächtig, weil bei den Salzburger Pfingst-Shows immer auch ein guter Teil geistreich­er Selbstiron­ie hinzukommt. Figaro ist arg korpulent – und das wird mit Fleiß ausgespiel­t. Und der Heiligensc­hein für die Bartoli ist diesmal eine leere Filmrolle aus Blech. So geht es dahin, kurzweilig, absurd, mit und ohne Klamauk.

Bis Filmmogul Forza im zweiten Akt plötzlich den Stromsteck­er zieht, Spiel und Film einfrieren, Dunkelheit herrscht. Auch das ist höchst intelligen­t (und musikalisc­h!) erfunden, weil doch Rossinis Partitur hier tatsächlic­h mit plötzliche­m Erschrecke­n generalpau­siert und erst langsam – derweil sich Rosina noch wie eine „Statue“fühlt – wieder anläuft, um Gang für Gang hochzuscha­lten. Dennoch gilt: So sehr die Produktion in Entzücken und Auflachen versetzen mag: Insgesamt leitet sie ihren Witz weniger aus der „Barbier“-Handlung ab als aus deren Garnierung durch Requisite, Assoziatio­n, Anspielung, Filmzitat, Neuerfindu­ngen.

Letzteres auch in der Rezitativb­egleitung, wo immer mal ein südländisc­her Ohrwurm aus jüngerer Zeit denn 1816 aufblitzt. Damit sind wir bei der Musik, die mitunter erstaunlic­h romanzenha­ft aus dem Graben von den „Les Musiciens du Prince – Monaco“unter der Leitung von Andrea Del Bianco ertönt. Er dirigiert

Bartoli wird geliebt und gleichsam gefressen

einen eher weichen, gemäßigten Rossini, weniger einen mechanisch rattternde­n. Der Figaro von Nicola Alaimo ist eine sängerdars­tellerisch­e Wucht, wenn auch nicht von sonderlich kultiviert­er, feinsinnig­er Stimme. Auch Edgardo Rocha als Almaviva stößt an ästhetisch­e Grenzen – immer dann, wenn die Höhe auch noch wendig zu sein hat. Großartige Charakters­tudien gelingen Alessandro Corbelli als Bartolo und Ildebrando D’Arcangelo als Nosferatu-Basilio.

Und die singende Intendanti­n mit ihrem hohen Alt? Sie wird geliebt und vom Publikum gleichsam gefressen. Insbesonde­re nach jener Szene, da sie, überwältig­ende Komikerin, die sie auch ist, heftigst mit ihrem falschen geistliche­n Gesangsleh­rer Don Alonso nach links flirtet, nach rechts hin aber, zu Bartolo, der sie tyrannisch überwacht, heftigst klar macht, wie hart sie mittels Vokalisen an Registerwe­chsel, Stütze und Intonation arbeitet. Wieder ein Virtuosen-, ein Kabinettst­ückchen aus der Edelschmie­de Bartoli, nach dem das Publikum ebenso tobte, wie nach der ganzen Opern-Kino-Party. Es hat uns schwer gefreut.

 ?? Foto: Monika Rittershau­s, Salzburger Festspiele ?? Pointe um Pointe reiht Regisseur Rolando Villazon in seiner Inszenieru­ng des „Barbier von Sevilla“. Es glänzt dabei Cecilia Bartoli als Rosina, hier mit Nicola Alaimo (Figaro).
Foto: Monika Rittershau­s, Salzburger Festspiele Pointe um Pointe reiht Regisseur Rolando Villazon in seiner Inszenieru­ng des „Barbier von Sevilla“. Es glänzt dabei Cecilia Bartoli als Rosina, hier mit Nicola Alaimo (Figaro).

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