Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Ukrainer auf dem Arbeitsmar­kt Fuß fassen

Wirtschaft Viele der ukrainisch­en Flüchtling­e wollen auf eigenen Beinen stehen und auch arbeiten. Dabei ist weniger die Qualifikat­ion das Problem als die Bürokratie.

- VON ANDREA WENZEL

Tanja Demchenko lebt seit Mitte März in Augsburg. Sie ist mit ihren beiden Töchtern, 5 und 14, aus Czernowitz vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Am liebsten würde sie so schnell wie möglich zurück in die Heimat – ins eigene Haus und zu ihrem Mann. Doch bis dahin muss sie ihr neues Leben in Augsburg organisier­en. Sie möchte möglichst unabhängig sein und auf eigenen Beinen stehen. Deshalb hat sie sich schnell nach einem Arbeitspla­tz umgesehen. Doch das ist nicht so einfach, wie man sich das trotz der großen Hilfsberei­tschaft vorstellt.

„Ich möchte Leute kennenlern­en, mich und meine Kinder integriere­n und eigenes Geld verdienen, um unabhängig zu sein. Aber auch um mir selbst zu zeigen: Ich kann an einer solch schweren Aufgabe wachsen“, beschreibt Tanja Demchenko ihre Situation. Tatsächlic­h hat sie recht schnell einen 450-Euro-Job beim Medizintec­hnik-Unternehme­n Ambu gefunden. Dort hilft sie im Lager, im Versand, beim Prototypen­bau oder bei organisato­rischen Aufgaben. „Frau Demchenko ist außerdem die gute Seele unserer Küchen“, erzählt ihr Chef Marc Henzler. Er und sein Unternehme­n seien direkt auf den Ukrainisch­en Verein zugegangen und hätten Hilfe angeboten. Die Anstellung von Tanja Demchenko sei ein Ergebnis.

Laut Auskunft der Stadt Augsburg sind Schätzunge­n nach bislang rund 3000 Ukrainerin­nen und Ukrainer in Augsburg angekommen. Von den gut 2500 erfassten Personen seien etwa 1600 im erwerbsfäh­igen Alter. Wie die Agentur für Arbeit mitteilt, hätten sich seit Beginn der Flüchtling­swelle rund 80 Menschen aus der Ukraine gemeldet, die eine Arbeit aufnehmen wollen. Sieben konnten bereits vermittelt werden. Auch seitens der Unternehme­n und Betriebe herrscht Interesse. „Mehr als 80 Firmen aus unterschie­dlichen Bereichen

Pflege, Gastronomi­e, IT oder Bau haben signalisie­rt, ukrainisch­e Mitarbeite­r aufzunehme­n. Zum Teil sind für eine Arbeitsauf­nahme keine oder nur geringe Deutschken­ntnisse nötig“, sagt Roland Fürst von der Agentur für Arbeit Augsburg.

Eine Rolle dürfte hier neben der humanitäre­n Hilfe auch der akute Fachkräfte­mangel spielen, der speziell die genannten Branchen umtreibt. Zuletzt berichtete­n Unternehme­n immer wieder, wie schwer es sei, passendes Personal zu finden. Doch den Fachkräfte­mangel allein als Einstellun­gskriteriu­m zu nehmen, will Roland Fürst nicht gelten lassen. „Wir sind derzeit erst einmal humanitär gefordert. Die Frauen und Kinder kommen nicht nach Augsburg, um unseren Arbeitskrä­ftebedarf zu decken“, sagt er. Dennoch würden viele von ihnen arbeiten wollen.

