Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zeit, dass sich was dreht
Energiewende Der Gesetzentwurf des Bundes zur Windkraft lässt Bayern die umstrittene 10H-Regel – aber nur unter der Bedingung, dass ausreichend Flächen für Windräder ausgewiesen werden. Wie stehen die Chancen dafür?
Noch bleibt der Staatsregierung etwas Zeit, den Nachweis zu führen, dass die erst kürzlich leicht gelockerte 10H-Abstandsregel dem Ausbau der Windkraft in Bayern nicht im Wege steht. Auf das Bekenntnis von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum Bau neuer Windräder aber will sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbar nicht verlassen.
Im Entwurf der Bundesregierung für das geplante „Wind-an-LandGesetz“, der unserer Redaktion vorliegt, werden den Bundesländern Bedingungen gestellt: Nur ein Land, das ausreichend Landesfläche für die Windkraft zur Verfügung stellt, darf künftig über die Abstände von Windrädern zur Wohnbebauung mitbestimmen. Kurz gesagt: Verfehlt Bayern seine Flächenziele bis 2026, dann wäre auch die 10H-Abstandsregel hinfällig. Der Bau von Windrädern im Außenbereich wäre wie früher wieder privilegiert – mit nur noch 1000 Metern Mindestabstand.
Um die Flächenziele durchzusetzen, sind in dem Gesetzentwurf klare Vorgaben für jedes Land enthalten. Die Südländer Bayern und Baden-Württemberg etwa sollen bis Ende des Jahres 2026 jeweils 1,1 Prozent, bis Jahresende 2032 jeweils 1,8 Prozent der Landesfläche als Windenergiegebiete ausweisen. Von Ländern mit mehr Wind, wie zum Beispiel Niedersachsen oder Hessen, wird mit bis zu 2,2 Prozent der Landesfläche deutlich mehr gefordert. Bundesweit sollen es am Ende insgesamt zwei Prozent der Landesfläche sein.
In Bayern liegt der Flächenanteil für Windkraft nach Angaben der Staatsregierung aktuell bei 0,7 Prozent. Er soll aber ausgeweitet werden. Erst Ende April hat sich die CSU-Fraktion im Landtag nach kontroverser Debatte darauf verständigt, zwar im Grundsatz an der 10H-Regel festzuhalten, aber eine Reihe von Ausnahmen zuzulassen. Unter anderem soll danach der Mindestabstand von Windrädern zu Wohnhäusern in den sogenannten Vorranggebieten von bisher mindestens 2000 auf 1000 Meter sinken.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nahm die Berliner Pläne mit demonstrativer Gelassenheit zur Kenntnis. „Damit können wir umgehen. Unsere ohnehin geplanten Lockerungen der 10H-Regel bringen sogar mehr Potenzial für Windkraft, als es die Bundesvorgabe vorsieht“, erklärte Aiwanger. Er kritisierte aber: „Der einzige Wermutstropfen aus Berlin ist, dass der Mindestabstand von Windrädern zu Siedlungen in Windvorrangund -vorbehaltsgebieten nicht 1000 Meter sein darf, wie von uns geplant, sondern nur rund 800 Meter, wie es das Bundesimmissionsschutzgesetz vorsieht. Dadurch erhöht sich zwar die Zahl der möglichen Standorte, die Anwohner werden die Vorgaben aber kritischer sehen.“
Bei den von der Staatsregierung geplanten Ausnahmen von der 10H-Regel in Gebieten, die nicht Vorrang- oder Vorbehaltsgebiete sind, könnte laut Aiwanger dagegen nach erster Bewertung ein Abstand von 1000 Metern zu Siedlungsgebieten eingehalten werden. Dazu zählen etwa Wälder oder der Umgriff um Industrie- und Gewerbegebiete sowie an Autobahnen und Bahnstrecken. Die regionalen Planungsverbände, so fordert der Minister, müssten der Windkraft in Bayern künftig mehr Fläche einräumen. In Bayern steigt laut Aiwanger die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen. Er weist darauf hin, dass neue Windanlagen deutlich leiser seien als frühere Modelle, und zeigt sich überzeugt, dass Bürger und Wirtschaft dringend sichere und bezahlbare regionale Energien brauchen.
Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) dagegen kritisierte die Pläne als „Bürokratiemonster“. „Die bestehenden landesrechtlichen Regelungen werden mit perfider Gesetzestechnik und brachialer Sanktionsmechanik ausgehöhlt.“Und weiter: „Im Kern will der Bund die Mindestabstände für Windkraft in Windenergiegebieten ohne Rücksicht auf Verluste abschaffen.“
Erfüllt Bayern die Vorgaben des Bundes, dann kann die 10H-Abstandsregel außerhalb der Windenergiegebiete auch fortbestehen. Landesrechtliche Mindestabstandsregeln auf der Grundlage der sogenannten Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch, so heißt es in dem Entwurf der Bundesregierung, könnten weiterhin möglich sein. Sie seien aber an die Bedingung gekoppelt, dass die Flächenziele erreicht werden.
Wirtschaftsminister sieht einen „Wermutstropfen“