Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Frauenpower aus der zweiten Reihe
Kanuslalom Augsburger Nachwuchstalente wie Hannah Süß, Emily Apel und Franziska Hanke sind den etablierten Spitzenfahrerinnen immer dichter auf den Fersen. Beim Weltranglistenrennen gibt es sogar ein Schwestern-Duell.
Natürlich hat auch Hannah Süß mit dem Paddeln in einem Kajak-Boot begonnen, wie nahezu alle Kinder, die in die Sportart Kanuslalom „hineinschnuppern“wollen. Hannah war damals elf Jahre alt, erwies sich als großes Talent und qualifizierte sich schnell für die deutschen Schülermeisterschaften. Heute ist die Athletin von Kanu Schwaben Augsburg 18 Jahre alt, hat gerade ihr Abitur am Gymnasium Friedberg in der Tasche und gehört dem deutschen U23-Team des Deutschen Kanu Verbands (DKV) an.
Dass sie deshalb immer mal Terminprobleme bekommt, etwa mit dem Abiball oder der Abifahrt, weil zeitgleich wichtige Rennen stattfinden, akzeptiert sie. Schließlich steht für die junge Athletin, die sich für die Bundeswehr-Sportfördergruppe beworben hat, das Paddeln nun an erster Stelle. „Ich hatte einen ganz guten Start in die Saison, obwohl ich vor der nationalen Qualifikation die schriftlichen Abiprüfungen und danach die mündlichen hatte“, berichtet die junge Kanutin von ihrem eng gesteckten Zeitplan. „Dann ging es nach Italien ins Trainingslager und auch da lief es recht gut.“
Beim Weltranglistenrennen am Wochenende in Augsburg konnte Süß wie viele junge Aktive neue Erfahrungen sammeln. Das soll den Kanu-Talenten helfen, später auch den Sprung in die A-Nationalmannschaft zu schaffen. Ein anspruchsvoller Weg, der mitunter mit schweren Entscheidungen verbunden. So auch bei Hannah Süß, die sich wohl bald endgültig für eine Bootskategorie entscheiden muss.
Denn neben dem Kajakfahren fand sie immer mehr Gefallen am Canadier Einer, jener Bootklasse, die mit dem Stechpaddel gesteuert wird und die als extrem kräftezehrend gilt. Deshalb war der Canadier unter Kanutinnen lange Zeit nicht sehr beliebt.
Doch im Leistungszentrum Augsburg fanden sich immer wieder Sportlerinnen, die sich neben dem Kajak auch für den C1 begeisterten. Wie etwa Doppelstarterin Elena Lilik, ehemals Apel, von Kanu Schwaben Augsburg, die in dieser Bootsklasse 2021 Weltmeisterin wurde. Süß selbst schaffte im C1 2019 auf Anhieb den Sprung ins deutsche Ju
nioren-Nationalteam, belegte bei der EM den 14. Platz im Einzel und bei den Teamwettbewerben Platz acht.
Insgesamt haben Frauen und Mädchen im Canadier-Spitzensport aber Nachholbedarf. Erst seit 2010 ist der C1 weiblich Bestandteil des Wettkampfprogramms der International Canoe Federation (ICF), erst 2020 durften die Frauen im C1 auch bei den Olympischen Spielen starten. Der Canadier Zweier der Män
wurde zwecks Gendergerechtigkeit stattdessen aus dem olympischen Programm gestrichen. Die deutschen C1-Teams der Frauen, sowohl in der Leistungsklasse, als auch in der U23 sind im Vergleich mit der internationalen Konkurrenz bereits gut aufgestellt. Neben den Weltmeisterinnen Elena Lilik (2021) und Andrea Herzog (2019) gehören junge Fahrerinnen mit großem Potenzial wie Hannah Süß, Nele Bayn (Leipzig), Jannemien
Panzlaff und Zoe Jakob (beide Schwerte) zum Kader.
