Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn es Ärger mit dem Wohnmobil gibt
Interview Die Ferienwohnung auf Rädern bleibt sehr beliebt. Aber nicht alle Käuferinnen und Käufer sind zufrieden. Sie klagen über verspätete Auslieferungen oder ramponierte Ausstattungen. Zwei ADAC-Experten geben Rechtstipps.
Der Wohnmobil-Boom scheint auch 2022 ungebrochen – wobei es offenbar oft Ärger mit Neufahrzeugen gibt. Die Internet-Foren sind voll davon. Wie kommt das?
Ralf Holstein: Der coronabedingte Wohnmobil-Kaufboom wird gerade abgearbeitet und trifft dabei auf gestörte Lieferketten, sodass sich die Lieferzeiten nochmals weiter nach hinten verschieben. Durch den hohen Auslieferungsdruck bei den Herstellern – der Hersteller bekommt erst Geld, wenn das Wohnmobil das Werk verlässt – kommt es offensichtlich dazu, dass teilweise Fahrzeuge ausgeliefert werden, bei denen Teile fehlen oder die Ausstattung abweicht.
Mancher Kritiker wirft den Herstellern mangelnde Qualitätskontrollen vor, auf jeden Fall schlechtere als die der Kfz-Hersteller …
Ralf Holstein: Subjektiv empfunden mag das so sein. Doch ein Wohnmobil ist viel komplexer als ein Pkw und somit auch viel störanfälliger, insbesondere hinsichtlich der im Aufbau verbauten Technik. Daraus resultiert die gefühlt höhere Quote von Beanstandungen.
Welche Möglichkeiten beziehungsweise Rechte haben die Käufer dann?
Petra Gerhäuser: Wird das Wohnmobil mit falscher Ausstattung oder beschädigt geliefert, kann der Käufer gegenüber dem Vertragspartner entweder die Abnahme verweigern, da der Vertrag nicht erfüllt ist. Oder er kann das Wohnmobil unter Vorbehalt der Nacherfüllung abnehmen. Das heißt Nachbesserung oder Ersatzlieferung – was wohl eher unpraktikabel für den Käufer ist aufgrund der langen Lieferzeiten. Vertragspartner ist in der Regel der Händler. Der Hersteller ist nur bei Werksverkauf zuständig.
Was tun, wenn bei der Auslieferung des Neufahrzeugs Teile fehlen?
Ralf Holstein: Alles dokumentieren: bei der Abholung schriftlich aufnehmen, was fehlt, und vom Händler bestätigen lassen. Auch hier möglichst Fristen zur Nachbesserung festmachen. Anbauteile werden in der Regel vom Händler kalkuliert und am Fahrzeug montiert. Ausgenommen einige wenige Sondermodelle, die quasi „all inclusive“vom Werk geliefert werden. Die Kosten für die nachträgliche Montage trägt somit zumeist der Händler. Sofern es Fehlteile seitens des Herstellers sind, kann der Händler sich die Zusatzkosten gegebenenfalls vom Hersteller zurückholen.
Und bei Schönheitsmakeln? Was empfehlen Sie da: reparieren lassen oder eher auf eine Preisminderung setzen, um das Wohnmobil gleich in Betrieb nehmen zu können?
Ralf Holstein: Beide Varianten sind möglich. Meine präferierte Wahl wäre eine angemessene Preisreduktion, solange es sich um einen reinen Schönheitsmakel handelt. Muss das Wohnmobil wegen einer größeren Sache zurück ins Werk, trägt der Hersteller respektive der Händler die Kosten.
Wie verhält man sich, wenn einen der Händler mit der Aussage „Da muss ich erst mit dem Werk sprechen“hinhält? Petra Gerhäuser: Machen Sie ihm deutlich, dass er der Vertragspartner ist und mit dem Hersteller kein Kaufvertrag geschlossen wurde. Der gewerbliche Verkäufer/Händler haf
unabhängig vom Verschulden für Sachmängel oder das Fehlen einer vertraglich zugesicherten Eigenschaft. Hier ist es sinnvoll, den Händler schriftlich und mit einer Frist zur Nachbesserung aufzufordern.
Ralf Holstein: Erstellen Sie Gesprächsnotizen oder -protokolle und stellen Sie diese dem Händler zu. Ohne Fristen kein Verzug! Ohne Inverzugsetzung wenig rechtliche Handhabe.
Und wie steht es mit nachträglichen Preiserhöhungen? Wären diese zulässig?
Ralf Holstein: Das hängt vom Kaufvertrag im Einzelfall ab. Doch in der Regel haben die Kaufverträge heutzutage eine Preisanpassungsklausel inkludiert.
Sehr ärgerlich, wenn das Wohnmobil nicht zum anvisierten Termin ausgeliefert wird. Welche Möglichkeiten hat der Kunde dann?
Petra Gerhäuser: Auf einen verbindlichen Liefertermin lassen sich Händler meist nicht ein, denn bei Überschreitung des Termins würden sie sofort in Lieferverzug geraten. Üblicherweise werden nur unverbindliche Liefertermine vereinbart, die nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Händler um sechs Wochen überschritten werden können. Erst nach Ablauf dieser sechs Wochen kann der Kunde den Händler auffordern, das Fahrzeug zu liefern. Mit dem Zugang der Aufforderung kommt der Verkäufer in Verzug. Nach den Neuwagenverkaufsbedingungen kann der Käufer unter Umständen bis zu fünf Prozent des vereinbarten Kauftet preises als Schadenersatz fordern. Will der Käufer darüber hinaus vom Vertrag zurücktreten und/oder Schadenersatz statt der Leistung verlangen, muss der dem Händler nach Ablauf der Sechs-WochenFrist eine angemessene Nachfrist (circa zwei Wochen) zur Lieferung setzen. Dabei ist ein Einschreiben mit Rückschein empfehlenswert.
Kann man ein Leihfahrzeug für den geplanten Urlaub verlangen, wenn das Fahrzeug nicht geliefert wird oder wegen Nachbesserung ausfällt?
Petra Gerhäuser: Nein, im Regelfall nicht – wie gesagt, der Liefertermin ist zumeist unverbindlich. Einen durch Nachbesserung verursachten Nutzungsausfall, Ersatz für Mietwagenkosten, Verdienst- und Gewinnausfall, entgangene Freizeit oder Wertminderung kann nicht verlangt werden. Derartige Ansprüche können nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schädigung durch den Verkäufer bestehen.
Es gibt Prognosen, dass heuer oder spätestens 2023 etliche Wohnmobile gebraucht auf den Markt kommen werden, weil das Reisen fast wieder in dem Umfang möglich ist wie vor der Pandemie. Würden Sie Kauf-Interessenten raten, die Entwicklung abzuwarten? Ralf Holstein: Ich bin auch der Meinung, dass es mittelfristig zu einem nennenswerten Zweitmarkt kommen wird, bei dem in der CoronaZeit überhastet gekaufte Wohnmobile abgestoßen werden. Unter anderem auch wegen drohender Arbeitslosigkeit. Das wird sicherlich zu einer Normalisierung des überhitzten Marktes und damit zu günstigeren Preisen führen.
Neu oder gebraucht kaufen – was ist besser?
Ralf Holstein: Der Kauf eines Wohnmobils ist eine emotionale Angelegenheit. Ob neu oder gebraucht ist persönliche Präferenz. Wichtig ist aber immer der Kauf via einem seriösen Händler, um im Fall der Fälle in den „Genuss“einer Gewährleistung zu kommen. Darüber hinaus gibt es neuerdings Gebrauchtwagen-Checks für Wohnmobile und Caravans, so auch beim ADAC.