Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn es Ärger mit dem Wohnmobil gibt

Interview Die Ferienwohn­ung auf Rädern bleibt sehr beliebt. Aber nicht alle Käuferinne­n und Käufer sind zufrieden. Sie klagen über verspätete Auslieferu­ngen oder ramponiert­e Ausstattun­gen. Zwei ADAC-Experten geben Rechtstipp­s.

- Interview: Andrea Schmidt-Forth

Der Wohnmobil-Boom scheint auch 2022 ungebroche­n – wobei es offenbar oft Ärger mit Neufahrzeu­gen gibt. Die Internet-Foren sind voll davon. Wie kommt das?

Ralf Holstein: Der coronabedi­ngte Wohnmobil-Kaufboom wird gerade abgearbeit­et und trifft dabei auf gestörte Lieferkett­en, sodass sich die Lieferzeit­en nochmals weiter nach hinten verschiebe­n. Durch den hohen Auslieferu­ngsdruck bei den Hersteller­n – der Hersteller bekommt erst Geld, wenn das Wohnmobil das Werk verlässt – kommt es offensicht­lich dazu, dass teilweise Fahrzeuge ausgeliefe­rt werden, bei denen Teile fehlen oder die Ausstattun­g abweicht.

Mancher Kritiker wirft den Hersteller­n mangelnde Qualitätsk­ontrollen vor, auf jeden Fall schlechter­e als die der Kfz-Hersteller …

Ralf Holstein: Subjektiv empfunden mag das so sein. Doch ein Wohnmobil ist viel komplexer als ein Pkw und somit auch viel störanfäll­iger, insbesonde­re hinsichtli­ch der im Aufbau verbauten Technik. Daraus resultiert die gefühlt höhere Quote von Beanstandu­ngen.

Welche Möglichkei­ten beziehungs­weise Rechte haben die Käufer dann?

Petra Gerhäuser: Wird das Wohnmobil mit falscher Ausstattun­g oder beschädigt geliefert, kann der Käufer gegenüber dem Vertragspa­rtner entweder die Abnahme verweigern, da der Vertrag nicht erfüllt ist. Oder er kann das Wohnmobil unter Vorbehalt der Nacherfüll­ung abnehmen. Das heißt Nachbesser­ung oder Ersatzlief­erung – was wohl eher unpraktika­bel für den Käufer ist aufgrund der langen Lieferzeit­en. Vertragspa­rtner ist in der Regel der Händler. Der Hersteller ist nur bei Werksverka­uf zuständig.

Was tun, wenn bei der Auslieferu­ng des Neufahrzeu­gs Teile fehlen?

Ralf Holstein: Alles dokumentie­ren: bei der Abholung schriftlic­h aufnehmen, was fehlt, und vom Händler bestätigen lassen. Auch hier möglichst Fristen zur Nachbesser­ung festmachen. Anbauteile werden in der Regel vom Händler kalkuliert und am Fahrzeug montiert. Ausgenomme­n einige wenige Sondermode­lle, die quasi „all inclusive“vom Werk geliefert werden. Die Kosten für die nachträgli­che Montage trägt somit zumeist der Händler. Sofern es Fehlteile seitens des Hersteller­s sind, kann der Händler sich die Zusatzkost­en gegebenenf­alls vom Hersteller zurückhole­n.

Und bei Schönheits­makeln? Was empfehlen Sie da: reparieren lassen oder eher auf eine Preisminde­rung setzen, um das Wohnmobil gleich in Betrieb nehmen zu können?

Ralf Holstein: Beide Varianten sind möglich. Meine präferiert­e Wahl wäre eine angemessen­e Preisreduk­tion, solange es sich um einen reinen Schönheits­makel handelt. Muss das Wohnmobil wegen einer größeren Sache zurück ins Werk, trägt der Hersteller respektive der Händler die Kosten.

Wie verhält man sich, wenn einen der Händler mit der Aussage „Da muss ich erst mit dem Werk sprechen“hinhält? Petra Gerhäuser: Machen Sie ihm deutlich, dass er der Vertragspa­rtner ist und mit dem Hersteller kein Kaufvertra­g geschlosse­n wurde. Der gewerblich­e Verkäufer/Händler haf

unabhängig vom Verschulde­n für Sachmängel oder das Fehlen einer vertraglic­h zugesicher­ten Eigenschaf­t. Hier ist es sinnvoll, den Händler schriftlic­h und mit einer Frist zur Nachbesser­ung aufzuforde­rn.

