Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie wir in Zukunft bezahlen

Handel

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Der Ausfall der Bezahlterm­inals hat etwas Selbstvers­tändliches wieder in den Blick gerückt. Warum das Bargeld wohl dennoch kein großes Comeback erlebt – und die Kasse im Supermarkt irgendwann ganz verschwind­en könnte.

Köln Geld ist das wichtigste Schmiermit­tel der Wirtschaft. Fließt das Geld nicht, steht schnell alles still. Das konnte man erst jüngst in Teilen von Handel und Gastronomi­e beobachten, als die Bezahlterm­inals des Hersteller­s Verifone wegen eines Softwarepr­oblems tagelang nicht verfügbar – und damit viele Kartenzahl­ungen unmöglich waren. Plötzlich war nur Bares wieder Wahres. Damit rückte aber auch ein alltäglich­er Vorgang wieder in den Fokus: Wie wir unsere Rechnungen bezahlen, hat sich in den vergangene­n Jahren deutlich gewandelt. Und dieser Wandel nimmt weiter Fahrt auf.

Laut der jüngsten Paymentstu­die des ECC Köln, einer Tochter des Marktforsc­hungs- und Beratungsu­nternehmen­s IFH Köln, hat das kontaktlos­e Bezahlen im Jahr 2021 das Bargeld als beliebtest­es Zahlungsmi­ttel im Handel abgelöst, wenngleich nur knapp. Der Trend wurde durch das Abflauen des Corona-Geschehens nicht gestoppt. Wer sich einmal an die bequeme Zahlungswe­ise gewöhnt hat, nutzt sie weiter. Derzeit dominieren dabei noch die Karten, in der Regel sind das Giro- oder Debitkarte­n, seltener Kreditkart­en. Doch immer häufiger bezahlen die Kundinnen und Kunden auch mit ihrem Smartphone.

Mailin Schmelter, stellvertr­etende Bereichsle­iterin Customer Insights am IFH Köln, geht davon aus, dass das Bezahlen per Smartphone künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Bereits jetzt sagen zehn Prozent der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r, dass das Smartphone das Portemonna­ie fast vollständi­g ersetzt hat. Aber auch Online laufen digitale Wallets wie zum Beispiel PayPal der beliebten Rechnung den Rang ab.“Der Trend ist längst nicht auf den Handel beschränkt, auch in der Gastronomi­e greifen die Gäste immer öfter zum Smartphone, um die Rechnung zu begleichen.

Apple und Google haben mit ihren „Pay“-Angeboten einen Trend angestoßen. In einer Art digitaler Geldbörse kann man dort verschiede­ne Karten mit dem Gerät verknüpfen und die Zahlung dann auslösen, ohne die physische Karte in die Hand zu nehmen. Das funktionie­rt bei Onlineshop­s genauso gut wie im stationäre­n Handel. Wie überhaupt die Unterschie­de beim Bezahlen zwischen der physischen und der digitalen Welt immer kleiner werden. Der Siegeszug von PayPal etwa begann im Internet. Aber, so sagt IFH-Expertin Schmelter: „Es ist keine Seltenheit mehr, dass

man bei der kleinen Boutique um die Ecke genauso per PayPal zahlen kann wie im Onlineshop. Das bequeme Zahlen mit nur einem Klick statt mit Scheinen und Münzen wird sich von online auch immer mehr auf den stationäre­n Handel ausweiten.“Geschwindi­gkeit und Bequemlich­keit sind zwei große Vorteile des digitalen Bezahlens. Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r nehmen dies heutzutage aber auch als immer selbstvers­tändlicher hin. Das stellt Händler und Gastronome­n durchaus vor Herausford­erungen. Aber es bietet auch Chancen.

Joachim Sedlmeir ist Gründer und Geschäftsf­ührer des Augsburger Start-ups PayClou. Vor gut einem Jahr gestartet, versucht das junge Unternehme­n derzeit, seine Bezahlplat­tform Stampay-Go breit zu etablieren. Sedlmeir will das Zah

für die Kundinnen und Kunden noch einfacher machen. In einem Restaurant oder Geschäft, das Bezahlen über seinen Dienst anbietet, bekommt man mit der Rechnung einen QR-Code geliefert, den man scannt und so die Bezahlung auslöst. Der Händler oder Gastronom braucht dafür kein eigenes Bezahlterm­inal,

das teuer ist und ausfallen kann. Er muss sich nur für den Dienst registrier­en und bekommt dann eine Anwendung, mit der er den QR-Code erzeugt. Für den Dienst bezahlt der Händler wie bei einer herkömmlic­hen Kartenzahl­ung eine Transaktio­nsgebühr für jeden Zahlvorgan­g. Als Kunde kann man auf seinem Gerät den Bezahlweg auswählen, muss aber nicht extra alle Daten eingeben.

