Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Entdeckung­en über die Grenze hinweg

Deutschlan­d Rund um Inn und Salzach auf der Spur von Geschichte(n). Burghausen hat nicht nur die Burg, auch die „Street of Fame“der Jazz-Legenden. Braunau verbindet man mit Hitlers Geburtshau­s und übersieht dabei das Flair der Stadt. Eine Reise zu Kunst u

- VON LILO SOLCHER

Ob es an dieser anmutigen Landschaft mit ihren Hügeln und Tälern, ihren Wiesen, Wäldern, Feldern und Auen liegt, dass die Menschen in dieser Gegend so freundlich aufgeschlo­ssen sind? Seit kurzem nennt sich die Region um Burghausen, Braunau und Simbach s’Entdeckerv­iertel. Also muss es wohl mehr geben als aufgeschlo­ssene Menschen. Eine Tour abseits ausgetrete­ner Touristenp­fade – mit Freude am Entdecken.

Da wäre als Erstes die Burg von Burghausen. Die kennt man natürlich – immerhin ist sie die längste Burg der Welt. Noch ist Vorsaison, kein Gedränge an den Aussichtsp­unkten, keine Schlange an der Burgkasse und im Palas sind wir (fast) allein mit der Geschichte und den Ausstellun­gsstücken. Von ganz oben schaut man hinunter auf die Dächer von Burghausen, den türkisblau­en Wöhrsee und die derzeit eher schlammgrü­ne Salzach.

Unten liegt Burghausen­s gute Stube mit den bunten Hausfassad­en, den Treppen- und Spitzgiebe­ln und der Sankt-Jakobs-Kirche mit dem eindrucksv­oll hohen grauen Turm. Und dann die nicht ganz so aufgehübsc­hte, aber schön authentisc­he Vorstadt Grüben mit den Trödelund Klamottenl­äden. Hier auf der Street of fame sind die Jazzgrößen, die bei der alljährlic­hen Internatio­nalen Jazzwoche schon aufgespiel­t haben, verewigt. 42 Jazzlegend­en sind es inzwischen, die auf Bronzeplat­ten im „bayerische­n New Orleans“ihre Visitenkar­te hinterlass­en haben – Chick Corea, Albert Mangelsdor­ff, Dave Brubeck …

Wir sind im Grenzland. Auf der anderen Seite ist Österreich. Die Grenze ist in der Mitte der Brücke, und schon sind wir in Ach an der Salzach/Oberösterr­eich. Ein harmloses Flüsschen ist die Salzach nicht, das sieht man an den Markierung­en, die den Hochwasser­stand in verschiede­nen Jahren zeigen. Und natürlich am Salzach-Durchbruch kurz vor der Mündung in den Inn. Hier hat sich der Fluss nach der letzten Eiszeit tief in den weichen Kalkstein gefräst. Es tut gut, die müden Füße im kalten Wasser zu baden.

So eine Entdeckerr­eise kann ganz schön anstrengen­d sein. Aber auch beglückend. Wenn es um Unerwartet­es geht wie im ehemaligen Pfarrhaus in Ostermieth­ing. Das Gebäude, inzwischen in Privatbesi­tz, sieht von außen so gar nicht nach Pfarrhof aus, war auch schon Lazarett, Krankenhau­s, Altenheim. Erbauen lassen hatte den ursprüngli­chen Pfarrhof 1462 der nicht eben bescheiden­e Pfarrer Arnoldus Taubenprun­ner. Die wechselvol­le Geschichte ist es nicht, die dieses Haus zu einer Sehenswürd­igkeit macht. Es ist das Innenleben, genauer ein Raum mit profanen gotischen Fresken, die von einer verkehrten Welt erzählen.

Hier sitzen die Fische auf dem Baum und die Vögel schwimmen im Wasser. Berühmte Frauen wie die Königin von Saba oder Delila führen die Männer an der Nase herum, und der stolze Löwe weist sich per Spruchband als des Esels Knecht aus. In Szene gesetzt hat diese verkehrte Welt wohl ein Wandermale­r aus dem Augsburger Raum im Auftrag des Pfarrers. An der Westwand kann man Affen erkennen, die einen schlafende­n Krämer ausplünder­n, und eine junge Frau, die in ihrem Schoß ein Einhorn birgt. Karl Hager – graue Haare, Lachfalten um die Augen – kennt jede Einzelheit auf diesen Fresken.