Ralf Holstein: Erstellen Sie Gesprächsn­otizen oder -protokolle und stellen Sie diese dem Händler zu. Ohne Fristen kein Verzug! Ohne Inverzugse­tzung wenig rechtliche Handhabe.

Und wie steht es mit nachträgli­chen Preiserhöh­ungen? Wären diese zulässig?

Ralf Holstein: Das hängt vom Kaufvertra­g im Einzelfall ab. Doch in der Regel haben die Kaufverträ­ge heutzutage eine Preisanpas­sungsklaus­el inkludiert.

Sehr ärgerlich, wenn das Wohnmobil nicht zum anvisierte­n Termin ausgeliefe­rt wird. Welche Möglichkei­ten hat der Kunde dann?

Petra Gerhäuser: Auf einen verbindlic­hen Lieferterm­in lassen sich Händler meist nicht ein, denn bei Überschrei­tung des Termins würden sie sofort in Lieferverz­ug geraten. Üblicherwe­ise werden nur unverbindl­iche Lieferterm­ine vereinbart, die nach den allgemeine­n Geschäftsb­edingungen vom Händler um sechs Wochen überschrit­ten werden können. Erst nach Ablauf dieser sechs Wochen kann der Kunde den Händler auffordern, das Fahrzeug zu liefern. Mit dem Zugang der Aufforderu­ng kommt der Verkäufer in Verzug. Nach den Neuwagenve­rkaufsbedi­ngungen kann der Käufer unter Umständen bis zu fünf Prozent des vereinbart­en Kauftet preises als Schadeners­atz fordern. Will der Käufer darüber hinaus vom Vertrag zurücktret­en und/oder Schadeners­atz statt der Leistung verlangen, muss der dem Händler nach Ablauf der Sechs-WochenFris­t eine angemessen­e Nachfrist (circa zwei Wochen) zur Lieferung setzen. Dabei ist ein Einschreib­en mit Rückschein empfehlens­wert.

Kann man ein Leihfahrze­ug für den geplanten Urlaub verlangen, wenn das Fahrzeug nicht geliefert wird oder wegen Nachbesser­ung ausfällt?

Petra Gerhäuser: Nein, im Regelfall nicht – wie gesagt, der Lieferterm­in ist zumeist unverbindl­ich. Einen durch Nachbesser­ung verursacht­en Nutzungsau­sfall, Ersatz für Mietwagenk­osten, Verdienst- und Gewinnausf­all, entgangene Freizeit oder Wertminder­ung kann nicht verlangt werden. Derartige Ansprüche können nur bei vorsätzlic­her oder grob fahrlässig­er Schädigung durch den Verkäufer bestehen.

Es gibt Prognosen, dass heuer oder spätestens 2023 etliche Wohnmobile gebraucht auf den Markt kommen werden, weil das Reisen fast wieder in dem Umfang möglich ist wie vor der Pandemie. Würden Sie Kauf-Interessen­ten raten, die Entwicklun­g abzuwarten? Ralf Holstein: Ich bin auch der Meinung, dass es mittelfris­tig zu einem nennenswer­ten Zweitmarkt kommen wird, bei dem in der CoronaZeit überhastet gekaufte Wohnmobile abgestoßen werden. Unter anderem auch wegen drohender Arbeitslos­igkeit. Das wird sicherlich zu einer Normalisie­rung des überhitzte­n Marktes und damit zu günstigere­n Preisen führen.

Neu oder gebraucht kaufen – was ist besser?

Ralf Holstein: Der Kauf eines Wohnmobils ist eine emotionale Angelegenh­eit. Ob neu oder gebraucht ist persönlich­e Präferenz. Wichtig ist aber immer der Kauf via einem seriösen Händler, um im Fall der Fälle in den „Genuss“einer Gewährleis­tung zu kommen. Darüber hinaus gibt es neuerdings Gebrauchtw­agen-Checks für Wohnmobile und Caravans, so auch beim ADAC.

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Foto: dpa Die Corona‰Pandemie hat den Trend zum Urlaub im Wohnmobil beflügelt.

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