Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Noch brennt das Licht in Downing Street 10

Großbritan­nien Die politische Zukunft von Premier Johnson ist ungewiss. Über eine Nachfolge wird bereits spekuliert.

- VON SUSANNE EBNER

London Zwei Tage nach den Paraden und Straßenfes­ten anlässlich des 70. Thronjubil­äums der Queen zierten gestern immer noch kleine Wimpel, bedruckt mit dem Muster des Union Jacks, das britische Regierungs­gebäude in der Downing Street 10. Zum Feiern war Boris Johnson allerdings sicherlich nicht zumute. Schließlic­h hat der 57-jährige Politiker, an dem Skandale lange Zeit abperlten wie an einer Teflonpfan­ne, am Vorabend die größte Schlappe seiner politische­n Karriere erlebt.

Der britische Premiermin­ister konnte das kurzfristi­g gegen ihn angesetzte Misstrauen­svotum am Montagaben­d nur knapp für sich entscheide­n. 41 Prozent der konservati­ven Abgeordnet­en sprachen sich dafür aus, dass er geht. Das Ergebnis übertraf die schlimmste­n Befürchtun­gen seiner Unterstütz­er und lässt den konservati­ven Parteichef „verwundet“zurück, wie die britische Tageszeitu­ng i gestern titelte. Er sei nun „der kranke Mann in der Downing Street“. Die sonst regierungs­freundlich­e britische Tageszeitu­ng The Daily Mirror schrieb: „Die Party ist vorbei, Boris“und „die Uhr tickt“.

Boris Johnson selbst wollte davon nichts wissen. Er gab sich gestern gewohnt kämpferisc­h und bezeichnet­e das Ergebnis als „sehr gut” für die Politik und für das Land. Es bedeute, dass sich die Regierung endlich auf die Dinge konzentrie­ren könne, die für die Menschen wirklich wichtig seien. Dabei bezog er sich unter anderem auf die steigenden Lebenshalt­ungskosten und den Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine. Justizmini­ster Dominic Raab äußerte sich ähnlich: „Das Wichtigste ist, dass wir das Ergebnis akzeptiere­n und weitermach­en“, betonte dieser gestern.

Nach einem Weiter-so für Johnson sieht es Experten zufolge allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Dass sich so viele Torys gegen ihn ausgesproc­hen hätten, sei Ausdruck dafür, dass ihn viele mittlerwei­le als untragbare Belastung für die Partei wahrnehmen würden, kommentier­t die britische Tageszeitu­ng The Independen­t die jüngsten Entwicklun­gen. Hinter den Kulissen von Westminste­r formiert sich eine immer größer werdende Revolte gegen den Premiermin­ister. Seine Gegner wollen die Tatsache, dass er im Zuge des Misstrauen­svotums für ein Jahr vor einer erneuten Abstimmung geschützt ist, nicht akzeptiere­n und zur Not die Regeln ändern.

Die regierungs­kritische Tageszeitu­ng The Guardian verwies außerdem darauf, dass es nach einem

Misstrauen­svotum erfahrungs­gemäß nur eine Frage der Zeit sei, bis der Premiermin­ister schließlic­h endgültig aus dem Amt gedrängt wird. Das habe man unter anderem im Fall von Theresa May gesehen, die eine solche Abstimmung Ende 2018 überstand, nur um rund fünf Monate später schließlic­h ihren Hut zu nehmen. Medien sprachen von einem „langsamen Tod“Johnsons, „dem Anfang vom Ende“.

Die Krise des Premiermin­isters ist die Folge der Skandale um Partys in der Downing Street während des

Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021, von denen dieser erst nichts gewusst haben wollte und sie dann angeblich für Arbeitstre­ffen hielt, obwohl Fotos belegen, dass er dabei war und mitgefeier­t hat. Johnson entschuldi­gte sich zwar immer wieder für die Veranstalt­ungen, vermittelt­e Experten zufolge jedoch gleichzeit­ig, dass er eigentlich nichts falsch gemacht habe – und das, obwohl ihn die Mehrheit der Bevölkerun­g Umfragen zufolge als Lügner bezeichnet­e.

Als wäre dies nicht genug, wurden die Nerven der konservati­ven Abgeordnet­en während der Feierlichk­eiten anlässlich des 70. Thronjubil­äums der Queen weiter strapazier­t. Als Johnson mit seiner Frau Carrie zu einem Dankgottes­dienst zu Ehren der Queen in der St.-Paul’s-Kathedrale am vergangene­n Freitag ankam, wurde der Jubel schnell von einer Welle von Buhrufen übertönt. Vor den Augen von Milliarden von Zuschauern weltweit.

Dementspre­chend lauter werden auch die Debatten um einen möglichen Nachfolger. Der vormalige Top-Kandidat, Finanzmini­ster Rishi Sunak, ist vorerst aus dem Rennen. Er soll Steuern hinterzoge­n haben. Als Anwärter gelten unter anderem die Außenminis­terin Liz Truss, Tom Tugendhat, der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Unterhaus, sowie Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace. Noch ist jedoch Boris Johnson Premiermin­ister, und der wird so lange an seinem Amt festhalten, wie er kann – trotz seiner tiefen Wunden.

 ?? Foto: Kirsty O’Connor, PA Wire, dpa ?? Downing Street 10 am Tag nach der Abstimmung: Der britische Premiermin­ister Boris Johnson hat ein Misstrauen­svotum in sei‰ ner konservati­ven Fraktion überstande­n.
Foto: Kirsty O’Connor, PA Wire, dpa Downing Street 10 am Tag nach der Abstimmung: Der britische Premiermin­ister Boris Johnson hat ein Misstrauen­svotum in sei‰ ner konservati­ven Fraktion überstande­n.

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