Beim Ranglistenrennen in Augsburg galt es für alle, sich einmal mit der starken Weltelite zu messen. Dabei präsentierte sich die 22-jährige Nele Bayn als beste C1-Nachwuchspaddlerin. Sie schaffte neben den Favoritinnen Lilik und Herzog den Finaleinzug und belegte dort einen hervorragenden fünften Rang. Hannah Süß musste auf der schwer gesteckten Halbfinalstrecke Lehrgeld zahlen. Sechs Strafsekunden und das verpasste Tor Nummer 20 verhinderten einen Finaleinzug.
Im Canadier wird dennoch der zukünftige Schwerpunkt von Hannah Süß liegen. Zumindest sieht das Bundestrainer Klaus Pohlen so. Die Doppelbelastung bei Sportlerinnen, die in beiden Bootskategorien an den Start gehen wollen, sieht er eher kritisch. „Die breit aufgestellte Ausbildung in der Jugend ist in Ordnung. Doch so im Alter von 15, 16 Jahren sollte man sich entscheiden. Es geht ja letztendlich darum, Leistung abzuliefern“, sagt Pohlen.
Doch nicht nur im Canadier, sondern auch im Kajak lassen junge Kanutinnen aus der zweiten Reihe aufhorchen, wie Emily Apel von Kanu Schwaben Augsburg und Franziska Hanke vom Augsburger Kajak Verner ein. Die 19-jährige Apel, die jüngere Schwester von Elena Lilik, 23, beschränkte sich von Anfang an aufs Kajak. In beiden Disziplinen an den Start zu gehen, wie ihre Schwester, sei für sie keine Option, betont Emily. „Das ist mir zu anstrengend. Ich habe großen Respekt vor meiner Schwester, dass sie das kann, aber meine Arme machen das nicht mit.“
Bei den Rennen auf ihrer Heimatstrecke lieferte Emily Apel einen starken Halbfinallauf ab, mit dem sie sich mühelos fürs Finale qualifizierte. Es sei „cool, die eigene Schwester da ein wenig herauszufordern. Auch wenn ich nicht schneller bin, aber sie ein bisschen unter Druck zu setzen, macht Spaß“, sagte die 19-Jährige nach ihrem Finaleinzug lachend und gab der großen Schwester vor Freude ein Küsschen auf den Helm. Im Finale gewann Elena Lilik trotz Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich dennoch das Schwesternduell mit Rang drei und Bronze, während Emily schon mit ihrem respektablen Platz unter den Top Ten (9. Rang) restlos zufrieden war.
Mit Franziska Hanke (Augsburger Kajak Verein) hatte eine weitere aufstrebende Nachwuchs-Paddlerin das K1-Halbfinale erreicht. Aber sie musste der kraftraubenden Strecke zum Ende hin Tribut zollen, als sie Tor 22 und 24 verpasste und auf Rang 20 ins Ziel kam. „Am ersten Tag war ich sehr zufrieden, am zweiten ist mein Wettkampf nicht gut gelaufen. Da habe ich kräftemäßig gemerkt, dass die Strecke länger und schwerer war“, sagte Hanke, die ebenso wie Apel zur starken Trainingsgruppe der Leistungsklasse mit Olympiasiegerin Ricarda Funk und Elena Lilik gehört und davon sportlich profitiert.
Ihre eigene WM in Ivrea (Italien) bestreiten die U23-Fahrerinnen Anfang Juli, doch auch bei den Titelkämpfen in Augsburg Ende Juli sind sie im Einsatz. „Das U23-Team ist für die Streckenvorfahrt eingeplant“, berichtet Franziska Hanke, „und ich freue mich sehr darauf, dass ich die WM-Strecke fahren darf und die Topsportler sehen kann.“Schließlich verfolgen die jungen Kanutinnen über Jahre hinweg akribisch ihr Ziel, bei einem solchen Großereignis selbst einmal für Deutschland an den Start gehen zu dürfen.