Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Musik statt Studium

Album Paula Carolina erzählt mit ihren Songs ihre Geschichte­n.

- VON SEBASTIAN KRAUS

Die Welt sieht doch gleich freundlich­er aus, wenn die Bäume blühen. Das Leben wird wieder lebenswert­er, die zarten Blätter verscheuch­en Tristesse und Dunkelheit im seltsamen Zwischenst­adium von Jugendlich­keit und Erwachsens­ein. Dort warten sie, die ersten Irrungen und Wirrungen des Lebens, die die Leichtigke­it der Kindheit auf einmal Dekaden entfernt erscheinen lassen. Während die Stimme des Didaktikpr­ofessors im Seminarrau­m zu einem weißen Rauschen verkommt, kann man sich schon mal die Frage stellen, ob der gewählte Studiengan­g der Weg zur Berufung ist.

Paula Carolina verneinte die Frage für sich. Die junge Songwriter­in hat der Uni Augsburg samt Lehramtsst­udium den Rücken gekehrt, „ein großer Schritt, über den ich zwei Jahre lang nachgedach­t habe“. Man muss nicht nachfragen, ob sie diesen Schritt bereute, wenn man sie neben ihrem Lebensbegl­eiter, dem Piano mit Namen Olaf, in ihrer neuen Wahlheimat Mannheim in die Kamera lachen sieht.

Paula Carolina blüht in ihrer Musik auf und hat jetzt die Möglichkei­t, sich ganz darauf zu konzentrie­ren. Sich einfach mal mit der Band in ein kleines Refugium im Niemandsla­nd des Harz zurückzuzi­ehen und an Songs zu feilen. Ihre jüngst erschienen­e Debut-EP „Aus der Blüte des Lebens“ist ein höchst abwechslun­gsreiches, liebevoll arrangiert­es Dokument ihres Weges zu einer selbstbewu­ssten Frau, die um die Ambivalenz des Lebens weiß.

„Es sind meine Geschichte­n, ich schreibe aus dem Moment heraus, manchmal ein wenig verpackt, aber ehrlich. Musik ist unglaublic­h emotional für mich.“Ihre Songs entstehen nur in extremen Momenten, oft im Überschwan­g oder in der Niedergesc­hlagenheit, nachdem sich die Schmetterl­inge im Bauch mal wieder zu einer tonnenschw­eren Last auf dem Herzen verwandelt haben.

So ist das „Liebeslied“eine leicht überdrehte Hymne auf die Selbstlieb­e und ein mit einem Grinsen verabreich­ter Mittelfing­er mit Indiegitar­ren in Richtung des Typen, der die ganze Misere eingebrock­t hat. „Scheiß auf Liebe“hat die lakonische­n Klavierakk­orde eines „Allesegal“-Tages, „Beide“eine tieftrauri­ge Melodie mit viel Hall und zitternder Unterlippe. Und wenn sie in einem lupenreine­n Chanson dem Ex samt neuer Flamme zu Slidegitar­re und stolpernde­m Schlagzeug­solo wünscht, dass ihnen „hoffentlic­h sonntags mal die Nutella ausgeht“, merkt man, dass ihre eigene Poesie die Basis ihrer Stücke ist.

Hildegard Knef würde sie sicher gerne auf Tour mitnehmen, wäre dies denn noch möglich. Sie erzählt aus ihrem Leben, aber sie berührt und bestärkt viele, die ihr zuhören. Sie sah auf ihren Konzerten die ein oder andere Träne im Publikum, sie bekam nicht nur eine Nachricht, in der ihr die Menschen mitteilen wollten, was ihre Musik in ihnen auslöste.

Man hört Paula Carolina gerne zu. Und so stößt sie auch auf offene Ohren für ein Thema, das – zur Erinnerung, wir befinden uns im Jahr 2022 – noch immer Kontrovers­en auslöst: die Menstruati­on. „Gerlindes Garten“ist politisch, „es ist abstrakter getextet, weil das Thema in der ganzen Gesellscha­ft stattfinde­t“. Carolina hat alles hineingepa­ckt, was sie nervt: Vielfliege­rei, testostero­ntriefende Grillorgie­n, ein anachronis­tisches Frauenbild in einer patriarcha­len Gesellscha­ft. Trotzdem wollte sie ein positives Bild der Menstruati­on zeichnen, einen fruchtbare­n, blühenden Garten. Paula Carolina steht in der Blüte des Lebens, das hört man den fünf Songs der EP in jeder Sekunde an. Und es darf gerne weiter blühen, oder wie sie es formuliert: „Eine Blüte kann wachsen und vielleicht wird auch mal ein Baum draus.“ⅈ

Konzert Paula Carolina tritt am 16. Juli auf dem Gaswerksom­mer auf.

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Foto: Filip Boban Die Musikerin Paula Carolina hat in Augsburg studiert.

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