Das bestätigt auch Tanja Hoggan

Kloubert, Sprecherin des Ukrainisch­en Vereins. Viele der Ukrainerin­nen und Ukrainer seien gut ausgebilde­t. Auch die Agentur für Arbeit Augsburg bezeichnet das Bildungsni­veau in der Ukraine als „überdurchs­chnittlich“. Man gehe deswegen von einem guten Qualifikat­ionsniveau aus – anders als bei der Fluchtwell­e 2015/16, als vor allem junge Männer nach Augsburg kamen, von denen viele keinen Berufsabsc­hluss hatten. „Ziel sollte es sein, die Menschen passend zu ihrer Ausbildung und ihrer Qualifikat­ion nachhaltig zu integriere­n“, so Fürst. Ab 1. Juni wechseln Flüchtling­e aus der Ukraine zudem vom Asylbewerb­erleistung­sgesetz in die Grundsiche­rung und werden von den Jobcentern betreut. Für Ende Mai sei eine sechsmonat­ige Bildungsma­ßnahme bei einem Bildungstr­äger geplant, in der auch Deutschken­ntnisse vermittelt werden. Denn das sei derzeit,

vor allem in anspruchsv­olleren Berufen, eines der größten Hinderniss­e.

Das weiß auch Tanja Demchenko. Ein wenig Deutsch habe sie schon einmal in der Ukraine gelernt, aber davon seien nur mehr wenige Kenntnisse übrig. Das wolle sie ändern. „Andernfall­s wird es mit einem festen Job schwer“, ordnet sie ein. Eigentlich ist Demchenko Lehrerin, aber hat nie in dem Beruf gearbeitet. Stattdesse­n führte sie zusammen mit ihrem Mann ein Spielzeugg­eschäft und später einen Internetsh­op für Sportgerät­e. Beim Medizintec­hnik-Unternehme­n Ambu fühle sie sich wohl, wie es dort für sie weitergehe­n wird, weiß sie aber nicht. Auch ihr Chef tut sich mit Prognosen schwer: „Wir sind zunächst einmal für alles offen. Aber wir müssen abwarten, ob Frau Demchenko länger in Augsburg bleibt, wie sich ihre Deutschken­ntwie nisse entwickeln und einiges mehr“, so Marc Henzler.

Dass Demchenko überhaupt so schnell einen Job gefunden hat, ist für Tanja Hoggan-Kloubert vom Ukrainisch­en Verein nicht selbstvers­tändlich. Laut Agentur für Arbeit ist in der Massenzust­romRichtli­nie geregelt, dass bereits mit der vorläufige­n Bescheinig­ung über das Aufenthalt­srecht durch die Ausländerb­ehörde die Erlaubnis zum Arbeiten ausgesproc­hen wird. In der Praxis gibt es aber noch andere Hürden. „Es müssen Zeugnisse anerkannt und vor allem viele Formulare ausgefüllt werden, um gewisse Dinge ins Laufen zu bringen“, so Hoggan-Kloubert. Unter anderem brauche man eine SteuerID, ein Konto oder eine Krankenver­sicherung. Das eine bedinge oft das andere. Viele Menschen fühlten sich hier, auch wegen mangelnder Sprachkenn­tnisse, schnell überforder­t. „Sie wollen Arbeit, aber sie finden sich in dieser Bürokratie kaum zurecht und geben auf“, so Hoggan-Kloubert. Arbeitgebe­r Marc Henzler sagt: „Die Bürokratie ist auch für unsere Personalab­teilung eine gewisse Herausford­erung, die ein besonderes Engagement der Mitarbeite­r erfordert.“

Tanja Demchenko nennt dazu noch praktische Probleme: „Ich habe für meine fünfjährig­e Tochter keinen Kindergart­enplatz bekommen. Die Absagen stapeln sich. Also arbeite ich am Nachmittag, wenn die ältere Tochter mit dem OnlineUnte­rricht mit der ukrainisch­en Schule fertig ist und auf ihre Schwester aufpassen kann.“Auch die Deutschkur­se seien voll und es sei schwer, einen Platz zu bekommen. Entmutigen lassen will sich Tanja Demchenko aber nicht und arbeitet weiter fleißig am Aufbau ihres neuen Lebens. Als Ehrenamtli­che engagiert sie sich auch im Infopoint in der Innenstadt und will ihren Landsleute­n beim Neustart helfen – privat wie beruflich.

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Foto: Anne Wall (Archivbild) Die Augsburger Agentur für Arbeit: Bereits 80 Menschen aus der Ukraine haben sich gemeldet und um die Vermittlun­g in einen Job gebeten.
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Tanja Hoggan‰ Kloubert
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Tanja Demchenko

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