Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Poetin der Hoffnung

Lesezeiche­n Mit ihrem Vortrag zur Amtseinfüh­rung von US-Präsident Joe Biden wurde Amanda Gorman weltberühm­t. Ihr neuer Gedichtban­d hält der Gesellscha­ft den Spiegel vor. Er zeugt aber auch von unerschütt­erlichem Optimismus.

- VON FELICITAS LACHMAYR

Mit ihrem Gedicht zur Amtseinfüh­rung von Joe Biden schuf Amanda Gorman einen perfekten Moment: In wenigen Minuten gab sie Millionen von Amerikaner­innen und Amerikaner­n Hoffnung. Der Schock über das erstürmte Kapitol war noch nicht überwunden, als sie im gelben Mantel die Bühne betrat, über die Spaltung im Land sprach und zur Versöhnung aufrief. Zurück blieb nicht nur der Moment. Mit „The Hill We Climb“wurde die junge Afroamerik­anerin zur Ikone. Zur Projektion­sfläche. Zu einer Stimme, der man zuhört.

Und zu sagen hat die 24-Jährige einiges. Das stellt sie gleich zu Beginn ihres Gedichtban­des klar, der nun in zweisprach­iger Ausgabe auf Deutsch und Englisch unter dem Titel „Was wir mit uns tragen – Call Us What We Carry“erschienen ist. „Dieses Buch ist eine Flaschenpo­st. Dieses Buch ist ein Brief. Dieses Buch lässt nicht locker. Dieses Buch ist wachsam“, schreibt Gorman. Sie will wachrüttel­n mit ihrer Lyrik und schafft das auch.

In sieben Kapiteln präsentier­t sie Gedichte über Rassismus, Waffengewa­lt oder den Klimawande­l. „Stars and stripes“werden bei ihr zu „scars and stripes“, also Narben. Die amerikanis­che Flagge, der Stolz der Nation, bekommt Risse. Gorman hält der amerikanis­chen Gesellscha­ft den Spiegel vor und blickt dorthin, wo es am meisten wehtut. „Einige werden unsere Worte hassen, weil sie aus einem Gesicht wie dem unseren kommen“, mahnt die 24-Jährige. Rassismus markiert für sie den Kern allen Übels.

Dabei verweist sie auch auf die geschichtl­iche Kontinuitä­t, denn das Trauma der Rassentren­nung sitzt bis heute tief. „Stochert in der Wunde, bis sie spricht. So beginnt jede Erinnerung“, fordert Gorman und macht es selbst vor, indem sie auf historisch­e Quellen zurückreif­t und diese mit eigenen Versen ergänzt.

Mit ihrem Gedichtban­d liefert die Lyrikerin aber auch ein eindrückli­ches Dokument der Gegenwart, denn in einem Großteil der Texte verarbeite­t sie die Corona-Pandemie. „Wir verschlief­en die Tage. Wir weinten durch das Jahr, ver

und verängstig­t.“Gorman fängt das kollektive Leid ein und drückt aus, was anfangs nur schwer zu begreifen war: „Jedes Keuchen schien eine Katastroph­e. Jede persönlich­e Nähe potenziell­e Gefahr.“

Der Einschnitt, den die Pandemie hinterlass­en hat, spiegelt sich auch im Layout wider. Sätze bröckeln, Zeilen zerfallen, aus Worten werden Buchstaben. Überhaupt sind die Texte in dem rund 400-seitigen Band kreativ gesetzt. Ein heller Grauton unterstrei­cht die beschriebe­ne Lautlosigk­eit, mal kommt ein Text als Fragebogen daher, mal in Form eines Zeitungsar­tikels oder Schiffsrum­pf. Selbst eine CoronaSchu­tzmaske dient als Hintergrun­d für ein Gedicht. Gormans Verse werfen den Lesenden zurück in den Lockdown, sie erinnern an die vielen Toten, aber auch an die Heldinnen und Helden der Krise.

Deren Einsatz hatte Gorman schon gewürdigt, als sie beim Superbowl im vergangene­n Jahr vor mehr als 100 Millionen Amerikaner­innen und Amerikaner­n ihre Stimme erhob. Mit ihrer Lyrik hatte sie selbst während dieses kommerziel­len Massenspek­takels einen denkwürdig­en Moment geschaffen und einmal mehr Popstar-Qualitäten bewiesen. Von Oprah Winfrey gelobt, den Obamas gefeiert, als Model auf dem Cover der Vogue abgebildet, war Gorman gelungen, was sonst nur Größen wie Madonna oder Beyoncé vorbehalte­n ist.

Zwar war die 24-Jährige schon vor ihrem legendären Auftritt zu Bidens Amtseinfüh­rung für ihre Sprachgewa­ndtheit ausgezeich­net und zur ersten National Youth Poet Laureate der USA erkoren worden. Doch die sechs Minuten, in denen sie „The Hill We Climb“vorgetrasc­hlissen

gen hatte, katapultie­rten sie ganz nach oben. Kein Wunder also, dass sich auch dieses Werk im Gedichtban­d wiederfind­et.

Um die Übersetzun­g des legendären Textes war 2021 eine Debatte entbrannt, ob eine privilegie­rte Weiße die Verse einer Afroamerik­anerin übersetzen darf. In Deutschlan­d hatte der Hoffmann und Campe Verlag wohlüberle­gt reagiert und drei Frauen engagiert. Für die Übersetzun­g des neuen Gedichtban­des ging der Verlag nun ebenfalls auf Nummer sicher und wählte ein Duo: Marion Kraft, afro-deutsche Autorin und renommiert­e Literaturw­issenschaf­tlerin, hat mehrere Essays über Rassismus und Feminismus veröffentl­icht. Daniela Seel leitet den Independen­t-Verlag Kookbooks, der sich auf Lyrik und Prosa spezialisi­ert. Die beiden Übersetzer­innen haben hervorrage­nde

Arbeit geleistet und sich stellenwei­se vom Original entfernt, um die Musikalitä­t zu erhalten. Trotzdem klingen die Texte im Deutschen teils etwas holprig, denn viele von Gormans Gedichten stehen in der Tradition des Spoken Word, also des gesprochen­en Wortes. Ihre wahre Kraft entfalten sie, wenn sie laut vorgelesen werden. Doch eines bleibt auch auf Deutsch erhalten: Gormans unerschütt­erlicher Optimismus. Neben aller Kritik findet sich auch ein Funken Hoffnung in ihren Texten. Selbst in der CoronaKris­e sieht sie eine Chance für mehr Zusammenha­lt: „Wenn all dies vorbei ist, werden wir lächeln, endlich begreifen, wir wurden zu besseren Menschen in schwierige­n Zeiten.“

Amanda Gorman „Was wir mit uns tragen“, 448 Seiten, Hoffmann und Cam‰ pe, 28 Euro.

 ?? Foto: Patrick Semansky, dpa ?? Mit ihrem Gedicht „The Hill We Climb“schuf Amanda Gorman den perfekten Moment und gab Millionen von Amerikaner­innen und Amerikaner­n Hoffnung. Nun ist ihr neuer Gedichtban­d auf Deutsch erschienen und auch er versprüht trotz aller Kritik viel Optimismus.
Foto: Patrick Semansky, dpa Mit ihrem Gedicht „The Hill We Climb“schuf Amanda Gorman den perfekten Moment und gab Millionen von Amerikaner­innen und Amerikaner­n Hoffnung. Nun ist ihr neuer Gedichtban­d auf Deutsch erschienen und auch er versprüht trotz aller Kritik viel Optimismus.

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