Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Modular ist zurück und wird trotz Regen gefeiert
Jugendfestival Über 27.000 Besucherinnen und Besucher erleben an drei Tagen ein abwechslungsreiches Fest am Oberhauser Gaskessel.
„C’est la vie“heißt einer der Songs von Rapperin Rote Mütze Raphi, die am Freitagabend trotz strömendem Regen das Publikum auf der Hauptbühne am Gaskessel bei der Stange hält. So ist es, das Leben. Da ist nach zwei Jahren Pause endlich wieder so richtig Modular und dann kann man vor lauter Wasser in der Luft kaum die Bühne erkennen. Aber die Menschen schert das wenig, sie springen durch die Pfützen hinter dem Eingang, die in dieser Dimension sonst nur am Elbstrand nach einer Springflut zu finden sind, direkt vor die Parkbühne, um die Hamburger Musikerin Nina Chuba mit einem Tanz zu beehren.
***
Im Inneren des Kessels ist es laut, ein wenig neblig und ein bisschen stickig. Zwischen mit Zeichnungen behängten Bauzäunen sitzt Julie Wiedemann und lässt sich von der aufgeladenen Atmosphäre um sie herum nicht aus der Ruhe bringen. Die 19-Jährige gehört zur Gruppe der zwölf Porträtzeichnerinnen und -zeichner. Von der Aktion habe sie über Freunde erfahren, die an der Hochschule Augsburg Kommunikationsdesign studieren. In einem Aktzeichenkurs fiel die Entscheidung zur Teilnahme am ModularFestival.
Dass man die Menschen so trifft, wie sie sind, finde sie am kniffligsten. „Jeder hat so eine Essenz. Das Gesicht ist zwar immer gleich aufgebaut von den Proportionen, aber trotzdem sieht jeder so anders aus, und dass man die Essenz von einem Menschen einpackt, ist superschwierig“, sagt sie.
***
Am Freitagabend wird der Regen immer heftiger, es blitzt und donnert sogar. Statt vor den Bühnen drängen sich die Festivalbesucher dann auf die Rollerblade-Bahn – nicht aber, um zur Musik auf Rollschuhen zu tanzen, sondern mit dem einzigen Ziel, in der Halle trocken zu bleiben. Während das Sicherheitspersonal gegen die strömende Masse ankämpft und irgendwann niemanden mehr auf die Bahn lässt, tanzen andere weiter im strömenden Regen.
***
Zwei reichlich angetrunkene Fremde stoßen sich versehentlich in den Morast und umarmen sich danach, die Menschen jubeln und tanzen sich die restliche Klammheit aus den Klamotten.
***
Was macht man, wenn es aus Kübeln schüttet und man das schönste Festival Augsburgs retten will? „Teamstampfing“, sagt Sarah El Zeer. Nachdem der große Platz unter Wasser stand, haben die Volunteers des Modular-Festivals kurz entschlossen Stroh auf den entstandenen Matsch geworfen und dann festgetreten. Teamstampfing eben.
***
Am Samstag ein anderes Bild: Strahlender Sonnenschein und schon am Eingang Menschen mit einem kleinen Karton in der Hand, worauf steht: Suche Karten!
***
Vielleicht wäre es da fast schon zu schön gewesen, wenn die heimlich geplante Überraschung dann auch noch geklappt hätte. Denn erwogen worden ist: ein plötzlicher Auftritt von den heimischen Nummer-1-Album-Lieferanten, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys! Nach all den Jahren beim Modular stehen die ausgerechnet dieses Mal nämlich in
Bayern exklusiv im Line-Up des Puls-Open-Airs auf Schloss Kaltenberg – einem musikalischen Gruß mitten hinein in das letzte Konzert des Tages von Tropikel Ltd, die für die Abbrunzatis auf Teilen von deren Tour als Vorband mit an Bord waren – dem hätte eigentlich nichts im Weg gestanden.
Aber? Die sicher etwas bittere, aber sicher auch kluge Entscheidung der Verantwortlichen fiel aus Sicherheitsgründen dagegen. Das Ganze hätte auf der kleineren Parkbühne stattgefunden, zu der dann gewiss die Massen von der vollgepackten Hauptbühne nach Headliner Giant Rooks gedrückt hätten, ohne Wellenbrecher, Tausende Menschen, kaum zu zähmen – kann ja alles gut gehen, das Gegenteil will
sich aber wirklich keiner vorstellen. So lieber nicht also, dann eben 2023 wieder Modular mit voller Abbrunzati-Party-Power.