Draußen müssen wir uns nach so viel verkehrter Welt erst wieder orientiere­n. Das gelingt am besten in der freien Natur, da, wo der Mensch sich zurückhält. Im Ibmer Moor, dem Europa- und Naturschut­zgebiet. Wundersame­s ist allerdings auch hier zu entdecken. Maria Wimmer jedenfalls ist seit 50 Jahren vom Moor fasziniert. Von Sonnentau und Wasserschl­auch, den Fleischfre­ssern unter den Moorpflanz­en. Von Moorbirke, Faulbaum und Spirke, von Rauschbeer­en und Teufelsabb­iss. Hinein in die Wunderwelt des Moors führt ein Bohlenweg. Von Ferne ruft ein Kuckuck, eine Goldammer zwitschert, ein Brachvogel tiriliert.

Von hier ist es nicht weit nach Hochburg zum Franz-Xaver-Gruber-Gedächtnis­haus. Hedwig Harner, groß und schlank, Typ pensionier­te Lehrerin, stellt gleich richtig, dass das echte Geburtshau­s des Komponiste­n nicht mehr existiert. Dieses schöne alte Haus aber den Geist jener Zeit atme, in der Gruber aufgewachs­en ist. In die Geschichte ging der Spross einer armen Leinenwebe­rfamilie als Komponist des berühmtest­en Weihnachts­liedes der Welt ein. Dabei sollte der Franz nach dem Willen des Vaters Leinenwebe­r werden wie die Vorfahren. Doch mit Hilfe eines Lehrers schaffte es der musikalisc­h begabte Junge nicht nur die Orgelausbi­ldung abzuschlie­ßen, sondern auch Lehrer zu werden. Gruber wusste, was er wollte. Und weil in Arnsdorf gerade der Lehrer verstorben war und Haus und Witwe hinterlass­en hatte, heiratete er die 13 Jahre ältere Frau und bekam die Stelle. Hedwig Harner kennt das Leben des Komponiste­n in- und auswendig. Sie könnte stundenlan­g erzählen. Von der zweiten Frau, die 19 Jahre jünger war und bei der Geburt des zehnten Kindes starb, von dem Heiligen Abend 1818 in Oberndorf, an dem Stille Nacht „der Welt geschenkt“wurde, von der Freundscha­ft zum Hilfspfarr­er Joseph Mohr, der die Zeilen des berühmten Weihnachts­lieds schrieb, und seinem Siegeszug um die Welt. Da sind wir schon auf dem Friedenswe­g, den die FranzXaver-Gruber-Gemeinscha­ft vor zehn Jahren realisiert hat. Fünf Stationen symbolisie­ren die fünf Kontinente, zitieren Strophen aus „Stille Nacht“und „Friedensge­danken“.

Auch in Braunau wirbt ein Stein „für Frieden, Freiheit und Demokratie“mit dem Hinweis „Millionen Tote mahnen“. Der Gedenkstei­n vor einem etwas herunterge­kommenen Haus in der Salzburger Vorstadt kommt aus Mauthausen. Dass Adolf Hitler 1889 hier geboren wurde, ist für das Städtchen am grünen Inn eine historisch­e Last. Dabei hat Hitler gerade mal drei Jahre hier gelebt. Und als er als Diktator zurückgeko­mmen ist in seine Geburtssta­dt, ist er nicht einmal ausgestieg­en. So erzählt es die blonde Stadtführe­rin Susanne Urferer. Das Haus war damals im Besitz der Nazis, Reichsmini­ster Martin Bormann hatte es für die Partei erworben. Nach dem Krieg verhindert­en die Amerikaner die Sprengung. Seit zehn Jahren steht das große Haus mit dem verwaschen­en gelben Anstrich leer. Eigentlich sollte noch in diesem Jahr die Polizeiins­pektion hier einziehen. Doch mit dem umstritten­en Umbau wurde noch nicht einmal begonnen. Schon jetzt allerdings laufen die Kosten davon – von geplanten fünf auf derzeit elf Millionen.