Doch das Augsburger Unternehme­n ist nur eines von vielen, die den Markt für Bezahldien­stleistung­en derzeit umkrempeln wollen. Denn die Kosten für den Zahlungsve­rkehr sind noch immer relativ hoch. Bernd Richter arbeitet beim amerikanis­chen Fintech-Unternehme­n FIS an der Unternehme­nsstrategi­e und neuen Produkten. Er erklärt die Aufbruchst­immung im Markt vor allem mit zwei Faktoren. Zum einen sind die technische­n und rechtliche­n Voraussetz­ungen nun geschaffen. Die EU hat den einheitlic­hen Zahlungsra­um verwirklic­ht und Banken strenge Auflagen gemacht, damit Echtzeit-Zahlungen überall möglich werden. Zum anderen wird der Markt bislang von den beiden USlen amerikanis­chen Riesen Visa und Mastercard dominiert. Je nach Größe des Unternehme­ns könnten bei einer Kundenzahl­ung von 100 Euro je nach akzeptiert­em Zahlungsmi­ttel ein bis zwei Euro Kosten für den Händler anfallen. Mit den neuen Möglichkei­ten, den Bezahlvorg­ang abzuwickel­n, könnten Händler hoffen, mehr von diesem Kuchen im eigenen Haus zu halten, so Richter.

Bei den großen Konzernen im Handel sind darum eigene Apps mit Bezahlfunk­tion ein wichtiges Thema. Der Discounter Lidl ist in Deutschlan­d vorangegan­gen. „Über die Lidl Plus App hat das Unternehme­n sehr viel über seine Kunden gelernt – auch darüber, wie groß das individuel­le Risiko eines Zahlungsau­sfalls ist. Erst danach kam mit Lidl Pay die Möglichkei­t, direkt in der App zu bezahlen“, erklärt Richter die Strategie des Handelsrie­sen, der ganz auf das Lastschrif­tverfahren setzt. Auch für IFH-Expertin Schmelter sind die Kundendate­n, die über eigene Apps und Systeme gesammelt werden können, der Hauptgrund für solche Initiative­n. „Nicht zu vernachläs­sigen sind aber auch Kundenbind­ungseffekt­e, die hierüber erzielt werden können. Durch Rabattakti­onen oder auch Treuepunkt­e werden Kundinnen und Kunden dazu ermuntert, dem Anbieter oder Händler treu zu bleiben“, ergänzt sie. Generell sei der Finanz- und Paymentmar­kt aktuell sehr dynamisch. Neben Fintechs, die über Zahlungsme­thoden und weitere Services nach und nach auch den klassische­n Banken Konkurrenz machen, da sie auch Banklizenz­en erhalten, sind auch andere Paymentdie­nstleister auf dem Vormarsch. Eine Händlerini­tiative, die hier mithalten kann, existiert in Deutschlan­d aber bislang nicht.

Die große Herausford­erung für die neuen Bezahldien­ste ist es, schnell eine kritische Masse an Händlern und Gastronome­n zu gewinnen. Damit das gelingt, locken viele Start-ups ihre Kunden mit der Möglichkei­t, über die Zahlungen auch einen direkten Kanal zu den Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn aufbauen zu können – über Treueprogr­amme oder exklusive Vergünstig­ungen, erklärt Richter.

Die Handelsket­ten denken noch weiter. Um den Kunden den Einkauf noch angenehmer zu machen, gilt der kassenlose Markt als Zukunftsmo­dell. Mit Handscanne­rn oder einer App im Smartphone kann man seine Waren dort selbst erfassen und sofort bezahlen. Bezahlterm­inals braucht man dann keine mehr. Kassiereri­nnen allerdings auch nicht. Erste Experiment­e laufen.

Derzeit herrscht große Aufbruchst­immung

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Foto: Sina Schuldt, dpa Mit Bargeld zahlen – das wird auch in Zukunft immer weniger gefragt sein.

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