***
So gehörte die Modular-Geschichte dieses Konzertabends wohl den eben erwähnten Giant Rooks. Mit ihrem Breitwand-Gitarren-Pop wurden die Jungs aus NRW nämlich nicht nur ganz ordentlich gefeiert, Mitsingen, Tanzen und Schwelgen inklusive zwischen Reamonn-Rock und Coldplay-Pathos – es gibt dazu auch einen hübschen Kontrast. Wie ein sichtlich enthusiasmierter Sänger Frederik Rabe nämlich erzählte, waren die Rooks schon mal auf Modular, bevor alles wirklich losging für die Band quasi, 2016 noch im
Wittelsbacher Park, wortwörtlich ein ungenannter Niemand im LineUp, vor etwa 20 Leuten, irgendwann am Nachmittag. Und jetzt der Star-Auftritt des Abends samt einiger Menschen mit Giant-RooksFan-Shirts im Publikum: Nicht so schlecht, kein Wunder, dass sie gerne wiederkommen, bloß größer geht dann kaum mehr, der Weg in die Popwelt führt auch über Augsburg.
***
Auf leuchtend gelben Tafeln prangen die unzähligen Tattoo-Motive in schwarzer und bunten Farben, davor stehen junge Menschen, beugen sich vor, um ein Motiv genauer zu betrachten, oder beratschlagen sich mit ihren Freundinnen und Freunden über die Auswahl. Der Airbrush-Tattoo-Stand von Oliver Kinzelmann ist beliebt, im Akkord sprüht er Tattoos auf Unterarme, Bäuche und Rücken. Ein AirbrushTattoo halte etwa zwei bis fünf Tage - je nachdem wie oft man sich an der Stelle des Tattoos wäscht. Normalerweise sei das beliebteste Motiv das Unendlich-Zeichen, erzählt er, auf dem Modular sei aber ein feines Tribal am gefragtesten.
***
Und dann das Finale also: die Leoniden, Edwin Rosen, Bilderbuch verlängert in die Nacht noch ein bisschen vom Groove von Jungle by Night. Und was für ein herrlicher Kontrast, der da zu erleben war! Bekanntlich ist Maurice Ernst ja so was wie die coolste Rampensau der deutschsprachigen Musik mindestens, was er mit dem längst großbühnentauglichen Funk-Klangkörper von Bilderbuch freilich auch in Augsburg wieder aufblitzen ließ, beim ersten Festival-Auftritt der Wiener seit drei Jahren.
Und die haben mit der Region ja eine große Vergangenheit, spielten noch als Unbekannte, reif zur großen Entdeckung auf dem Singoldsand-Open-Air – sie jetzt, sehr groß geworden, als Headliner erneut auf dem Modular zu haben, ist schon ein Coup der Veranstalter. Aber nicht weniger, nur vom ganz anderen Ende her ist das auch der Auftritt von Edwin Rosen zuvor auf der Parkbühne.
***
Am schnellsten ausverkauft waren die Modular-Hoodies, freut sich Sophie Kellner vom Merch-Stand. Nachdem alle Pullover weg waren, hat die Crew noch mal in der Merchandise-Schatzkiste gekramt und zauberte T-Shirts hervor. Außerdem gibt es am Sonntag auch noch die Festivalsocken. Kalte Füße kriegt am letzten Tag dann wohl keiner.
***
Die größte Sause des Abschlussabends war dadurch aber wohl schon zuvor über die Bühne gegangen. Denn die Leoniden hatten als Auftakt des Primetime-Trios einfach wieder alles rausgehauen bei Modular, man kennt sich ja von 2018 – und wurden dafür von einem erstmals an diesem Sonntag vollen Platz an der Hauptbühne gefeiert.
Wenn Bilderbuch groß sind und Edwin Rosen gerade zu wachsen ansetzt, sind die versierten und vielseitigen Kieler Indie-Rocker auf gutem Weg dazwischen - und sicher gerne wieder gesehen auf dem nächsten oder dem übernächsten oder dem überübernächsten Modular.
Vom Modular-Festival berichteten Manuel André, Sebastian Kraus, Jonathan Lindenmaier, Sarah Ritschel, Luisa Sako, Sophie Sonntag, Wolfgang Schütz und Miriam Zissler.