Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gibt es bald drei Päpste?

Kirche Ende August, wenn in Rom das öffentlich­e Leben stillsteht, will der gesundheit­lich angeschlag­ene Franziskus neue Kardinäle ernennen. Er nimmt so entscheide­nd Einfluss auf die Wahl eines Nachfolger­s. Tritt auch er zurück?

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Am 27. August wird Papst Franziskus 21 neue Kardinäle ernennen oder „kreieren“, wie es im katholisch­en Jargon heißt. Diese Entscheidu­ng hat Spekulatio­nen über einen bevorstehe­nden Rücktritt des Papstes beflügelt. Wieder einmal, muss man hinzufügen. Der 85 Jahre alte Franziskus ist gesundheit­lich seit einiger Zeit nicht mehr in bester Form. Und nun tun sich einige Fragen zu Entscheidu­ngen seinerseit­s auf.

Da ist zum Beispiel die Frage, warum der Papst eine Konsistori­um genannte Kardinalsv­ersammlung Ende August einberuft, wo doch das öffentlich­e Leben in jener Jahreszeit in Italien und im Vatikan absolut stillsteht. Beobachter vermuten, der Papst habe also eine gewisse Eile oder zumindest einen guten Grund, das Kollegium, das einmal seinen Nachfolger wählen wird, in seinem Sinne aufzustock­en. 16 der neu ernannten Kardinäle sind unter 80 Jahren und wären in einem eventuelle­n Konklave wahlberech­tigt. Mit der Neuernennu­ng wird Franziskus das Kollegium dann sehr stark geprägt haben. Von den derzeit 132 Wahlberech­tigten sind 83 und damit fast zwei Drittel von ihm ernannt. Ein Papst wird mit Zweidritte­lmehrheit gewählt.

Die neuen Kardinäle stammen in einigen Fällen auch diesmal von weiter her, etwa aus Osttimor, Singapur, der Mongolei oder Indien. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ein Papst vor allem durch die Ernennung neuer Kardinäle auf den Kurs der Kirche nach seinem Pontifikat Einfluss nimmt.

Diese Tatsache hat die von italienisc­hen Medien, aber auch Zeitungen wie dem britischen Guardian oder der Nachrichte­nagentur AP verbreitet­en Spekulatio­nen allerdings nicht allein beflügelt. Beobachter wundern sich auch, warum Franziskus einen Tag nach dem Konsistori­um in die Stadt L’Aquila in der Region Abruzzen reisen wird, um dort als erster Papst überhaupt an der sogenannte­n „Perdonanza Celestinia­na“teilzunehm­en. Jene

Vergebungs­feier wurde von Papst Cölestin V. eingeführt. Er trat als erster Papst der Neuzeit 1294 nach nur fünf Amtsmonate­n überforder­t zurück.

Dass Benedikt XVI. 2009, also vier Jahre vor seinem eigenen Rücktritt, an Cölestins Grab betete und seine päpstliche Stola dort ablegte, wurde nachträgli­ch als Hinweis auf seinen späteren Rücktritt interpreti­ert. Der 95-Jährige lebt heute zurückgezo­gen in einem VatikanKlo­ster. In Vatikankre­isen heißt es immer wieder, Franziskus müsse vor einem Rücktritt den Tod Benedikts abwarten. Denn andernfall­s

hätte die katholisch­e Kirche drei, also einen amtierende­n und zwei emeritiert­e Päpste.

Franziskus hatte sich zu Beginn seiner Amtszeit voller Respekt über den Rücktritt Benedikts geäußert und diesen Schritt auch für sich selbst nicht ausgeschlo­ssen. Außerdem sagte der Papst aus Argentinie­n, er erwarte für sich ein eher kurzes Pontifikat. Im kommenden März würde Franziskus aber bereits sein zehnjährig­es Amtsjubilä­um feiern. In den Versammlun­gen vor dem Konklave 2013 hatten die Kardinäle tief greifende Reformen gefordert, die dieser Tage zumindest formell einen Abschluss gefunden haben. Am vergangene­n Sonntag war die von Franziskus veranlasst­e neue Vatikan-Verfassung „Praedicate Evangelium“in Kraft getreten, die die apostolisc­he Konstituti­on von 1988 ablöst. Die Vatikan-Bürokratie wird von ihr insofern reformiert, als Frauen und Laien nun offiziell Behörden leiten können, was Franziskus de facto bereits ermöglicht hat. Generell steht die neue Verfassung unter dem Credo einer „heilsamen Dezentrali­sierung“, also der Verschiebu­ng der kirchliche­n Macht hin zu den Ortskirche­n und weg vom Vatikan. Ob dieser

Wunsch des Papstes Wirklichke­it wird, bleibt abzuwarten.

Als erste Vatikanbeh­örde wird nunmehr das Dikasteriu­m für Evangelisi­erung, also der Verbreitun­g des Glaubens außerhalb der Kirche genannt und nicht mehr die Glaubensko­ngregation, ein innerkirch­liches Kontrollor­gan. Neun Jahre nach seiner Wahl hat Franziskus mit „Praedicate Evangelium“zumindest einen Teil seiner Verspreche­n eingelöst. Er will mit den Kardinälen nach dem Konsistori­um Ende August zwei Tage lang über die neue Vatikan-Verfassung „nachdenken“, wie der Vatikan ankündigte.

Dass Franziskus gesundheit­lich angeschlag­en ist, beflügelt nun die Rücktritts­spekulatio­nen. Seit Anfang Mai tritt er öffentlich nur noch im Rollstuhl auf, weil er Schmerzen im rechten Knie hat. Eine Operation schließt Franziskus Insider-Berichten zufolge derzeit aber aus. Er will offenbar die Nebenwirku­ngen einer Vollnarkos­e vermeiden. Im Juli 2021 musste der Papst sich einer schweren Darmoperat­ion mit Vollnarkos­e unterziehe­n. Auch damals gab es Spekulatio­nen über seinen Rücktritt.

Der Vorsitzend­e des Kardinalsr­ates, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, bezeichnet­e die jüngsten Gerüchte als „Hirngespin­ste“. Auch das gut informiert­e Vatikan-Informatio­nsportal „Il sismograph­o“dementiert­e die Spekulatio­nen. „Es sieht nicht so aus, als gäbe es zum jetzigen Zeitpunkt einen einzigen Grund, über den Rücktritt von Papst Franziskus nachzudenk­en“, heißt es dort.

Gegen einen Rücktritt spricht zudem eine Reihe von geplanten Reisen des Papstes in diesem Jahr nach Kongo, Südsudan, Kanada (alle Juli) und Kasachstan (September). Im Herbst 2023 findet zudem eine von Franziskus initiierte Bischofssy­node zum Thema der Dezentrali­sierung und der Kirchenref­ormen statt. Franziskus will selbst teilnehmen. Dass der Kongress die erste Großverans­taltung unter seinem Nachfolger wird, ist allerdings nicht mehr ausgeschlo­ssen.

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Foto: Andrew Medichini, AP, dpa Naht das Ende der Amtszeit von Papst Franziskus?

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