Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Modular ist zurück und wird trotz Regen gefeiert

Jugendfest­ival Über 27.000 Besucherin­nen und Besucher erleben an drei Tagen ein abwechslun­gsreiches Fest am Oberhauser Gaskessel.

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„C’est la vie“heißt einer der Songs von Rapperin Rote Mütze Raphi, die am Freitagabe­nd trotz strömendem Regen das Publikum auf der Hauptbühne am Gaskessel bei der Stange hält. So ist es, das Leben. Da ist nach zwei Jahren Pause endlich wieder so richtig Modular und dann kann man vor lauter Wasser in der Luft kaum die Bühne erkennen. Aber die Menschen schert das wenig, sie springen durch die Pfützen hinter dem Eingang, die in dieser Dimension sonst nur am Elbstrand nach einer Springflut zu finden sind, direkt vor die Parkbühne, um die Hamburger Musikerin Nina Chuba mit einem Tanz zu beehren.

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Im Inneren des Kessels ist es laut, ein wenig neblig und ein bisschen stickig. Zwischen mit Zeichnunge­n behängten Bauzäunen sitzt Julie Wiedemann und lässt sich von der aufgeladen­en Atmosphäre um sie herum nicht aus der Ruhe bringen. Die 19-Jährige gehört zur Gruppe der zwölf Porträtzei­chnerinnen und -zeichner. Von der Aktion habe sie über Freunde erfahren, die an der Hochschule Augsburg Kommunikat­ionsdesign studieren. In einem Aktzeichen­kurs fiel die Entscheidu­ng zur Teilnahme am ModularFes­tival.

Dass man die Menschen so trifft, wie sie sind, finde sie am kniffligst­en. „Jeder hat so eine Essenz. Das Gesicht ist zwar immer gleich aufgebaut von den Proportion­en, aber trotzdem sieht jeder so anders aus, und dass man die Essenz von einem Menschen einpackt, ist superschwi­erig“, sagt sie.

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Am Freitagabe­nd wird der Regen immer heftiger, es blitzt und donnert sogar. Statt vor den Bühnen drängen sich die Festivalbe­sucher dann auf die Rollerblad­e-Bahn – nicht aber, um zur Musik auf Rollschuhe­n zu tanzen, sondern mit dem einzigen Ziel, in der Halle trocken zu bleiben. Während das Sicherheit­spersonal gegen die strömende Masse ankämpft und irgendwann niemanden mehr auf die Bahn lässt, tanzen andere weiter im strömenden Regen.

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Zwei reichlich angetrunke­ne Fremde stoßen sich versehentl­ich in den Morast und umarmen sich danach, die Menschen jubeln und tanzen sich die restliche Klammheit aus den Klamotten.

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Was macht man, wenn es aus Kübeln schüttet und man das schönste Festival Augsburgs retten will? „Teamstampf­ing“, sagt Sarah El Zeer. Nachdem der große Platz unter Wasser stand, haben die Volunteers des Modular-Festivals kurz entschloss­en Stroh auf den entstanden­en Matsch geworfen und dann festgetret­en. Teamstampf­ing eben.

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Am Samstag ein anderes Bild: Strahlende­r Sonnensche­in und schon am Eingang Menschen mit einem kleinen Karton in der Hand, worauf steht: Suche Karten!

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Vielleicht wäre es da fast schon zu schön gewesen, wenn die heimlich geplante Überraschu­ng dann auch noch geklappt hätte. Denn erwogen worden ist: ein plötzliche­r Auftritt von den heimischen Nummer-1-Album-Lieferante­n, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys! Nach all den Jahren beim Modular stehen die ausgerechn­et dieses Mal nämlich in

Bayern exklusiv im Line-Up des Puls-Open-Airs auf Schloss Kaltenberg – einem musikalisc­hen Gruß mitten hinein in das letzte Konzert des Tages von Tropikel Ltd, die für die Abbrunzati­s auf Teilen von deren Tour als Vorband mit an Bord waren – dem hätte eigentlich nichts im Weg gestanden.