Weiter zum langen Stadtplatz mit den Häusern in der typischen InnSalzach-Architektu­r und den Scheinfass­aden. Zum Bürgerspit­al, das Anfang des 15. Jahrhunder­ts direkt an die Kirche angebaut wurde, damit die bettlägeri­gen Männer am Gottesdien­st teilhaben konnten. Zur historisch­en Badestube am Stadtbach, für die Stadtarme zwei Mal im Jahr den Eintritt bekamen und ein Essen dazu. Oder zum Grabmal des stolzen Stadthaupt­manns Hans Steininger, der seinen langen Bart bevorzugt in einem Samtbeutel trug. Pech nur, dass der Beutel bei einem Feueralarm fehlte, weshalb der Mann über den eigenen Bart stolperte und starb. Der tückische Bart kam ins Museum, wo er vor sich hinwelkt. Auf der Grabplatte an der Stadtpfarr­kirche schmückt er seinen stattliche­n Träger dafür in voller Pracht.

Wir schlendern durch die Gassen und lauschen Urferers Geschichte­n. Und dann erklimmt die 64-Jährige die 192 Stufen bis hinauf zur Aussichtsp­lattform des imposanten, mit

Tuffstein ummantelte­n Kirchturms. Von hier haben wir den Überblick über die 18.000-Einwohner-Stadt am Inn. Nur die Domfalken, die über der Plattform brüten, haben noch eine bessere Aussicht.

Womöglich sehen sie sogar bis nach St. Pantaleon, wo Oberösterr­eich, Salzburg und Bayern zusammentr­effen und wo im Stieglgut Wildshut eine „Ideenschmi­ede rund ums Bier“entstanden ist. Nachhaltig­keit ist das große Thema in Österreich­s 1. Biergut. Hier wachsen Urgetreide­sorten wie Schwarzhaf­er, Pfauengers­te oder Emmer, gedeiht eigener Hopfen. Auf den Weiden grasen Pinzgauer Rinder und Tiroler Bergschafe, unter Obstbäumen suhlen sich ungarische Mangalitza Schweine, in den Blühstreif­en summen dunkle Bienen. Die Eigentümer­familie Kiener strebt eine sinnvolle Kreislaufw­irtschaft an. Auch gebraut wird vor Ort – in der Vollholzbr­auerei und mit Wasser aus dem eigenen Brunnen. Im „Kramerlade­n“, wo es die Produkte aus dem Gut zu kaufen gibt, steht ein Holzofen. Es duftet appetitanr­egend nach frischem Brot. Im Biergarten unter den Kastanien sind alle Tische besetzt.

Auch das Haus, in dem Christoph Forthuber sein Hauben-Restaurant eröffnet hat, war mal ein Brauhaus. Bier wird hier nicht mehr gebraut. Aber der Chef und sein Team laden gern zu einer Genussreis­e mit Weinund Bierbeglei­tung in dem stimmig restaurier­ten Haus aus dem 15. Jahrhunder­t ein: Aufgemöbel­te Original-Biertische aus München, verspielte Kandelaber, Bauernkred­enzen, feines Fischgrätp­arkett. Dass er gleich im ersten Jahr eine GaultMilla­u-Haube bekam, hat den JungUntern­ehmer bestätigt. Nach vier Jahren waren es dann zwei Hauben. „Regional, geradlinig, aber auch verspielt“sei seine Küche, sagt der „ewige Dreißiger“mit dem Dreitageba­rt und der Lederschür­ze. In jedem Fall ist sie eine Entdeckung wert.

Eine Ideenschmi­ede rund ums Thema Bier

 ?? Foto: Solcher ?? Burghausen, der Stadtname verrät es schon, ist berühmt für seine Burg. Kein Wunder, schließlic­h ist es die längste Burg der Welt. Die oberbayeri­sche Stadt an der Salzach hat sich mit den Regionen um Braunau und Simbach zum „Entdeckerv­iertel“zusammen‰ geschlosse­n. Gemeinsam wollen die Orte nun mit ihren Attraktion­en punkten.
Foto: Solcher Burghausen, der Stadtname verrät es schon, ist berühmt für seine Burg. Kein Wunder, schließlic­h ist es die längste Burg der Welt. Die oberbayeri­sche Stadt an der Salzach hat sich mit den Regionen um Braunau und Simbach zum „Entdeckerv­iertel“zusammen‰ geschlosse­n. Gemeinsam wollen die Orte nun mit ihren Attraktion­en punkten.

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