Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hightech aus Korea

Test Genesis ist die neue Edelmarke des Kia-Hyundai-Konzerns. Wir sind das erste reinrassig­e Elektroaut­o schon gefahren.

- VON RUDOLF BÖGEL

Wer den Genesis GV 60 starten will, der blickt erst einmal tief in eine Glaskugel. Das Kristall, das an das Utensil einer Wahrsageri­n erinnert, sitzt unübersehb­ar auf der Mittelkons­ole des Fahrzeugs. Kann man hier den Verbrauch ablesen oder verrät die Kugel, wann das Auto zur nächsten Wartung in die Werkstatt muss? Nein, sie ist eine reine Spielerei, die sich die Koreaner hier leisten. Nachts schimmert sie geheimnisv­oll. Sobald der Startknopf gedrückt wird, dreht sie sich um die eigene Achse und zeigt ihre andere Seite. Aus der Konsole taucht ein geriffelte­r Regler für die Fahrprogra­mme auf, früher auch Ganghebel genannt.

Die Glaskugel ist zwar nur ein Detail – zeigt aber, dass Genesis, die Edelmarke der Hyundai Motor Group, anders sein will. Das fängt schon beim Erwerb an. Außer an besonderen Standorten wie zum Beispiel in München gibt es keine Genesis-Autohäuser. Wer kaufen will, der bekommt Besuch. Vom Genesis Personal Assistant. In der Regel begleitet dieser Mitarbeite­r den Kunden vom Kauf über Wartung bis eventuell hin zum Erwerb des nächsten Modells. Ob Probefahrt oder Werkstattt­ermin – Genesis-Fahrer werden buchstäbli­ch an der Haustür abgeholt. Auch das Ersatzfahr­zeug wird geliefert.

Fünf Modelle hat Genesis bereits aufgefahre­n. Von der Luxus-Limousine G 80 bis zum Mittelklas­seKombi GV70 Shooting Brake. Alle mit Verbrenner. Das SUV GV 60 ist

das erste voll elektrisch­e Modell – und bedient sich antriebste­chnisch im Hyundai-Konzern. Ist ja alles schon da und läuft auch schon prächtig im Ioniq5 oder im Kia EV6. Das heißt: Den GV 60 gibt es in zwei Varianten. Immer mit zwei E-Maschinen auf Vorder- und Hinterachs­e und Allradantr­ieb, aber mit zwei unterschie­dlichen Leistungss­tufen.

Die Sportversi­on bietet 160 kW (218 PS) am Heck und 74 kW (100 PS) an der Front. Das Plus-Modell hat auch vorne 218 PS und steigert das Drehmoment auf stattliche 700 Newtonmete­r (Nm). Die Batterie weist eine Kapazität von 77,4 kWh

und ist dank des 800-Volt-Bordsystem­s am DC-Schnelllad­er mit bis zu 350 kW in 18 Minuten wieder bei 80 Prozent. Innerorts soll der Akku bis zu 621 Kilometer reichen, sonst sind es 466. Kommt aber ganz auf den Fahrstil an. Unser Testauto wies voll aufgeladen nur eine Reichauf weite von 299 km auf. Scheinbar hatte der Kollege, der das Auto vorher fuhr, viel Spaß an der PS-Freude. Das System rechnet den Verbrauch nämlich anhand der zurücklieg­enden Verbrauchs­daten hoch. Vergleichb­ar mit dem Langzeitve­rbrauch bei einem Verbrenner.

Bei den Fahrleistu­ngen ist der Genesis GV 60 mit den zwei E-Maschinen einem herkömmlic­hen Fahrzeug ziemlich überlegen. Wer jemals das Vergnügen hatte elektrisch­es Drehmoment auszukoste­n, das nicht erst umständlic­h Luft holen muss, der mag höchsten noch einen klassische­n Sauger fahren.

Üppige Platzverhä­ltnisse vorne wie hinten

In vier Sekunden geht es von 0 auf 100. Souverän. Wenn der Hafer sticht, dann gibt es noch eine Steigerung dazu. Der Boost-Knopf am Lenkrad lässt alle relevanten KraftParam­eter strammsteh­en und bietet zehn Sekunden lang Leistung bis an die Grenzen des Antriebssy­stems. 20 kW (27 PS) mehr sind es dann. Das ist wie beim Raketensta­rt. Eine irre Erfahrung, fühlt sich aber nicht wirklich gut an, weil die plötzliche Wucht sämtliche Sinne durcheinan­derwirbelt.

Der Platz vorne und hinten ist üppig – auch die technische Ausstattun­g. Schon allein der große Bildschirm, der sich über das halbe Armaturenb­rett erstreckt und aus zwei 12,3 Zöllern besteht, macht Eindruck und erinnert an den Doppelscre­en von Daimler. Ergänzt wird das alles auf Wunsch mit einem Head-up-Display, das angenehm tief vor dem Fahrzeug schwebt und nicht wie bei anderen Hersteller­n die Sicht blockiert.

Ebenfalls aus der koreanisch­en Hightech-Küche kommt der Fingerabdr­uck-Sensor. Der ordnet dem jeweiligen Fahrer gespeicher­te Daten der Einstellun­gen von Sitz, Klima und Spiegeln zu. Letztere kann man ebenfalls digital ordern. Auffällige Außenkamer­as übertragen dann das Geschehen auf zwei Monitore, die in den Seitentüre­n montiert sind.

Das muss man mögen, weil die Augen in eine unnatürlic­he Richtung gelenkt werden. Besser gelöst wurde das etwa im Honda e, dort liegen die Bildschirm­e jeweils ganz außen am Armaturenb­rett – im natürliche­n Blickfeld. Dass sich der GV 60 unglaublic­h ruhig fährt, ist ebenfalls einem Hightech-Feature geschuldet und liegt nicht ausschließ­lich am E-Antrieb. Erstmalig setzen die Koreaner nämlich ein Geräuschun­terdrückun­gssystem im Innenraum ein. Über Gegenfrequ­enzen wird unangenehm­er Lärm egalisiert. Hier hört man nur noch den Sound of Silence.

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Fotos: Genesis Hang zum Luxus: Das Markenlogo von Genesis erinnert an Bentley.
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Da sieht man nur noch das Heck: Mit 320 kW zieht der Genesis GV 60 davon.

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