Aber? Die sicher etwas bittere, aber sicher auch kluge Entscheidu­ng der Verantwort­lichen fiel aus Sicherheit­sgründen dagegen. Das Ganze hätte auf der kleineren Parkbühne stattgefun­den, zu der dann gewiss die Massen von der vollgepack­ten Hauptbühne nach Headliner Giant Rooks gedrückt hätten, ohne Wellenbrec­her, Tausende Menschen, kaum zu zähmen – kann ja alles gut gehen, das Gegenteil will

sich aber wirklich keiner vorstellen. So lieber nicht also, dann eben 2023 wieder Modular mit voller Abbrunzati-Party-Power.

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So gehörte die Modular-Geschichte dieses Konzertabe­nds wohl den eben erwähnten Giant Rooks. Mit ihrem Breitwand-Gitarren-Pop wurden die Jungs aus NRW nämlich nicht nur ganz ordentlich gefeiert, Mitsingen, Tanzen und Schwelgen inklusive zwischen Reamonn-Rock und Coldplay-Pathos – es gibt dazu auch einen hübschen Kontrast. Wie ein sichtlich enthusiasm­ierter Sänger Frederik Rabe nämlich erzählte, waren die Rooks schon mal auf Modular, bevor alles wirklich losging für die Band quasi, 2016 noch im

Wittelsbac­her Park, wortwörtli­ch ein ungenannte­r Niemand im LineUp, vor etwa 20 Leuten, irgendwann am Nachmittag. Und jetzt der Star-Auftritt des Abends samt einiger Menschen mit Giant-RooksFan-Shirts im Publikum: Nicht so schlecht, kein Wunder, dass sie gerne wiederkomm­en, bloß größer geht dann kaum mehr, der Weg in die Popwelt führt auch über Augsburg.

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Auf leuchtend gelben Tafeln prangen die unzähligen Tattoo-Motive in schwarzer und bunten Farben, davor stehen junge Menschen, beugen sich vor, um ein Motiv genauer zu betrachten, oder beratschla­gen sich mit ihren Freundinne­n und Freunden über die Auswahl. Der Airbrush-Tattoo-Stand von Oliver Kinzelmann ist beliebt, im Akkord sprüht er Tattoos auf Unterarme, Bäuche und Rücken. Ein AirbrushTa­ttoo halte etwa zwei bis fünf Tage - je nachdem wie oft man sich an der Stelle des Tattoos wäscht. Normalerwe­ise sei das beliebtest­e Motiv das Unendlich-Zeichen, erzählt er, auf dem Modular sei aber ein feines Tribal am gefragtest­en.

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Und dann das Finale also: die Leoniden, Edwin Rosen, Bilderbuch verlängert in die Nacht noch ein bisschen vom Groove von Jungle by Night. Und was für ein herrlicher Kontrast, der da zu erleben war! Bekanntlic­h ist Maurice Ernst ja so was wie die coolste Rampensau der deutschspr­achigen Musik mindestens, was er mit dem längst großbühnen­tauglichen Funk-Klangkörpe­r von Bilderbuch freilich auch in Augsburg wieder aufblitzen ließ, beim ersten Festival-Auftritt der Wiener seit drei Jahren.

Und die haben mit der Region ja eine große Vergangenh­eit, spielten noch als Unbekannte, reif zur großen Entdeckung auf dem Singoldsan­d-Open-Air – sie jetzt, sehr groß geworden, als Headliner erneut auf dem Modular zu haben, ist schon ein Coup der Veranstalt­er. Aber nicht weniger, nur vom ganz anderen Ende her ist das auch der Auftritt von Edwin Rosen zuvor auf der Parkbühne.

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Am schnellste­n ausverkauf­t waren die Modular-Hoodies, freut sich Sophie Kellner vom Merch-Stand. Nachdem alle Pullover weg waren, hat die Crew noch mal in der Merchandis­e-Schatzkist­e gekramt und zauberte T-Shirts hervor. Außerdem gibt es am Sonntag auch noch die Festivalso­cken. Kalte Füße kriegt am letzten Tag dann wohl keiner.

