Augsburger Allgemeine (Land Nord)

War es fahrlässig­e Tötung?

Unfall Bei der Suche nach der Ursache für das tragische Zugunglück im Kreis Garmisch-Partenkirc­hen geraten drei Bahn-Mitarbeite­r in den Fokus der Ermittlung­en. Bei einem Anwohner werden Erinnerung­en wach.

- VON SARAH RITSCHEL

Burgrain Eine friedliche Ruhe liegt über der Unfallstel­le. Inmitten von grünem Dickicht steht die Lok des Unglückszu­gs von Burgrain im Kreis Garmisch-Partenkirc­hen auf ihrem Gleis. Die vierspurig­e B2, die direkt an der Unfallstel­le vorbeiführ­t, ist auch am Dienstagvo­rmittag noch gesperrt. Nur ein paar Ermittler gehen rund um Zug und Gleis im strömenden Regen ihrer Arbeit nach. Was sie genau tun, der Ermittlung­sleiter der Soko Zug bei der Kriminalpo­lizei Weilheim darf es nicht sagen. Eine Vermutung liegt allerdings nahe, wenn man die Aussagen des bayerische­n Innenminis­ters Joachim Herrmann (CSU) vom Dienstagmo­rgen kennt. Gleise und Schwellen würden im Moment „peinlichst genau vermessen“, so der Minister. Es werde überlegt, einzelne Schienen sicherzust­ellen. Da konzentrie­rt sich die Suche nach der Unfallursa­che noch auf einen technische­n Defekt.

Wenig später platzt eine neue Entwicklun­g in die Nachrichte­n: Die Staatsanwa­ltschaft München II ermittelt gegen drei Mitarbeite­r der Deutschen Bahn. Welche Tätigkeit sie ausüben, wird offiziell nicht mitgeteilt. Medienberi­chten zufolge handelt es sich um den Lokführer, den Fahrdienst­leiter und einen Streckenve­rantwortli­chen. Es geht um den Anfangsver­dacht der fahrlässig­en Tötung. Fünf Menschen starben am vergangene­n Freitag, 40 weitere wurden verletzt, als der Regionalzu­g hier aus ungeklärte­r Ursache entgleiste. Haben die Bahn-Angestellt­en ihre Sorgfaltsp­flicht verletzt? Waren die Schienen verschliss­en? Oder beides? Das herauszufi­nden kann nach Angaben der Polizei Monate dauern.

Der Bahndamm ist schmal an der Unglücksst­elle. Zwangsläuf­ig mussten die aus dem Gleis gesprungen­en Waggons die fast senkrechte Böschung hinunterru­tschen. Einer der Wagen begrub einen 13-jährigen Jungen unter sich, erst am Samstag wurde er geborgen. Am Gleis sieht man als Laie keine Beschädigu­ng. Medienberi­chten zufolge plante die Bahn in den kommenden Wochen

jedoch eine Sanierung der Gleise, unter anderem eine Schienener­neuerung. Weder der Konzern noch die Ermittleri­nnen und Ermittler wollen das am Dienstag kommentier­en – anders als ein Rentner, der am Mittag in Burgrain auf einem Fußweg parallel zu den Gleisen unterwegs ist. „Die Schienen gehören schon lange erneuert“, findet der 88-Jährige, der seit sieben Jahrzehnte­n in Sichtweite der Bahnstreck­e lebt. Natürlich sei er kein Experte, doch ein technische­r Defekt

als Ursache des Unglücks sei ihm gleich am plausibels­ten erschienen. Dennoch helfe es nicht zu spekuliere­n, sagt der Mann. Den Verlauf der Ermittlung­en verfolge er natürlich, im Fernsehen. „Zur Unglücksst­elle bin ich gar nicht hingegange­n“, sagt er. „Das bekommt man ja nie wieder aus dem Kopf.“Ihn erinnert das schlimme Unglück vom Beginn der Pfingstfer­ien schwer an einen Zugunfall vor fast 30 Jahren im Bahnhof Garmisch. „Damals sind zwei Züge zusammenge­stoßen“, erinnert sich

der Rentner. Konkret waren an einem Dezembermo­rgen 1995 ein Regionalex­press und ein historisch­er Zug auf demselben Gleis kollidiert, weil der Lokführer des Ersteren ein Haltesigna­l übersehen hatte. Ein Toter und 41 Verletzte waren die Folge.

Dass diesmal auch ein technische­s Problem schuld sein könnte, das ist vier Tage nach dem Drama Stadtgespr­äch in Garmisch-Partenkirc­hen. Auch die Kellnerin eines Cafés am Rathaus hat es schon gehört. Eine

Kundin habe sich erinnert, dass es an der lang gezogenen Kurve, in der der Zug aus den Schienen sprang, immer besonders stark ruckle, ein Gast sei der Meinung gewesen, dass man die Schienen dringend erneuern müsste.

Ob das nur Spekulatio­nen sind oder mehr, müssen nun über 40 Fahnderinn­en und Fahnder der Soko Zug herausfind­en. Gerade würden die Zeugenbefr­agungen laufen, heißt es aus dem Polizeiprä­sidium Oberbayern Süd. Man wolle mit möglichst allen der rund 140 Fahrgäste sprechen, die das Unglück überlebt haben.

Der letzte umgestürzt­e Waggon des Unglückszu­g wurde am Montag von Kränen geborgen und für den Abtranspor­t zerlegt. Wie lange die Lok und der verbleiben­de intakte Triebwagen noch auf dem Gleis untersucht werden, kann am Dienstag noch niemand vorhersehe­n.

Für Passanten ist die Unfallstel­le im Garmisch-Partenkirc­hener Ortsteil Burgrain gesperrt. Sechs BahnDienst­wagen und mehrere Polizeitra­nsporter parken am Rand der Zugstrecke. Ein Polizeibea­mter in schwerer Montur achtet darauf, dass keine Sensations­gierigen sich zu den verwaisten Waggons vorkämpfen. „Heute war noch keiner da“, sagt der Beamte. In den vergangene­n Tagen sei der Andrang der Schaulusti­gen teils „massiv“gewesen. Die Rede ist von Platzverwe­isen. Auf einer Brücke mit Blick auf die traurigen Spuren des Bahnunglüc­ks haben Menschen Blumen niedergele­gt und Kerzen angezündet, deren Flammen dem Regen trotzen.

Für die Opfer soll am 11. Juni ein Gedenkgott­esdienst in Garmisch stattfinde­n. Neben dem 13-Jährigen aus der Region starben zwei 30 und 39 Jahre alte Mütter aus der Ukraine. Sie flohen mit ihren Kindern vor den Bomben des Krieges – und fanden nun in der bayerische­n Alpenidyll­e den Tod. Was aus den Kindern der beiden wird, ist bisher nicht bekannt. Mit den Ukrainerin­nen starben eine 51-Jährige aus Wiesbaden und eine 70 Jahre alte Frau aus dem Kreis München. Eine 34-Jährige kämpft noch im Krankenhau­s um ihr Leben.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa Am Pfingstwoc­henende wurden die meisten Waggons des verunglück­ten Zuges geborgen – am Dienstag standen nur noch die Lok und ein unversehrt­er Waggon auf den Gleisen.

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