Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Armut betrifft mehr Menschen, als man meint
Neulich erst wühlte eine gut gekleidete, ältere Dame in der Altstadt in Abfalleimern. Es war offensichtlich, dass sie nach Pfandflaschen suchte. Nicht immer wird Bedürftigkeit so sichtbar wie in dieser Szene. Armut hat viele Gesichter. Vieles spielt sich abseits der Öffentlichkeit, im Verborgenen ab. Wer gibt schon gerne zu, arm zu sein. Wer will schon Gefahr laufen, als „Verlierer“stigmatisiert zu werden, oder als „Fauler“. Denn dieses Urteil ist schnell gefällt. Umso bemerkenswerter ist eine Aktion, die seit Wochen auf Twitter kursiert.
Sie gewährt Einblicke in den Alltag vieler Menschen, die - verschärft durch steigende Lebenshaltungskosten - nicht mehr wissen, wie sie bis Ende des Monats ihr Leben finanziell meistern sollen. Unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen schreiben Menschen in dem Kurznachrichtendienst über alltägliche Einschränkungen. Wie es etwa ist, wenn sich der Magen zusammenschnürt, weil in der Arbeit für den Geburtstag einer Kollegin fünf Euro gesammelt werden. Oder man sich die Ausstellung eines neuen Personalausweises nicht leisten kann, nachdem der alte abgelaufen ist. Auch das ist Armut. Und davon sind auch in Augsburg viel mehr Menschen betroffen, als man vielleicht denken mag.
Gemeinnützige Einrichtungen, Stiftungen und Vereine, die mit ihren Angeboten hilfsbedürftige Menschen unterstützen, bestätigen die Entwicklung: Armut trifft in der Fuggerstadt inzwischen mehr Menschen, als vermutet oder auch offenkundig. Vielleicht tragen offene Augen auf der Straße, vielleicht tragen Aktionen wie auf Twitter dazu bei, dass Armut als ein gesellschaftliches Problem betrachtet und angegangen wird und nicht als Versagen einzelner Menschen am Rande der Gesellschaft gewertet.