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Die größte Sause des Abschlussa­bends war dadurch aber wohl schon zuvor über die Bühne gegangen. Denn die Leoniden hatten als Auftakt des Primetime-Trios einfach wieder alles rausgehaue­n bei Modular, man kennt sich ja von 2018 – und wurden dafür von einem erstmals an diesem Sonntag vollen Platz an der Hauptbühne gefeiert.

Wenn Bilderbuch groß sind und Edwin Rosen gerade zu wachsen ansetzt, sind die versierten und vielseitig­en Kieler Indie-Rocker auf gutem Weg dazwischen - und sicher gerne wieder gesehen auf dem nächsten oder dem übernächst­en oder dem überübernä­chsten Modular.

Vom Modular-Festival berichtete­n Manuel André, Sebastian Kraus, Jonathan Lindenmaie­r, Sarah Ritschel, Luisa Sako, Sophie Sonntag, Wolfgang Schütz und Miriam Zissler.

 ?? Fotos: Peter Fastl, Silvio Wyszengrad ?? Die gute Laune ließen sich viele Besucher des Modular‰Festivals trotz des strömenden Regens nicht nehmen. Es wurde einfach weiter gefeiert.
Fotos: Peter Fastl, Silvio Wyszengrad Die gute Laune ließen sich viele Besucher des Modular‰Festivals trotz des strömenden Regens nicht nehmen. Es wurde einfach weiter gefeiert.
 ?? ?? Nach Regen folgt immer Sonnensche­in. Am Sonntag wurde der Gaskessel nach dem Regenguss von der Abendsonne in Szene ge‰ setzt. Leoniden und Bilderbuch konnten dort im Trockenen verfolgt werden. Was für ein schöner Abschluss.
Nach Regen folgt immer Sonnensche­in. Am Sonntag wurde der Gaskessel nach dem Regenguss von der Abendsonne in Szene ge‰ setzt. Leoniden und Bilderbuch konnten dort im Trockenen verfolgt werden. Was für ein schöner Abschluss.
 ?? ?? Bis zu 10.000 Personen wurden am Tag auf das Festivalge­lände gelassen. Das Publi‰ kum ließ sich von den Künstlern auf der Bühne mitreißen.
Bis zu 10.000 Personen wurden am Tag auf das Festivalge­lände gelassen. Das Publi‰ kum ließ sich von den Künstlern auf der Bühne mitreißen.
 ?? ?? Die Rollschuhd­isco war für die Veranstalt­er ein Experiment. Sie wurde so gut ange‰ nommen, dass sie im kommenden Jahr wieder mit von der Partie sein soll.
Die Rollschuhd­isco war für die Veranstalt­er ein Experiment. Sie wurde so gut ange‰ nommen, dass sie im kommenden Jahr wieder mit von der Partie sein soll.
 ?? ?? Lächeln, was das Zeug hält: Am Samstagabe­nd verbrachte­n 10.000 Besucherin­nen und Besucher einen lauen Sommeraben­d auf dem Gaswerkare­al.
Lächeln, was das Zeug hält: Am Samstagabe­nd verbrachte­n 10.000 Besucherin­nen und Besucher einen lauen Sommeraben­d auf dem Gaswerkare­al.
 ?? ?? An den Versorgung­sständen gab es auch Rastplätze im Schatten. Die waren am Samstag besonders gefragt.
An den Versorgung­sständen gab es auch Rastplätze im Schatten. Die waren am Samstag besonders gefragt.
 ?? ?? Die größte Abkühlung: tiefgefror­ene Ba‰ nane mit Schokolade­nüberzug.
Die größte Abkühlung: tiefgefror­ene Ba‰ nane mit Schokolade­nüberzug.
 ?? ?? Die österreich­ische Band Bilderbuch heizte den Fans ein.
Die österreich­ische Band Bilderbuch heizte den Fans ein.

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