Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hier trainieren Rettungssanitäter den Notfall
Hilfe
In einem Simulationszentrum in Schwabmünchen übt das Rote Kreuz verschiedene Szenarien. Für den nötigen Realismus sorgen Puppen und moderne Technik. Eines ist hier besonders wichtig.
Dominik Ruof murmelt etwas Unverständliches ins Mikro. Auf einem Monitor vor ihm flimmern bunte Vitalwerte, in den Händen hält er ein I-Pad. Einen Raum weiter erklingen Ruofs „Worte“aus dem Mund von Hieronymus Glück. Der 69-jährige Diabetiker war kollabiert und wird nun von zwei Rettungskräften des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) versorgt. Doch das Ganze ist inszeniert: „Hieronymus“ist kein echter Mensch, sondern nur eine Puppe, gesteuert von Ruof. Neben ihm sitzen zwei weitere BRK-Mitarbeiter, die den simulierten Einsatz aus mehreren Kameraperspektiven verfolgen und jedem Wort der verkabelten Sanitäter lauschen.
Nach einer guten Viertelstunde ist Hieronymus wieder ansprechbar und der Einsatz für die zwei Rettungskräfte vorbei. Er ist Teil einer Fortbildung im Simulationszentrum des Bayerischen Roten Kreuzes in Schwabmünchen. Seit April vergangenen Jahres gibt es dieses Zentrum, das von Harry Geisser geleitet wird. Bisher habe man rund 450 Personen aus ganz Schwaben dort gehabt. Sie trainieren in dem Zentrum vor allem eines: Kommunikation.
„Die Simulation hat ein hehres Ziel“, erklärt Geisser: verbesserte Patientensicherheit. 70 bis 80 Prozent aller Fehler würden im medizinischen Bereich in nicht-technischen Fertigkeiten passieren. Um diese zu verbessern, braucht es eine gehörige Portion Realismus. Denn der stellvertretende Leiter des Simulationszentrums, Philipp Eschenlohr, weiß: „Im Stress wächst man leider nicht über sich hinaus, sondern fällt auf das Level seines Trainings zurück und deswegen trainieren wir auf diesem Level.“
„Dieses Level“, das heißt so nah am echten Einsatz wie nur möglich. „Train as you work“, sagt Eschenlohr, den hier alle nur Esche nennen. Dafür hat sich das BRK einiges einfallen lassen – und viel Geld in die Hand genommen: „Siebenstellig“habe die Einrichtung des Zentrums gekostet.
Dafür beginnen die Simulationsmöglichkeiten schon im Eingangsbereich, auch die hauseigene Theke könne Teil der Simulation sein, erklärt Geisser. Gegenüber ist ein Klinikmonitor angebracht, wie er auch in der Notaufnahme der Uniklinik hänge. An der Decke hängen überall Kameras und Raummikrofone. Weiter hinten laufen weiße Straßenmarkierungen über den Teppichboden und ein ausgemusterter Rettungswagen steht im Eck – auch in diesem verstecken sich Kameras, auch dort kann trainiert werden.
Kernstück des Simulationszen
trums ist aber eine 50 Quadratmeter große Wohnung. Geisser erzählt, dies sei die Musterwohnung der hier vorher ansässigen Immobilienfirma gewesen, man habe nicht viel verändern müssen. Sie besteht aus Flur, Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer. Letzteres kann mit ein paar Handgriffen auch zum Pflege- oder Kinderzimmer umdekoriert werden, dann wird der Bettbügel angebracht oder der Spielteppich ausgerollt. Geisser: „Wir legen total Wert auf realistisch.“
Und das gilt nicht nur für die Umgebung: Besonders wirklichkeitsnah werden die Simulationen auch durch die eingesetzten Puppen. Jede davon kostet laut Geisser 80.000 Euro, dafür kann sie aber auch so einiges. „Allein wenn die Puppe die Augen aufmacht und blinzelt, macht es das realistisch“, sagt Esche. Zudem atme die Puppe echtes CO aus, sie hat messbaren Blutdruck und kann auf Kommando auch ihre Blase entleeren.
Vitalwerte und Funktionen der Puppe werden aus dem Technikraum vom Operator gesteuert. Vor den sechs Bildschirmen sitzen zudem die beiden Instruktoren. Sie verfolgen den Einsatz aus mehreren
Kameraperspektiven, zoomen bei Bedarf auch mal heran, um zu erkennen, welches Medikament die Rettungskräfte genau verabreicht haben. „Video ist wichtig, Audio ist noch viel wichtiger“, sagt jedoch Geisser. Tatsächlich protokollieren die Instruktoren fast die ganze Kommunikation während der Simulation.
Währenddessen schauen auch die Kollegen per Livestream zu. Der simulierte Einsatz wird mitsamt Bild- und Tonaufzeichnung dann im „Debriefing“gemeinsam besprochen. Hier sprechen die Trainer die „Golden Nuggets“an,
die ihnen in der Simulation aufgefallen sind – etwa, wo aus ihrer Sicht uneindeutig kommuniziert wurde. Viel drehe sich aber auch um die Sicht der Teilnehmer. Eschenlohr erklärt: „Normalerweise kann man Teilnehmern bloß vor die Stirn schauen, mit einem ordentlichen Debriefing kann ich denen dahinter schauen. Mich interessiert nicht, was er gemacht hat, sondern warum.“
Für die Instruktoren ist so ein Schulungstag herausfordernd: „Wenn wir in das Szenario gehen, dann sind wir 15 bis 20 Minuten im Technikraum und müssen genau
schauen: Was sagen sie, was machen sie, wie kommunizieren sie non-verbal.“Gleichzeitig müsse man sich auch noch mit dem Techniker abstimmen. Gleich nach dem Einsatz, in der Nachbesprechung, müsse man dann genau aufpassen, was der Sanitäter sagt und wie er sich gibt: „Wie viel Stress ist da vielleicht drin? Das muss man ja alles raushören.“Am Ende des Tages sei man daher durchaus mal erschöpft, erzählen Geisser und Eschenlohr.
Doch auch für die Rettungskräfte ist der Einsatz nicht ohne. Notfallsanitäter Andreas Schrall sagt: „Das ist vom Gefühl her wie eine Prüfung, man weiß, dass die Kameras zuschauen.“Es sei aber wichtig, sich auch mal selbst im Einsatz zu sehen und zu hören, sodass man sich weiter verbessern könne. Sein Kollege Vincent Steinberg will vor allem das Thema „präzise Kommunikation“mitnehmen: „Etwa wenn wir sagen: ‘Okay, der Blutzucker ist niedrig’, dass wir dann auch definieren, was wir damit genau meinen.“Denn sobald sie das Schwabmünchener Simulationszentrum verlassen, liegen vor ihnen keine hochmodernen Puppen mehr, sondern echte Menschen.